Gedenkblatt „Dem Gedächtnis unserer gefallenen Kameraden“, 1926

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Dem Gedächtnis unserer gefallenen Kameraden

Ring der Flieger e.V. 1914-1918 Ortsgruppe Bielefeld

Bei dem großformatigen Gedenkblatt handelt es sich um den Druck einer Radierung des Malers und Graphikers Karl Bloßfeld (1892-1975) aus dem Jahr 1926. Die Familie Kisker in Bielefeld erhielt dieses Blatt im Gedenken an ihren 1916 gefallenen Sohn und Flieger Rudolf Kisker.

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker, Ger.Pl. Nr. 3

Einweihung des Denkmals „Verwundeter“ auf dem Bielefelder Johannisberg

Das Denkmal „Verwundeter“, das sich auf dem Bielefelder Johannisberg befindet, geht auf eine im Jahr 1920 erfolgte Stiftung des Bielefelder Textilunternehmers und Leinenfabrikanten Georg Kisker (1862-1948) zurück. Vier Jahre zuvor, am 29. Juli 1916, war sein zweitältester Sohn Rudolf im Luftkampf bei Ypern gefallen. Für ihn und alle anderen Soldaten, die im Weltkrieg den „Heldentod fürs Vaterland“ gestorben waren, sollte ein „Kriegerehrenmal“ errichtet werden. Den Auftrag für das Werk bekam der in Bad Kreuznach geborene Künstler Emil Cauer d. J., der einer Bildhauer-Dynastie entstammte und in Berlin ansässig war.

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Abb.: Fotos vom Denkmal „Verwundeter“ auf dem Bielefelder Johannisberg, 2015 (Fotos: Eva-Maria Hartmann)

Am 26. November 1922, einem Totensonntag, fand die feierliche Einweihung des Denkmals statt. Der Aufstellungsort auf dem Johannisberg wurde von der Bielefelder Schützengesellschaft zur Verfügung gestellt, deren nahe gelegenes Schützenhaus im Krieg als Militärlazarett verwendet worden war.

Das Thema der Kriegsverletzung wird motivisch von Cauers Denkmal aufgegriffen: Es stellt einen knienden Soldaten dar, der am Kopf verletzt wurde und sich selbst einen Verband anlegt. Durch seine Verwundung wird der Soldat zwar beeinträchtigt, er ist jedoch weiterhin kampfbereit und keineswegs besiegt. Diese Aussage des Denkmals lässt sich als Bereitschaft zur Revision der Niederlage im Ersten Weltkrieg deuten.

Im Unterschied zum Original, das im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim vor dem Rathaus steht und aus Bronze gefertigt ist, besteht die Bielefelder Skulptur aus Muschelkalk- aus dem gleichen Material wie der Johannisberg – und ist etwas kleiner.

Zur Zeit des Nationalsozialismus fanden an dem Kriegerdenkmal Heldengedenkfeiern statt.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der „Verwundete“ wechselvolle Zeiten hinter sich. Durch eine Ergänzung der Sockelinschrift im Jahr 1955 wurde das Andenken auf die Gefallenen der Jahre 1939 bis 1945 erweitert. Die Skulptur wurde wiederholt beschädigt: Unter anderem wurden der Kopf und die Hände bzw. Arme des Soldaten mehrfach von Unbekannten entfernt. Zu einer „Köpfung“ des Soldaten bekannte sich im Jahr 1995 eine „Antifaschistische Einheit Eberhard Arnold“ (Neue Westfälische vom 1.2. 1995).

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Abb.: Gipsabdruck des Kopfes (Foto: Eva-Maria Hartmann)

Die jüngste, erstmals originalgetreue Restaurierung des Denkmals wurde von dem Bielefelder Bildhauer Christian Stiesch im Jahr 2011 durchgeführt. Diese fachgerechten Arbeiten sowie eine Versetzung des Denkmals an seinen jetzigen, mittlerweile dritten Standort auf dem Johannisberg wurden von Wilken Kisker, dem Urenkel des Stifters, finanziert. Dieser hatte sich eingeschaltet, nachdem die Skulptur im Rahmen der Umgestaltung des Johannisbergs an eine denkbar ungeeignete Stelle versetzt worden war: an die Straße zum Hotel „Park Inn“, direkt vor dem Werbeschild des Hotels. Die Stadt Bielefeld zeigte sich gesprächsbereit und der „Verwundete“ konnte nach der Restaurierung an seinem heutigen Standort auf einer Wiese an der „Roteichen-Allee“ aufgestellt werden.

