Heimatbrief Nr. 1 von Pfarrer Johannes Meyersieck (Oetinghausen), 6.9.1914

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Brief Nr. 1
Oetinghausen, den 6. September 1914

Liebe Kameraden!

Leider ist es mir nicht vergönnt gewesen, mit Euch hinauszuziehen, weder im bunten noch im schwarzen Rock. Ihr werdet es mir nachfühlen können, wie schwer es mir geworden ist, zu Hause bleiben zu müssen. Aber als alter Soldat habe ich mich damit abgefunden in dem Gedanken, daß man seinen Posten nicht eigenmächtig verlassen darf, und ich weiß, daß ich auch hier dem Vaterlande Dienste leisten kann.
Nicht nur draußen, sondern auch in der Heimat gibts jetzt große Aufgaben zu lösen. Wenn die Ernte kommt, müssen die Scheunen in Ordnung sein, die den Erntesegen bergen sollen. Wenn Ihr uns den Sieg erkämpft, wie wichtig ist es da, daß unser Volk sich darauf rüstet, daß der Sieg ihm nicht schade, daß der Segen des Sieges ihm zuteil werden kann. Hinter dem kämpfenden Volk muß das betende Volk stehen, dann wird unser Volk einer großen, herrlichen Zukunft entgegengehen.
Und da darf ich Euch das sagen: wir beten für Euch. Wir verfolgen Euch und die anderen braven Kameraden mit brennender Aufmerksamkeit.
An jedem Mittwoch (in Lippinghausen am Donnerstag) abends 1/2 9 sammeln wir uns vor Gottes Angesicht, um den Krieg in das Licht des Wortes Gottes zu rücken und mit einander Eurer vor dem Herrn zu gedenken. Und Ihr würdet Euch freuen, wenn Ihr sähet, wie viele zu diesen Kriegsbetstunden sich einfinden. Gottes Ruf ist lauter als Glockenschlag, das zeigt sich da, das werdet Ihr auch empfinden.
Manchem von Euch ist die Arbeit des Pastors vielleicht bisher überflüssig erschienen, die des Feldpredigers wird Euch willkommen sein. Und so werdet Ihr denn, hoffe ich, auch meinen Gruß aus der Heimat nicht verachten, wenn ich Euch von Zeit zu Zeit einen ins Feld hinaussende als einen Gruß von der Heimatkirche, und werdet nicht unwillig werden, wenns nicht lauter Schmeicheleien sind, sondern auch Mahnungen, herausgeboren aus der Erkenntnis der großen Gefahren für Leib und Seele, die Euch draußen drohen, besonders in dem sittlich verkommenen Frankreich und Belgien. Solche Mahnungen wollen ja nicht Eure Siegesfreude trüben, sondern Euch davor bewahren, daß Ihr sie Euch nicht selber trübt durch Dinge, die Euch ein böses Gewissen verschaffen.
Heute nur eine kurze Warnung, die vielleicht schon an Euch gelangt ist, wie sie hier durch die Zeitungen gegangen ist: 1) Hütet Euch vor den Falltüren in Frankreich, hinter denen 1870 schon so mancher „Vermißte“ verschwunden ist. [Das auf dem Hof Gresshöner, Lippinghausen (Milchstraße), errichtete Kriegerdenkmal nennt die Namen von 20 Gefallenen und Vermissten des Krieges 1870/1871. – Lit.: Ulrich Rottschäfer, Gedenkbuch der Gefallenen und Vermissten aus dem Kirchspiel Hiddenhausen, Hiddenhausen 1995, 158 S., hier: S. 33 f. – Die Gefahr von „Falltüren in Frankreich“, durch die „deutsche Soldaten (…) in Keller stürzen und sich das Genick brechen“ (Karl Kohut, Literatur der Résistance und Kollaboration in Frankreich, Bd. 3, S. 93), war noch im 2.Weltkrieg berüchtigt.] – 2) Hütet Euch vor dem Absinth, diesem verderblichen alkoholischen Getränk der Franzosen, aber hütet Euch überhaupt vor dem Alkohol. Er bringt Euch in sittliche und leibliche Gefahr. Eure Körper- u. Nervenkraft ist zu kostbar, als daß Ihr sie so vergeuden dürftet. Wie hat doch unser Kaiser gesagt: diejenige Nation, die das geringste Maß Alkohol zu sich nimmt, die gewinnt. Und das sollt Ihr sein. Und Ihr wißt: Wir müssen siegen.
Noch eine Bitte: Schreibt oft an Eure Angehörigen, auch wenn von Hause Euch nicht immer Nachrichten erreichen. Wieviele von Euren Karten mögen verlorengehen! Und Eure Leute sehnen sich nach einem Lebenszeichen, besonders nach Gefechten!
Und noch ein herzliches: Gott mit Euch von Sieg zu Sieg!
Gott behüte unsre Lande, unsre Seelen vor der Schande.
Gott erhalte Deutschland frei! [Zitiert aus: Ernst Moritz Arndt, Gebet bei der Wehrhaftmachung eines deutschen Jünglings, in: Lieder aus dem Katechismus für den deutschen Wehrmann, Leipzig 1813, Lied Nr. 8.]

