Aus dem Tagebuch von Hedwig Stegemann, Herford, 5.8.1915

Herrliche Wochen liegen hinter mir. Wie im vorigen, so hatten wir auch in diesem Juli Monatskarten nach Salzuflen. Im vergangenen Jahre war es schön, aber dieses Mal noch viel schöner. Da in Salzuflen auch Militär und zwar die 67er liegen, war der Kurpark immer voller Soldaten. Feine Kerls darunter. In den ersten Wochen war ich meistens allein, am letzten Sonntag lernte ich ein Fräulein Käte Plaitrich aus Berlin kennen. Sehr nettes und feines Mädchen. So schnell, wie mit ihr, habe ich wohl noch mit niemanden Freundschaft geschlossen. Das hatte auch seine Gründe.
Wir beiden haben nämlich desselben Geschmack: Ein schöner Leutnant mit verbundenem Kopf, da ihm im Kriege das linke Auge ausgeschossen ist. Zum ersten Mal sah ich ihn, als wir mit Logmann’s an einem Sonntag in Salzuflen waren. Dann, als ich mit Anna E. und Frau Ramm da war, saß er mir gegenüber. Als wir Monatskarten hatten, war er in denn ersten Tagen nicht da, dann kam er mal ab und zu des Nachmittags. Einmal traf ich ihn abends auf dem Bahnsteig und dachte natürlich, er wäre abgereist, erfuhr dann aber, daß er jeden Abend nach Lemgo fährt. Eine Zeit lang war er immer ganz allein, auf seinem Gesichte war eine ganze Leidensgeschichte, er tat mir daher entsetzlich leid. Jetzt erschien er meistens um 6 Uhr mit dem Zuge, spazierte erst einige Mal durch den Kurpark und setzte sich dann auf seinen Platz vorn auf die Terrasse. Nach der Pause ging er dann ganz langsam herum. Käthi und ich haben ihn das erste Mal zum lachen gebracht, als er mit zwei anderen Damen da war, die aber ungefährlich scheinen. Ich hatte vorher schon mal gedacht, er könnte überhaupt nicht lachen.

Am Sonntag den 1. August [1915] war ich, trotzdem unsere Monatskarte abgelaufen war, doch in Salzuflen. Als ich mit Frau Ramm und deren Bruder die Promenade herunterging, sah ich, daß auch Meyerings mit ihrem Sohn da waren. Der Leutnant Meyering war mir schon vom vorigen Winter vom Waldfrieden her bekannt und interessant. Schneidiger Kerl, wohl der schneidigste Offizier, den ich je gesehen habe. Jetzt war er sehr schwer verwundet gewesen, anfangs sogar hoffnungslos, humpelte daher noch ziemlich stark. Dieser verlorene Sohn, wie wir ihn getauft haben, gesellte sich nun zu unserem verbundenen Leutnant, dem wir allmählich den schönen Namen Bubi gegeben haben. Als wir die Promenade herunter gingen, saßen die beiden einträchtig auf einer Bank, Meyering redete immer auf Bubi ein. Ob die sich wohl schon immer gekannt haben! Sonst ist der verlorene Sohn 50% in meiner Achtung gestiegen, dadurch, daß er den armen verbitterten E. angeredet und aufgeheitert hat.
Nun haben wir mit den beiden noch kolossal viel Spaß gehabt. Trafen wir den alten Meyering ohne Sohn, so bogen wir schleunigst aus, damit er nicht grüßte, und der Sohn, wenn er nachher bei ihm war, mit grüßen musste. Eine Dame, die bei Meyerings zu Besuch ist, haben wir kurz und Bündig die Schwiegertochter getauft, trotzdem sie ziemlich ungefährlich scheint.

Doch unsere beiden Leutnants haben noch andere Verehrerinnen gefunden: Geschwister Pape und die beiden sogenannten Gespenster. Mit der Schwester der letzteren, einem Zopfmädel hatte M. mal auf der Bank Bekanntschaft geschlossen, und da laufen eines Tages alle vier im Abstand von drei Schritten hinter den beiden mit der Kleinen her. Aber der Bubi und auch M. wollten mit denen nichts zu tun haben. Das haben sie uns besonders deutlich abends auf dem Bahnhof gezeigt. E. schien den Zug nach Lemgo verpasst zu haben, als er nun mit M. auf dem Bahnsteig erschien, wurden sie gleich von den Gespenstern und s[o] w[eiter] umringt. Nachher wollte Bubi zu Anna und mir ins Abteil steigen, aber leider war es schon besetzt.

Quelle: Das Tagebuch der Hedwig Stegemann aus Herford im Ersten Weltkrieg (1.1.1914-10.5.1918)

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv Herford, Slg. E 521 (Transkription C. Laue)

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