Im März 2015 wurde dort eine Pulttafel installiert, auf der sich Interessierte über die Denkmalgeschichte informieren können. Die Tafel gehört zu einem neuen Informationssystem, das an zentralen Stationen an die Geschichte der Parkanlagen auf dem Johannisberg erinnern soll.

(Eva-Maria Hartmann, Privatarchiv Familie Kisker, Bielefeld)

Dankurkunde des Kriegshilfsvereins Bielefeld, 1919

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Der Kriegshilfsverein
dankt
Frau Marie Kisker
herzlichst für treue Mitarbeiter in der
Kriegsfürsorge in den Jahren 1914-1919

Bielefeld, Weihnachten 1919
Oberbürgermeister Stapenhorst

Großformatige Urkunde mit dem Bielefelder Stadtwappen (oben) und dem Eisernen Kreuz (unten) sowie dem Hinweis auf verschiedene „Kriegsfürsorge“-Dienste: Bahnhofsdienst, Volksküche, Familienfürsorge, Kleiderausgabe, Verwundetenfürsorge, Näh- und Flickstube, Strick- und Nähausgabe, Kriegsbeschädigten- und Hinterbliebenen-Fürsorge, Liebesgaben-Dienst, Sammel-Dienst.

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker, Ger.Pl. Nr. 1

Beerdigungsansprache zum Tode von Flieger Rudolf Kisker, 1916

Trauerbrief und Beerdigungsansprache des Bielefelder Superintendenten und Pfarrers der Evangelischen Altstadt-Nicolaikirchengemeinde, Friedrich Lappe (1845-1928), anlässlich des Todes von Flieger Rudolf Kisker 1916.

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Kolberg, 23. Aug[ust] 1916

Sehr geehrte Frau Kisker!
Anbei überreiche ich Ihnen die von
mir am Sarge Ihres tapferen
Rudolf gehaltene Gedächtnisrede.
Von kleinen Abweichungen abgesehen,
die bei der freien Rede vorkommen,
ist die Rede wortgetreu wiederge-
geben. Möge die Abschrift Ihr und
der Ihrigen Herzen trösten und stärken,
wie es auch meine Absicht war, als
ich die Rede hielt.
Verzeihen Sie, daß ich die Abschrift
erst jetzt sende. Ihr Herr Pfarrer
mußte mir zuvor das Concept
senden, und dann pflegt man
[2] im Urlaub nicht sehr eilig mit
den Pflichten zu sein.
Herzlichste Grüße von meiner
Frau und Ihnen ergeben treu

Lappe

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Rede am Sarge des am 29. Juli 1916 im Luftkampf gefallenen Leutnants d. R. Rudolf Kisker, gehalten am 4. August 1916 bei seiner Beisetzung in der Kapelle des Sennefriedhofs von Superintendent Lappe in Bielefeld.

Teure Leidtragende! Ungeheuer sind die Verluste, die dieser fürchterliche Krieg uns kostet. Die Blüte unserer Jugend, die Fülle unserer männlichen Volkskraft steht draußen im blutigen Ringen mit dem Feind, der Millionen über Millionen aller Länder und Rassen gegen die deutsche Wehrkraft anstürmen lässt. Hunderttausende jugendfrischer, lebensvoller, zukunftskräftiger Söhne Deutschlands sind schon gefallen. Große Erwartungen und Aussichten sind zu Grabe getragen, wertvolle, unersetzliche Glieder unseres Volkes uns entrissen. Mit heiligem Ingrimm und tiefer Trauer sehen wir von Tag zu Tag die Verluste sich häufen und den Strom von Blut und Tränen höher steigen. Wir klagen und klagen an die Urheber dieser unabsehbaren Verwüstung.
Zwar ist in den zwei hinter uns liegenden Jahren

