Herforder Kreisblatt zur drohenden Kriegsgefahr, 31. Juli 1914

HK Extrablatt 31.08.1914 Zustand Kriegsgefahr 72 dpi

Herforder Kreisblatt, 31.07.1914, Setzung in den Zustand der drohenden Kriegsgefahr

Extra-Blatt
zum Herforder Kreisblatt
Freitag, den 31. Juli 1914, nachmittags.

Berlin, 31. Juli. Aus Petersburg ist heute
die Nachricht von der deutschen Botschaft eingetroffen,
daß die allgemeine Mobilmachung der russischen
Armee und Flotte befohlen ist. – Darauf
hat Se[ine] Majestät der deutsche Kaiser den
Zustand der drohenden Kriegsgefahr befohlen. Der Kaiser
wird heute Nachmittag nach Berlin übersiedeln.

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Zeitungssammlung

Zuschusszusage für eine Studienreise nach Frankreich, Bielefeld, 29. Juli 1914

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StArchBI_103_4_B18_Becker_Heinrich_bFriedenshoffnungen, Naivität oder bürokratische Routine oder eine Mischung all dessen? Noch am 29. Juli 1914 genehmigte der Magistrat Bielefelds dem Lehrer Dr. Heinrich Becker (1881-1972) eine Reisebeihilfe für einen Studienaufenthalt in Frankreich im August/September. Becker, der mit einer gebürtigen Französin verheiratet und später Leiter des Kunsthauses war, reiste nicht: „Infolge der am 2/8 14 eingetreten Mobilmachung erledigt. z.d.A.“

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,4/Personalakten, Nr. B 18

Friedenskundgebungen in Ostwestfalen, Juli / August 1914

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Die Mobilmachungs-Nachricht fungierte wie ein Ablassventil, das den Überdruck der Ungewissheit freisetzte, Klarheit über die neue, ernste Lage verschaffte und eine Kriegsentschlossenheit, aber keine Kriegseuphorie produzierte. Wie es in den Köpfen derer aussah, die den Straßen und den Plätzen fernblieben, kann nicht geschildert werden. Die Ventilfunktion, die in Berlin in ein „Na endlich!“ oder „Also doch!“ mündete, bestätigt eine Schulchronik der 1. Bürgerschule (Osning-/Vogelruthschule) in Brackwede. Rektor Wilhelm Behrens beschreibt den Stimmungswandel von der Julikrise zur Mobilmachung, als zuerst mit Revolution in Brackwede gedroht wurde, falls es einen Krieg geben sollte, dann aber „am Tage der Mobilmachung sang man im sozialdemokratischen Lokale Vaterlandslieder! […] und erleichtert atmete alles auf, als am 1. August nachmittags 6 Uhr die Kunde von der befohlenen Mobilmachung hier bekannt wurde.“

Sozialdemokratische Friedenskundgebungen sollten bis in den August andauern. Vor 7.000 Zuhörern machte der Volkswacht-Redakteur Carl Severing (1875-1952) am 28. Juli 1914 in Bielefeld die Folgen klar, wenn die Bündnissysteme griffen: „Millionen von Volksgenossen werden dann zur Schlachtbank geführt“.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Quelle: Volkswacht v. 29. Juli 1914

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 43

Annonce eines Bielefelder Orthopäden, 27. Juli 1914

Bielefelder General-Anzeiger v. 27. Juli 1914Fehleinschätzungen über die Krisenentwicklung und Kriegstaktiken waren verbreitet. Die Anzeige eines Bielefelder Orthopäden offenbart den doppelten Irrglauben, dass sich der Krieg regional einhegen ließ (von der Reichsleitung gewünschte „Lokalisierung“) und als Feldzug geführt werde – es wurde ein Welt-Stellungskrieg.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Quelle: Bielefelder General-Anzeiger v. 27. Juli 1914

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 5

„Im Zeichen der Kriegsbegeisterung“ – Lippische Landeszeitung am 27. Juli 1914

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Lippische Landeszeitung 27. Juli 1914 (LAV NRW OWL)