Euer Heimatpastor Meyersieck.

Quelle: Feldpostbriefe von Pastor Johannes Meyersieck aus Oetinghausen.

Lit.: Ulrich Rottschäfer (Hg.): „Wir denken an Euch“. Feldpostbriefe eines ravensbergischen „Heimatpastors“ im Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2011.

Signatur: LkA EKvW 4.53 (Archiv der Ev. Kg. Hiddenhausen), Nr. 958

Tagebuch Hermann Bornemann, 6.9.1914

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Tagebuch Hermann Bornemann, 6.9.1914 (Ausschnitt)

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Biwack bei Bienne les Happard, Sonntag den 6. September 1914

5 Uhr wecken, Pferdepflege. ½ 7 Kaffee trinken. 9 ½ sollte Andacht sein. Wir werden heute wohl hier liegen bleiben und freuten uns sehr auf Ruhe und Schlaf. Diese Nacht war es sehr stürmisch geworden und kalt, und habe auch ich sehr gefroren nur im Mantel und ohne Decken. Die Woylachs [Satteldecken] müssen auf den Pferden bleiben und Schlafdecken haben wir keine. Doch der Mensch denkt, Gott lenkt! 8:15 kommt der Befehl: Fertig machen! Gleich darauf Abmarsch, wieder nach Bienne les Happard. Dort wurde das Mehl an die Bäckerei-Kol[onne] abgegeben und mehrere tausend Brote empfangen. Dann gleich weiter nach den Artilleriestellungen vor Maubeuge. Die Batterien haben heute ganz mächtig getroffen. Um 6 ½ waren wir zum Ausgang von Merbes-le-Chateau und sollten dort Biwack beziehen, weitere Befehle abwarten. Flott ging unsere Sektion ans Kartoffelschälen, welche hier in Menge standen. Bald hatten wir dann auch Kartoffeln und Specksause fertig. Eben hatten wir uns ein Lager gemacht, wozu wir Weizen- und Hafergarben eine ganze Strecke weit geholt hatten. als ein Auto kam und den Befehl zum sofortigen Abmarsch brachte. Wir marschierten dann noch 5 km bis zu den Stellungen der schweren Batterie. Merbes-le-Chateau ist fast ganz vernichtet, nur noch Ruinen. Ein trostloser Anblick. Als wir entladen haben, geht es zurück nach Bienne les Happard. Die Geschütze sind furchtbar am Rollen. Es wurde eine Fahrt mit Hindernissen für uns, da L[eutnan]t Puwelle sehr schlechter Laune. Die Leute hatten fast nichts gegessen. Nur ein kleines Stückchen Speck wurde ausgeteilt. Der K[omman]d[eu]r gebrauchte Ausdrücke und Titel für die Leute, welche ich in meiner aktiven Dienstzeit von keinem Vorgesetzten [gehört, E.M.] habe. ‚Schlage euch gleich ins Genick‘. ‚Diese Bande werde
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ich aufschwärzen.‘ ‚Sie sind wohl verrückt geworden!‘ u[nd] s[o] f[ort]. So etwas ist traurig, aber den hiesigen Wein kann nicht ein jeder vertragen. Die Fahrer mußten mehrere Kil[ometer] zu Fuß laufen, im Dunkel der Nacht, bei den schlechten Wegen. Um 6 ½ morgens kamen wir in Bienne les Happard an. Todmüde und hungrig, auch die Pferde sind abgetrieben zum Umfallen.