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des Weltkriegs der Tod uns mehr und mehr das alltägliche Erlebnis geworden, aber wir können und sollen uns nicht an ihn gewöhnen, denn seine Schatten umnachten unser Glück, und seine Schauer zittern in unseren Gliedern. Das empfinden wir allemal, wenn des Krieges rauhe Hand ein junges hoffnungsvolles Leben, das uns nahestand, plötzlich ausgelöscht hat, das empfinden wir jetzt an dem Sarge des jungen Helden, dessen sterblich Teil in der heimischen Erde, für die er mit begeisterter Hingabe stritt, gebettet werden soll.
Doch zum Klagen sind wir nicht hier, das hilft uns nichts. Wir wollen uns vielmehr zu schicken suchen in die schweren Opfer, die nach Gottes hohem Rat von unserm gesammeten Volke, aus seinen Hütten und Palästen, gefordert werden. Darum möchte ich euch Leidtragende, insonderheit euch Eltern, Geschwistern und Anverwandten das uralte Grabbekenntnis ins Herz senken:
„Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet!“ (Hiob 1,21)

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Der Herr hat es gegeben. Daß Kinder eine Gabe Gottes sind, das habt ihr, teure Eltern, wohl nie so lebhaft empfunden als in diesen Tagen, als in dieser Stunde. Es ist doch der schönste Garten, der euch in euren sechs Kindern erblüht ist. Freilich auch solch ein Garten bedarf der Pflege, der Aufsicht, der Arbeit. Aber ihr saht eure Kinder sich entfalten, ein jedes in seiner Art, und unter ihnen euren geliebten Rudolf. Ihr habt euch gefreut an der Offenheit Gradheit und Aufrichtigkeit seines Charakters. Ihr saht ihn immer mehr in das Leben und seine Aufgaben hineinwachsen. Ihr billigtet, dass er sich den uralten Beruf des Landwirts erwählte. Es war euch eine Freude zu sehen, wie er sich allerwärts in Menschen und Verhältnisse zu finden wußte. Es erquickte euch, zu vernehmen, dass die, deren Leitung er anvertraut war, ihn liebten und schätzten fast wie ein eigenes Kind. Da begann der Weltkrieg. Es verstand sich von selbst, dass er, der bereits des Königs Rock getragen, sofort zu den Fahnen eilte. Er tat seinen Dienst im Westen und im Osten an der Front und in der alten Garnison. Dann meldete er sich zu der Waffe, zu der ihn besondere Begabung und Neigung zog. Er wurde Flieger und ward eingereiht in die

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Schaar derer, die wir wegen ihres Wagemuts, ihrer Kaltblütigkeit, ihrer Entschlossenheit und ihrer Umsicht bewundern. Wie viele für die Heeresleitung wichtige aufklärende Flüge mag er vollführt haben! Wie oft ist er den spähenden Augen und den todbringenden Kugeln des Feindes glücklich entgangen! Für sein tapferes Verhalten zierte seine Brust das Eiserne Kreuz zweiter und erster Klasse. Ihr, teure Leidtragende, blicktet mit berechtigtem Stolze auf diesen Sohn, diesen Bruder.
Da kam der 29. Juli. Er geriet bei einem Aufstieg mit seinem Beobachter, wie es scheint, unversehends in einen Luftkampf gegen feindliche Uebermacht, gegen acht Luftfahrzeuge. Die feindlichen Kugeln verfehlten diesmal ihr Ziel nicht, sie löschten zwei junge deutsche Heldenleben aus.
Sobald aber ein Herz draußen auf der Walstatt aufhört zu schlagen, fangen viele in der Heimat an zu bluten.
Und so breitet sich von Ost und West schon unabsehbares, namenloses Leid über unser junges Volk aus. Unzählige tragen schwer an dem unsichtbaren Eisernen Kreuz, das ihnen der grausige Weltkrieg auferlegt hat, und werden