Lippisches
Detmold, 27. Juli
In schreiendem Gegensatz zum vorletzten Sonntag stand der gestrige Tag. Konnten wir vorigesmal von hellem Sonnenschein und harmlos fröhlichen Menschen berichten, die sich der Festfreude auf dem Bruchmarkte hingaben, so stand der gestrige Sonntag  i m  Z e i c h e n  d e r  K r i e g s b e g e i s t e r u n g. Die Gastwirtschaften und Erholungslokale waren von Menschen überfüllt, und eine außerordentliche Begeisterung für die hochwichtigen Tagesereignisse machte sich allenthalben bemerkbar. Dafür waren die Promenaden desto einsamer, denn es wehte ein unfreundlicher Wind, und eine Regenwolke jagte die andere. So laut aber auch die Kriegsbegeisterung sich äußerte, so ist sicherlich in manchem Herzen ernste Sorge eingekehrt, denn, sollte das Ungeheure wirklich geschehen und ein allgemeiner Völker- und Rassenkrieg ausbrechen, so wird es ohne Frage Ströme von Blut kosten und viele Millionen an Nationalvermögen werden vernichtet werden. Ist ein Krieg immer und unter allen Umständen ein Unglück, so würde es ein solches bei den furchtbaren Waffen der Neuzeit doppelt und dreifach sein. Wer aber wollte nicht mit der Möglichkeit, ja mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, dass auch Deutschland an dem blutigen Ringen sich wird beteiligen müssen?! Da seufzt so mancher junge Geschäftsmann: Mein blühendes Geschäft muß ich in fremden Händen zurücklassen, und wenn die, denen ich es anvertraue, treulos oder nachlässig sind, wer ersetzt mir und den Meinen den Verlust? Und so hat jeder sein Leid zu klagen, der eine dies, der andere das. Vielleicht möchte einer sagen: Wenn diesmal Deutschland in den Krieg ziehen muß, so wird es wohl nicht mit jener flammenden Begeisterung geschehen, mit der die Siege von Weißenburg, Wörth, Spichern und Sedan errungen wurden ….
Und doch! Machen wir uns die Lage klar! Es würde doch kaum anders sein wie in der großen Zeit von 1870/71. Einstweilen wird der Krieg zwischen Oesterreich und Serbien geführt, und das Recht, diesen Krieg zu führen, wird ein patriotisch fühlender Deutscher dem österreichischen Bundesbruder nicht abstreiten wollen. Sollte sich Russland wirklich einmischen, so ist es – vergessen wir das nicht! – auf eine Demütigung des Dreibundes abgesehen. Sollte gar Frankreich sich einmischen, so will es nichts anders, als unser aufblühendes und erstarkendes Vaterland zu Boden drücken. Und gegen solche Gefühle werden wir Deutschen alle wie ein Mann stehen. Mit Donnerhall wird die Kriegsbegeisterung wieder auflodern, wie in der großen Zeit des deutsch-französischen Krieges, und der furor teutonicus wird mit alter Kraft, aber mit neuen Waffen hervorbrechen und die heiligsten Güter der Welt mit Blut und Eisen zu verteidigen wissen.

Historische Einordnung

Wenige Tage vor Kriegsbeginn lassen sich für beides, für nationale Kriegsbegeisterung, aber auch für eine verbreitete Verunsicherung, Niedergeschlagenheit und Zukunftssorge Belege in der regionalen Presse finden. Als die Lippische Landeszeitung über den letzten Sonntag im Juli 1914 berichtete, wird die Ambivalenz der Stimmungen nicht verschwiegen. Der Sonntag, 26. Juli, habe in Detmold „im Zeichen der Kriegsbegeisterung“ gestanden. Die Gastwirtschaften und Ausflugslokale seien von Menschen überfüllt gewesen, und „eine außerordentliche Begeisterung für die hochwichtigen Tagesereignisse machte sich allenthalben bemerkbar“. Doch dann ließ der Verfasser des Artikels bemerkenswert nachdenkliche Äußerungen folgen: „So laut aber auch die Kriegsbegeisterung sich äußerte, so ist sicherlich in manchem Herzen ernste Sorge eingekehrt, denn, sollte das Ungeheure wirklich geschehen und ein allgemeiner Völker- und Rassenkrieg ausbrechen, so wird er ohne Frage Ströme von Blut kosten und viele Millionen an Nationalvermögen werden vernichtet werden.“ Während vor allem die jungen Männer eine abenteuerliche „Kriegsfahrt“ erwarteten, die spätestens zum Jahresende siegreich beendet werden sollte, war die in der Lippischen Landeszeitung skizzierte Perspektive eine andere. So heißt es dort weiter: „Ist ein Krieg immer und unter allen Umständen ein Unglück, so würde es ein solches bei den furchtbaren Waffen der Neuzeit doppelt und dreifach sein.“ Der Verfasser stellte fest, dass die Deutschen „wohl nicht mit jener flammenden Begeisterung“ wie 1870/71 in den Krieg ziehen würden, es sei denn, Frankreich würde intervenieren. In diesem Fall ließ sich der Verfasser des Artikels einen gedanklichen Ausweg, der bekanntlich bald begangen wurde. Alles in allem machte man sich auch in der Provinz keine Illusionen über die Realität des Krieges. Dass ein industrialisierter Massenkrieg andere Dimensionen als die Einigungskriege haben würde, war nicht nur den Publizisten klar.