Quelle: Tagebuch von Hermann Bornemann (Herford). Privatbesitz. Leihgabe an das Gemeindearchiv Herzebrock-Clarholz.

Feldpostbriefe von Pastor Johannes Meyersieck aus Oetinghausen

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Pfarrer Johannes Meyersieck (1884-1971)

Pfarrer Johannes Meyersieck (1884-1971) hat als Inhaber der neugegründeten 2. Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Hiddenhausen seit Beginn des Ersten Weltkriegs 48 monatliche Feldpostbriefe an bis zu 380 Adressen junger Männer seines Seelsorgebezirkes Oetinghausen und Lippinghausen geschrieben und versandt.

Die vollständig erhaltene Briefsammlung wurde vom Autor selbst nummeriert. Die Briefe wurden zwischen dem 6. September 1914 und dem 13. Dezember 1918 an sämtliche männliche Gemeindeglieder versandt, die sich außerhalb der „Heimatgemeinde“, also im Einsatz als Kriegsteilnehmer, als Frontsoldaten, in der Rekrutenausbildung, in Lazaretten, in Kriegsgefangenschaft und dergleichen befanden.

Allein diese Beobachtung lässt schon den immensen technischen und organisatorischen Arbeitsaufwand, verbunden mit der notwendigen Kontinuität an Motivationskraft und Selbstdisziplin des Autors, erahnen, ohne die ein derart eindrucksvolles pastorales Wirken sich nicht hätte realisieren lassen. Umfasste die Anschriftenkartei nach den ersten Kriegstagen 1914 „lediglich“ 120 Namen und Feldpostadressen, so wuchs die im heimatlichen Pfarrhaus akribisch notierte Sammlung bereits im März 1915 auf 180 Empfängernamen, im Frühjahr 1915 auf 220 und ab Juli 1915 auf 300 Namen, um schließlich in den letzten zwei Kriegsjahren 1917 und 1918 konstant etwa 380 Anschriften zu umfassen. Mehrfach wurde darüber hinaus sogar eine Briefauflage nachgedruckt, deren (gewiss geringere, doch auch noch einmal umfangreiche) Höhe nicht sicher bekannt ist.

Vor diesem Hintergrund lässt sich schlussfolgern, dass die 48 Nummern der Briefserie allein in ihrer Erstauflage zu insgesamt 14.500 Exemplaren das Pfarrhaus verließen. Zählen wir die erwähnten Nachdrucke, aber auch die hunderte handgeschriebenen Briefe hinzu, die persönlich an die mehr als fünfzig Kriegsgefangenen aus den Heimatdörfern, die keine gedruckte Post empfangen durften, aber dennoch von dem unermüdlich sie umsorgenden Pfarrer nicht vergessen blieben, gerichtet waren, mit hinzu, werden mindestens 16.000 Feldpostbriefe (!) zuzüglich etwa 3.500 Paketsendungen (!) aus dem Oetinghauser Pfarrhaus versandt worden sein. Um diese gewaltige Anzahl, wenngleich auf gut vier Jahre verteilt, überhaupt praktisch zu bewältigen, bedurfte es tatkräftiger Zuarbeit: in ihren Handarbeitsstunden falteten die Mädchengruppen der Kirchengemeinde jahrelang alle Briefe auf das Postformat; der Jungfrauenverein und die großen Konfirmandengruppen halfen beim Adressenschreiben; der Jünglingsverein und (seit Dezember 1916, dem Einzug ins Pfarrhaus) auch die Pfarrfrau versahen ebenso mühsam wie gern ihre jeweiligen Aufgaben. So bedurfte es zwischen dem Verfassen und dem Absenden der Feldbriefe jeweils etwa dreier Wochen Zeit zum Adressieren und Versenden.

Der Herstellung und dem Versand eines Briefes ging, was nicht weniger arbeits- und zeitintensiv gewesen sein muss, das Lesen und Auswerten, Vergleichen, Sortieren, statistische Erfassen der unglaublichen Fülle an Rückmeldungen voraus! So sehnsüchtig die „Briefe aus der Heimatgemeinde“ an der Front, im Lazarett oder den Garnisonen erwartet wurden, so regelmäßig und zahlreich wurden sie selbstverständlich auch beantwortet. Aus Sibirien und aus Marokko, aus Polen und aus Russland, den Karpaten und der Slowakei, aus Ungarn, Galizien, Frankreich, Rumänien, Tschechien, den Vereinigten Staaten (USA), der Walachei, Litauen, Siebenbürgen, Masuren, Flandern und England, aus Finnland und Konstantinopel, aus Odessa und aus Kiew kommen die Rückmeldungen ins ravensbergische Dorfpfarrhaus! Vielfach werden sie erwähnt, wird den Absendern gedankt, werden ihre Informationen begrüßt und kommentiert und ihre Fragen beantwortet.

Johannes Friedrich Karl Gottlieb Meyersieck versah von Juni 1914 bis Oktober 1920 die zweite Pfarrstelle des alten ravensbergischen Kirchspiels Hiddenhausen. Neben dem ersten Bezirk des Kirchspiels mit dem Kirchdorf Hiddenhausen und den Nachbardörfern Eilshausen und Bustedt, den von 1889 bis 1930 der „Hauptpastor“ Wilhelm Meyer betreute, waren Pfarrer Meyersieck die beiden Dörfer des zweiten Bezirks der großen Gemeinde, Oetinghausen und Lippinghausen, zugeordnet.

Ein späterer Amtsnachfolger charakterisiert Meyersiek als jemanden, der „in dieser Zeit, in der die Männer im Felde waren, der Gemeinde nicht nur mit Rat, sondern auch mit der Tat beigestanden und sich nicht ‚geniert’ habe, in Feld, Garten und Stall kräftig mit anzufassen, wenn es not tat. Sogar auf die Obstbäume der Gemeindeglieder sei er gestiegen, wenn die Früchte reif waren, um den Frauen und Müttern ihre schwere Arbeit ein wenig zu erleichtern. Pfarrer Meyersieck ließ sich besonders die Seelsorge an seinen Gemeindegliedern im Felde angelegen sein und sandte ihnen immer wieder ein persönliches Wort und Grüße der Heimatgemeinde nach draußen. Auch die vielleicht nicht minder schweren Jahre nach dem Kriege war er der Seelsorger unserer Gemeinde. Am 10. Oktober 1920 hielt er seine Abschiedspredigt, um unmittelbar darauf das Pfarramt seines Vaters in Ubbedissen (Kirchenkreis Bielefeld) zu übernehmen.“ [Friedrich Wilhelm Witteborg, Die kirchliche Geschichte von Lippinghausen, in: Friedrich Pahmeyer, 800 Jahre Lippinghausen 1151–1951. Ein Festbuch zur 800-Jahrfeier der Gemeinde, Herford 1951, S. 67.]

