
Verbreitete Propaganda-Postkarte. Der zitierte Satz „Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war!“ beschließt den Aufruf Kaiser Wilhelms II. an das deutsche Volk vom 6. August 1914.
Der Erste Weltkrieg wurde 1914 nicht begonnen, weil national euphorisierte, sich im Deutschen Reich als von anderen Hegemonialmächten eingekreist empfindende und daher seit längerem Aufmarschpläne schmiedende Volksmassen aus dieser Not und Notwendigkeit heraus zu den Waffen griffen und in die Nachbarländer einfielen. Der Krieg hatte vielschichtige Ursachen und Auslöser auf allen Seiten der Beteiligten. Er wurde nicht zuletzt begonnen, weil die deutsche „Reichsleitung“, also der Reichskanzler an der Spitze einer Beamtenregierung, und die Politik des Deutschen Reiches und seines Verbündeten Österreich-Ungarn diese militärische Eskalation bewusst in Kauf nahmen und auch herbeiführten. Die vermeintliche Kriegsbegeisterung, das sogenannte „Augusterlebnis“ und der viel beschworene „Geist von 1914“ waren Produkt und Intention von Propaganda und Mobilisierung. Politik, Militär, Wirtschaft und Kirche verfolgten damit eigene Interessen und machten Millionen von Menschen zu ihren Werkzeugen und Kriegern.
„Wohl keine gesellschaftliche Gruppe hat die Kriegsanstrengungen des deutschen Reiches von August 1914 bis zum bitteren Ende im November 1918 mit größerer Entschiedenheit unterstützt als die protestantischen Landeskirchen.“ Theologen deuteten den Krieg als eine Prüfung Gottes und als Teil des göttlichen Weltplans, der Deutschlands Aufstieg zu einer Weltmacht bringen werde. Leiden, Sterben und Trauer wurden von den Kirchen in der Anfangszeit des Krieges, der als „gerechter Krieg“ bezeichnet wurde, als heilsgeschichtlich gebotene christlich-germanisch-vaterländische Opferbereitschaft interpretiert. Das war in sämtlichen kriegführenden Staaten dabei durchaus vergleichbar, die sich als Verteidiger des jeweiligen Vaterlandes, der Kultur und des Christentums verstanden. Die Kirche erfüllte – jenseits ihrer eigenen volkskirchlichen Wiedergeburtshoffnungen – staatliche Integrations-, Legitimations-, Trostspende- und Motivationsfunktionen: „Uns Pfarrern zumal fällt in dieser außerordentlichen Zeit die bedeutsame Aufgabe zu, den Geist restloser Pflichterfüllung und unwandelbarer Treue bis in den Tod zu pflegen und zu stärken.“
Die evangelische Kirche und ihre traditionell nationalkonservativ eingestellten Kirchenbehörden agierten unter ihrem obersten Bischof Kaiser Wilhelm II. weitgehend als aktive Mitstreiter bei der totalen Mobilisierung und Ressourcenausschöpfung der deutschen Bevölkerung für die Fortführung des Krieges. Die westfälische Provinzialkirche war bis 1945 Teil der preußischen Landeskirche und teilte entsprechend ihre Geschichte.

Postkartenserie „Gebet während der Schlacht“ (LkA EKvW 3.46 Nr. 80)
Westfalen war im Ersten Weltkrieg zu keiner Zeit militärisches Kampfgebiet. Schützengräben gab es in Westfalen lediglich als „Schauschützengräben“, die den Kriegsalltag jedoch nur unzureichend wiedergeben konnten. Das Grauen und die Realität der Front erreichte Westfalen an der „Heimatfront“ – in Gestalt von Siegesmeldungen und Verlustlisten in den Zeitungen, in Berichten über Offensiven und Ordensverleihungen, als Feldpost für die Familie und die Gemeinde, in Form von Geld- und Sachspendeaktionen sowie von Aufrufen zu Kriegsanleihen, in wöchentlichen Kriegsbetstunden und in Segnungsgottesdiensten für die einberufenen Soldaten, in Gestalt von Verwundeten, Invaliden und Kriegsgefangenen, die wie Lazarette und Lager im öffentlichen Raum zunehmend auftauchten und ihn mit prägten.
Kirchen, Gemeinden und Gemeindepfarrer wirkten in vielfältiger Weise an der Heimatfront, und sie wirkten für den Zusammenhalt zwischen Front und Heimat, für moralische Unterstützung, Trost und Stärkung sowie nicht zuletzt für den Erhalt der Wehrkraft auf beiden Seiten.
Aufgrund ihrer volkskirchlichen Struktur und ihrer nationalstaatlichen Verankerung ist evangelische Kirche zumindest bis zum Ende des Wilhelminischen Kaiserreichs gesamtgesellschaftlich präsent und auch gefordert. Die kirchlichen Archive spiegeln diese Rolle der Kirche in vielfältigen Quellenbeständen, die in ihrer Breite lediglich durch nachfolgende Kriegsbeschädigungen Verlust erlitten haben.

Karte „Mit Gott für Kaiser und Reich!“, 1914 (LkA EKvW 4.43 Nr. 699)
(Dr. Jens Murken, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen)