Nordwestfront
Dezember 1915Hochverehrter Herr Pastor Jaeger!
Hochverehrte Frau Pastor!Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Gruß! Es freut uns im Felde jedes Wort der Teilnahme, wie auch mir oft nach Hause danken und uns freuen, daß daheim wenigstens Frieden ist und wir nicht umsonst leiden. Auch der Christ braucht sich seiner Angst nicht zu schämen. Aber es ist ein Leid, immer in Angst zu sein, und dagegen tröstlich, daß man sich letzten Endes doch in des Herrn Hand weiß. Neulich erhielten wir beim Ausschachten eines Wassergrabens hinter der vorderen Stellung Artilleriefeuer. Ohne Unterstände, nur mit dem geringen Schutz des Grabens, erwarteten wir jede Granate, wie sie zischend herankam, in atemloser Spannung. Es wurde, gottlob, niemand verletzt. Der beste Treffer war ein Blindgänger. Vor einigen Tagen mußte ich mit einem Kameraden über eine weite Höhe, auf der uns die Engländer gut beobachten konnten. Während ich etwas unruhig einen Flieger über uns beobachtete, den ich dann allerdings als einen deutschen erkannte, fand der andere – ein Buch:
Manuel des Enfants de Marie, ein Werk, das mich in der Achtung, die ich auch vor der katholischen Kirche habe, noch bestärkt. Es ist eben nicht alles Formsache, sondern auch drüben ein Glaube möglich, der bewahrt und auch zum Leben führen kann, wo Aufrichtigkeit ist. In dem Orte, wo wir sonst in Ruhe liegen, gehen viele Leute täglich, wahrscheinlich zu kurzer Andacht, in die Kirche. Neulich hatten wir ein schönes Weihnachtskonzert in einer Ortschaft hier dicht hinter der Front. Weihnachten wird es uns vielleicht vergönnt sein, in Ruhe zu feiern.
Zu dem schönen Feste sendet Ihnen die herzlichsten SegenswünscheIhr
Alfred Heinisch.
Alfred Heinisch, geboren am 27.9.1893, war im Sommersemester 1914 Student an der Theologischen Schule Bethel. Pastor Samuel Jaeger war Rektor der späteren Kirchlichen Hochschule.
Quelle: LkA EKvW Bestand 13.99 (Kirchliche Hochschule Bethel), Nr. 1250/2