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte Pfarrer Meyersieck nach einem Vikariat in Enger (1909/1910) und Einsätzen als Hilfprediger in Recklinghausen-Hüls (1911, dort auch Ordination), Schildesche-Brake (1912/1913) und Münster (1913/1914) sein erstes Pfarramt in Hiddenhausen erst seit wenigen Wochen angetreten (Einführung am 14. Juni 1914). Umso erstaunlicher ist darum sein auf jede einzelne Familie, jedes einzelne Gemeindeglied bedachtes Wirken und Sorgen, wie es in diesen Kriegsbriefen von Beginn an deutlich hervortritt, so als seien ihm seit Jahren alle Personen und familiären Zusammenhänge wie auch umgekehrt er selbst als Seelsorger der Gemeinde engstens persönlich vertraut – das Gegenteil war der Fall. Die relative Fremdheit, die beiderseits ohne Frage zunächst bestand, wird in keiner Zeile der Briefsammlung deutlich, was in der unmittelbar geweckten menschlichen und pastoralen Einfühlsamkeit dieses Seelsorgers, seinem seelsorgerischen Selbstverständnis, aber auch wohl der familiär geprägten Frömmigkeitstradition, der er entstammte, begründet lag.

Der Blick in die „weite Welt“ des harten Kriegsgeschehens lässt in scharfem Kontrast die Besinnung auf den Wert der „Heimat“ umso einprägsamer und ansprechender gelingen, wie überhaupt die Heimat-Begriff („Heimatgruß“, „Heimatgemeinde“, „Heimatkirche“, „Heimatpastor“) einen Schlüsselbegriff darstellt. Sämtliche der 48 Briefe sind mit der Betonung des „Heimatpastors“ unterzeichnet. Die Heimat – das ist dem Autor das Vertraute, das Geborgenheit Bietende (Familie, Kirche), das bodenständige Leben auf dem Land in seinem Jahreslauf.

Der Pfarrersohn Johannes Meyersieck wurde 1884 in Ubbedissen bei Bielefeld, wo sein Vater von 1883 bis 1920 das Gemeindepfarramt innehatte, geboren. Ursprünglich jedoch waren die Vorfahren im ravensbergischen Norden, in Preußisch Oldendorf ansässig, wo sein Großvater, der Kaufmann Gottlieb Meyersieck (gestorben 1855), als Mitbegründer und -initiator des Rettungshauses Pollertshof zu den klangvollen Namen des Höhepunktes der Ravensbergischen Erweckungszeit zu zählen ist.

Zu Beginn des Krieges 1914 meldete Meyersieck sich, kaum sechs Wochen im neuen Pfarramt, zum Feldprediger, und umso enttäuschter war er „als alter Soldat“, in eben dieser Aufgabe nicht an der Front, sondern in der heimatlichen Gemeinde stehen zu müssen. Neben der Erweckungsfrömmigkeit als biographischem und theologischem Standort, den er seelsorgerlich eindrucksvoll ausfüllt, kann und will er seinen glühenden Patriotismus, seine vertrauensselige Kaisertreue, ebenso seine Begeisterung für die Welt des Militärischen nicht verleugnen. Wie selbstverständlich spricht er seine Adressaten, denen er mit der Verkündigung des Evangeliums und pastoralem Trost dient, als „Kameraden“ an, denen er allzu gern in den Kriegseinsatz gefolgt wäre. Von der ersten Stunde an, dem „Tag der Mobilmachung“, an den Pastor Meyersieck Monate später noch in detaillierten Beschreibungen erinnert, ist der junge Gemeindepfarrer intensiv bemüht, „den guten Geist (zu) stärken und damit zur Schlagfertigkeit des Heeres […] beizutragen.“ Die großen Scharen der freiwillig sich Meldenden und einberufenen Männer aus beiden Dörfern seines Gemeindebezirkes werden innerhalb weniger Stunden jenes 1. August 1914 in der Schulkapelle zusammengerufen und mit einem Segnungs- und Abendmahlsgottesdienst zu ihrem Einsatz für das Vaterland verabschiedet. Unmittelbar darauf lädt Meyersieck die zurückbleibenden Angehörigen zu wöchentlichen „Kriegsbetstunden“ ein, die bis Kriegsende bestehen bleiben. Darüber hinaus dienen 14-tägige Gemeindeversammlungen angesichts des Fehlens der Männer nicht zuletzt als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft der „Besprechung der wirtschaftlichen Lage“ in den Familien des Dorfes.

Während aller Kriegsjahre beteiligten sich die Dörfer Oetinghausen und Lippinghausen, organisiert durch Pfarrer Meyersieck, an zahllosen reichsweiten Aktionswochen zur Unterstützung der Kämpfenden. In der sog. „Reichswollwoche“ wurden auf diese Weise jährlich gut 100 selbstgefertigte warme Wolldecken an die Front und in die Garnisonen geschickt. Über das ganze Jahr verteilt bittet der Gemeindepfarrer sodann um Sachspenden, mit denen Hunderte von Paketen zusammengestellt werden, um Strümpfe und Leibwäsche, Kniewärmer und Leibbinden, Hemden und Hüte, Pulswärmer und Handschuhe – und natürlich Zigarren, wie sie weithin im Ravensberger Land in Heimarbeit hergestellt werden, an die wartenden Empfänger im In- und Ausland zu befördern; allein bis Sommer 1917 waren aus Pfarrer Meyersiecks zweitem Pfarrbezirk insgesamt 489 Männer zum Kriegseinsatz herangezogen worden.

Neben Sachspenden kamen zahllose Geldspende-Aktionen zur Durchführung, so etwa die „Rote-Kreuz-Spende“, die „Allgemeine Volksspende“, die „Kaisergeburtstagsspende“, die „Ludendorffspende“, die „Hindenburgspende“, die „U-Boot-Spende“ und diverse andere. Hinzu kamen insgesamt acht Aufrufe zu Kriegsanleihen, für die auch Meyersieck sich wiederum kräftig werbend einsetzte.

Vom Erntedanktag 1914 an bildete sich sodann unter seiner Initiative und Leitung eine eigenständige Oetinghauser „Jugendkompanie“. Wenngleich in allen Gemeinden des Landes dazu aufgerufen wurde, bedurfte es doch stets eines Organisators, und eben dazu sah Meyersieck sich spontan berufen. So fanden sich auch sofort 72 Jungen seines Dorfes im Alter zwischen 16 und 20 Jahren ein, um durch ihren jungen Pastor eine Art militärische Grundausbildung zu erhalten. Für den Ausbilder wie für seine Rekruten war das ein schwacher, aber umso ernsthafter betriebener Ersatz für das Dabeisein „im Felde“.

Verständlicherweise gewann dieser unermüdliche Einsatz für die fernen Väter, Söhne und Brüder in den Adventwochen seinen Höhepunkt. Trotz mancherlei eigener und wachsender Entbehrungen, trotz Lebensmittelkarten, Geldnot und Knappheit an Brennmaterial wie anderem alltäglichen Bedarf verschickte die Kirchengemeinde wahre Paketberge zum Weihnachtsfest, Kisten und Schachteln, gefüllt mit Lebensmitteln, Strickwaren, Kerzen, Büchern und süßen Backwaren.

Dieses heute kaum zu ermessende Ausmaß an Aktivitäten, von denen die weitaus meisten in Pfarrer Meyersieck ihren rastlosen Vermittler und Initiator hatten, macht die kontinuierlich und parallel dazu geleistete Briefseelsorge, wie sie sich in der Briefsammlung zeigt, als ein riesiges Arbeitsfeld umso beachtlicher.

(Pfr. Ulrich Rottschäfer, Ev.-luth. Kirchengemeinde Hiddenhausen-Stephanus)

Lit.: Ulrich Rottschäfer (Hg.): „Wir denken an Euch“. Feldpostbriefe eines ravensbergischen „Heimatpastors“ im Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2011.

Signatur: Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen (LkA EKvW) Bestand 4.53 (Archiv der Ev. Kg. Hiddenhausen), Nr. 958