

Lippische Landeszeitung 27. Juli 1914 (LAV NRW OWL)
Lippisches
Detmold, 27. Juli
In schreiendem Gegensatz zum vorletzten Sonntag stand der gestrige Tag. Konnten wir vorigesmal von hellem Sonnenschein und harmlos fröhlichen Menschen berichten, die sich der Festfreude auf dem Bruchmarkte hingaben, so stand der gestrige Sonntag i m Z e i c h e n d e r K r i e g s b e g e i s t e r u n g. Die Gastwirtschaften und Erholungslokale waren von Menschen überfüllt, und eine außerordentliche Begeisterung für die hochwichtigen Tagesereignisse machte sich allenthalben bemerkbar. Dafür waren die Promenaden desto einsamer, denn es wehte ein unfreundlicher Wind, und eine Regenwolke jagte die andere. So laut aber auch die Kriegsbegeisterung sich äußerte, so ist sicherlich in manchem Herzen ernste Sorge eingekehrt, denn, sollte das Ungeheure wirklich geschehen und ein allgemeiner Völker- und Rassenkrieg ausbrechen, so wird es ohne Frage Ströme von Blut kosten und viele Millionen an Nationalvermögen werden vernichtet werden. Ist ein Krieg immer und unter allen Umständen ein Unglück, so würde es ein solches bei den furchtbaren Waffen der Neuzeit doppelt und dreifach sein. Wer aber wollte nicht mit der Möglichkeit, ja mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, dass auch Deutschland an dem blutigen Ringen sich wird beteiligen müssen?! Da seufzt so mancher junge Geschäftsmann: Mein blühendes Geschäft muß ich in fremden Händen zurücklassen, und wenn die, denen ich es anvertraue, treulos oder nachlässig sind, wer ersetzt mir und den Meinen den Verlust? Und so hat jeder sein Leid zu klagen, der eine dies, der andere das. Vielleicht möchte einer sagen: Wenn diesmal Deutschland in den Krieg ziehen muß, so wird es wohl nicht mit jener flammenden Begeisterung geschehen, mit der die Siege von Weißenburg, Wörth, Spichern und Sedan errungen wurden ….
Und doch! Machen wir uns die Lage klar! Es würde doch kaum anders sein wie in der großen Zeit von 1870/71. Einstweilen wird der Krieg zwischen Oesterreich und Serbien geführt, und das Recht, diesen Krieg zu führen, wird ein patriotisch fühlender Deutscher dem österreichischen Bundesbruder nicht abstreiten wollen. Sollte sich Russland wirklich einmischen, so ist es – vergessen wir das nicht! – auf eine Demütigung des Dreibundes abgesehen. Sollte gar Frankreich sich einmischen, so will es nichts anders, als unser aufblühendes und erstarkendes Vaterland zu Boden drücken. Und gegen solche Gefühle werden wir Deutschen alle wie ein Mann stehen. Mit Donnerhall wird die Kriegsbegeisterung wieder auflodern, wie in der großen Zeit des deutsch-französischen Krieges, und der furor teutonicus wird mit alter Kraft, aber mit neuen Waffen hervorbrechen und die heiligsten Güter der Welt mit Blut und Eisen zu verteidigen wissen.
Historische Einordnung
Wenige Tage vor Kriegsbeginn lassen sich für beides, für nationale Kriegsbegeisterung, aber auch für eine verbreitete Verunsicherung, Niedergeschlagenheit und Zukunftssorge Belege in der regionalen Presse finden. Als die Lippische Landeszeitung über den letzten Sonntag im Juli 1914 berichtete, wird die Ambivalenz der Stimmungen nicht verschwiegen. Der Sonntag, 26. Juli, habe in Detmold „im Zeichen der Kriegsbegeisterung“ gestanden. Die Gastwirtschaften und Ausflugslokale seien von Menschen überfüllt gewesen, und „eine außerordentliche Begeisterung für die hochwichtigen Tagesereignisse machte sich allenthalben bemerkbar“. Doch dann ließ der Verfasser des Artikels bemerkenswert nachdenkliche Äußerungen folgen: „So laut aber auch die Kriegsbegeisterung sich äußerte, so ist sicherlich in manchem Herzen ernste Sorge eingekehrt, denn, sollte das Ungeheure wirklich geschehen und ein allgemeiner Völker- und Rassenkrieg ausbrechen, so wird er ohne Frage Ströme von Blut kosten und viele Millionen an Nationalvermögen werden vernichtet werden.“ Während vor allem die jungen Männer eine abenteuerliche „Kriegsfahrt“ erwarteten, die spätestens zum Jahresende siegreich beendet werden sollte, war die in der Lippischen Landeszeitung skizzierte Perspektive eine andere. So heißt es dort weiter: „Ist ein Krieg immer und unter allen Umständen ein Unglück, so würde es ein solches bei den furchtbaren Waffen der Neuzeit doppelt und dreifach sein.“ Der Verfasser stellte fest, dass die Deutschen „wohl nicht mit jener flammenden Begeisterung“ wie 1870/71 in den Krieg ziehen würden, es sei denn, Frankreich würde intervenieren. In diesem Fall ließ sich der Verfasser des Artikels einen gedanklichen Ausweg, der bekanntlich bald begangen wurde. Alles in allem machte man sich auch in der Provinz keine Illusionen über die Realität des Krieges. Dass ein industrialisierter Massenkrieg andere Dimensionen als die Einigungskriege haben würde, war nicht nur den Publizisten klar.
(Dr. Bärbel Sunderbrink, Stadtarchiv Detmold)
Signatur: Lippische Landeszeitung 27. Juli 1914 (LAV NRW OWL)