(Dr. Bärbel Sunderbrink, Stadtarchiv Detmold)

Signatur: Lippische Landeszeitung 27. Juli 1914 (LAV NRW OWL)

Foto „Überlandflug nach Serbien“, Manöver in Senne, 26.7.1914

001_0002Atelier-Fotografie vom Truppenübungsplatz Senne, 26. Juli 1914 (Foto: Kreisarchiv Paderborn)

„Wer wir wir fidel gewest,
Für den ist die Senne
das schönste Nest.“

„26/7.14
Überlandflug
nach Serbien“

Brennt noch so heiß
der Sennestrand,
Nichts trennet unser
Freundschaftsband.“

Der in den 1890er Jahren errichtete Truppenübungsplatz in der Senne bei Paderborn stellte an die Soldaten „höchste Ansprüche“ und war entsprechend gefürchtet. Viele ließen sich am Ende der Manöverzeit fotografieren. Ein offenbar florierender Markt, denn es gab mehrere Fotografen in Sennelager. Am 26. Juli 1914 stellte der Fotograf W. Metze diese Abbildung mit den drei „fliegenden“ Soldaten her. Zu den Requisiten gehörte auch das Schild „Überlandflug nach Serbien“, Indiz für propagandistisch gesteuerte Kriegsbegeisterung.

Bereits am Tag darauf erhielten alle in der Senne übenden Truppen den Befehl, wegen „drohender Kriegsgefahr“ den Übungsplatz zu verlassen und in die Heimatstandorte zurückzukehren. Einer der drei abgebildeten Soldaten schickte das Erinnerungsfoto am 29. Juli seiner Schwester und ihrem Mann nach Solingen: „teile Euch eben mit, daß wir diese Nacht abgerückt sind aus der Senne, es ist sehr schlimm gestellt.“ Von kriegerischer Begeisterung also keine Spur.

(Wilhelm Grabe, Kreisarchiv Paderborn)

Rückkehrer vom Schützenfest, Rathausstraße, Bielefeld, Juli 1914

Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 299

Die permanent einlaufenden Nachrichten über UItimaten und Vermittlungsversuche der europäischen Diplomatie elektrisierten und verunsicherten. Das Schützenfest (25. bis 27. Juli 1914) war mit „gemischten Gefühlen“ gefeiert worden, wie der private Kriegschronist Otto Zähler festhielt.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 299; Foto: Otto Zähler

Lit.: Jochen Rath, Der Kriegssommer 1914 in Bielefeld – Otto Zählers „Illustrierte Kriegschronik eines Daheimgebliebenen“, in: Ravensberger Blätter 2011, Heft 1, S. 1-17

Keine Spur von Kriegsgefahr … – Jahresfest im Rettungshaus Schildesche am 19.7.1914

Quelle 1914Das Bielefelder Rettungshaus Schildesche für „verwahrloste“ Kinder und Jugendliche feierte im Juli 1914 sein Jahresfest und eine Grundsteinlegung. Ein Zeitungsbericht schilderte ausführlich die Feier an einem schönen Sommertag, bei der über diakonische Arbeit unter „arbeitslosen und entgleisten Deutschen“ in Paris und über christliche Mission in Deutsch-Ostafrika berichtet wurde. Von einer Kriegsgefahr war nirgends die Rede.

Am 19. Juli 1914 wurde das 62. Jahresfest
gefeiert. Pastor Gottlob Schrenk [1879-1965] von der
Theol[ogischen] Schule in Bethel hielt die Festpredigt
über Psalm 150. An den Festgottesdienst
schloß sich an die feierliche Grundsteinlegung
eines neuen Anstaltsgebäudes. Über den
Zweck des neuen Hauses und die Feier selbst
orientiert der beigefügte Zeitungsausschnitt
aus Nr. 170 der „Westfäl[isch-]Lippischen Volkszeitung“
vom 23.7.1914.

Signatur: Chronikbuch des Rettungshauses Schildesche, Archiv des Ev. Johanneswerks