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es tragen ihr Leben lang.
Doch die ihr im Blick auf die teuren Lebensgüter, die euch in euren Söhnen, Brüdern, Gatten und Vätern gegeben sind, dankbar sprechen dürft: „Der Herr hat’s gegeben“, dürft ihr nicht nun auch im Blick auf die Vollendeten getröstet sprechen: „Der Herr hat’s genommen“? Denn das ist mir ganz gewiß, dass in diesen gewaltigen Geschehnissen Gott der Herr handelt, und dass die Menschen darin seine Werkzeuge sein müssen.
Gott hat uns Vaterland und Volkstum gegeben, und wir Deutschen sollen jetzt im blutigsten aller Kriege es beweisen, daß es uns das wertvollste irdische Gut ist, für das die größten Opfer zu bringen wir fähig sind. Der Tod für das Vaterland ist dem Vaterlandsfreund kein widerstrebendes Erleiden und Erliegen, Vergehen und Verwerfen, sondern ein freiwilliges, rückhaltloses Einsetzen des Lebens für das Leben unseres Volkes. Als unsere Krieger hinaus zogen, da haben sie sich losgerissen von allem und von sich selbst. Da wollten und suchten sie nichts mehr für sich sondern traten ganz ein für das

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Vaterland, da gaben sie ihr Leben auf, um nur als Waffe und Wehr ihres Volkes zu leben. Wo aber Menschen frei und froh für ihr Volk in den Tod gehen, da gibt es keine abgebrochenen Existenzen sondern nur vollendete. Merken wir es unseren Kriegern nicht an, welch eine Entwicklung sie durchmachen, wie aus Jünglingen Männer werden, wie sie reifen, auch reifen für die Ewigkeit? Schauen wir doch bei unseren vollendeten Helden auf den Flug ihrer Seele, auf die Himmelfahrt ihres Heldentums! Dann werden unsere Tränen versiegen, und wir können ergebungsvoll und getröstet sprechen: „der Herr hat es genommen“. Ja, wir kommen auch noch dazu, anbetend zu sprechen: „der Name des Herrn sei gelobet!“ Wie oft haben wir schon in diesen zwei Jahren des furchtbarsten aller Kriege Ursache gehabt, Gott zu loben über all dem Großen, das er unserm Volke hat zuteil werden lassen! Es ist ja ein Wunder vor unsern Augen, daß die Übermacht unserer Feinde uns nicht hat niederringen, und ihre Bosheit uns nicht

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hat verderben können. Das danken wir Gott, und wir loben darüber seinen Namen, daß er den Geist opferwilligen Leidens und Sterbens den Herzen unserer tapferen Krieger eingegeben hat. Nur daß unser Dank nicht etwa blos in Worten stecken bleibe! Er muß auch bei uns Daheimgebliebenen zur Tat werden. Auch wir müssen die Verpflichtung fühlen, nicht mehr uns selbst zu leben sondern unserm Volke, nicht mehr uns dienen zu lassen vom Leben sondern unser Leben hinzugeben für die anderen, nicht mehr das Unsere zu suchen sondern was dem Vaterlande frommt. Angesichts der unzähligen Heldengräber in Ost und West und hier daheim wollen wir tun, was draußen unsere Truppen tun, wenn große Lücken gerissen sind: wir wollen Fühlung mit einander gewinnen und uns desto enger zusammenschließen. Dann wird aus der großen Todesnot unseres Volkes neues Leben erblühen, und die furchtbaren Verluste werden nicht vergeblich gelitten sein. Dann wird auch in unserm deutschen
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Volke die Herrlichkeit unseres Gottes mehr und mehr offenbar werden dadurch, dass wir angesichts unserer vollendeten tapferen Heldensöhne dankbar bekennen: Der Herr hat’s gegeben! ergebungsvoll sprechen: der Herr hat’s genommen! und anbetend rühmen: Der Name des Herrn sei gelobet! Amen!

 

(Eva-Maria Hartmann, Privatarchiv Familie Kisker, Bielefeld)

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker, Nr. 202

Der Soldat und Flieger Rudolf Kisker (1889-1916) aus Bielefeld

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Rudolf Kisker (1889-1916), Foto ca. 1913, Privatarchiv Familie Kisker, Nr. 7

Rudolf Kisker wurde am 9.11. 1889 in Bielefeld als zweitältestes Kind des Webereifabrikanten Georg Kisker und seiner Frau Marie geboren. Im Jahr 1896 wurde er in die Vorschule zum Gymnasium und Realgymnasium in Bielefeld aufgenommen, die er bis 1899 besuchte. Nach bestandener Aufnahmeprüfung für die Sexta der weiterführenden Schule ging er bis zum Herbst 1900 auf das Gymnasium und Realgymnasium seiner Heimatstadt. Georg Kisker zufolge war sein Sohn ein „schwieriger, bockiger Junge, aber ehrlich, furchtlos und treu“ (Fi. AWK, 334). Dementsprechend schwer tat sich Rudolf Kisker mit der Schule.

Zur besseren Förderung schickten ihn seine Eltern deshalb nach Godesberg auf das evangelische Pädagogium, wo er in die Sexta aufgenommen wurde. 1906 bestand er dort die Prüfung zum Einjährig-Freiwilligendienst und kehrte anschließend – im Alter von 16 Jahren – nach Bielefeld zurück. Hier besuchte er die Obersekunda und Unterprima der städtischen Oberrealschule zu Bielefeld, wurde jedoch in der Unterprima nicht versetzt. Sein Vater gab daraufhin seiner Bitte nach, die Schule verlassen zu dürfen. Seine nächste Station war die Deutsche Kolonialschule in Witzenhausen, denn er strebte eine Kolonialtätigkeit als Farmer oder Pflanzer in Südwest-Afrika an. Nachdem er ein Praktikantenjahr absolviert hatte musste er die Kolonialschule jedoch aufgrund eines Schulverweises wieder verlassen.

Kiskers beruflichen Pläne richteten sich nun darauf, Landwirt in Deutschland zu werden. In den folgenden Jahren widmete er sich erfolgreich seiner landwirtschaftlichen Ausbildung in Theorie und Praxis und leistete zudem seine einjährige Dienstzeit und erste Übungen bei den Jägern zu Pferde in Erfurt ab. Nachdem er einige Monate die Landwirtschaftliche Hochschule in Berlin besucht hatte, erreichte ihn dort Ende Juli 1914 der Einberufungsbefehl: Der Erste Weltkrieg hatte begonnen.

Rudolf Kisker wurde zum Kürassier-Regiment von Driesen nach Münster beordert, mit dem er sofort nach der Mobilmachung als Vizewachtmeister bei der Bagage, die für das Gepäck zuständig war, in Belgien einrückte. Er war beim Vormarsch des rechten Flügels bis kurz vor Paris und dem anschließenden Rückzug nach Norden dabei. Er erhielt dann ein Kommando bei einem Infanterie-Regiment, das in Polen gegen die Russen kämpfte. Hier erkrankte er nach nur wenigen Tagen an einer schweren Bronchitis und wurde in ein heimatliches Lazarett geschickt. Wieder zurück bei den Erfurter Jägern, wurde er Ausbildungsoffizier bei der Ersatzschwadron.

Seine Pläne richteten sich in der Folgezeit darauf, Flieger zu werden, was ihm auch gelang: Zur Fliegertruppe versetzt und in Leipzig ausgebildet, wurde er im Oktober 1915 an die Front nach Belgien befohlen, wo er vor allem im Fliegerlager von Menin bei Courtrai als Aufklärungsflieger tätig war. Nur wenige Wochen nach einem Heimaturlaub in Bielefeld wurde Rudolf Kiskers Flugzeug am 29. Juli 1916 im Luftkampf durch ein englisches Geschwader über Zandvorde bei Ypern abgeschossen. Mit ihm starb sein Beobachter Leutnant vom Holtz. Nach der Überführung der Leichen wurde Rudolf Kisker am 4. August 1916 auf dem Bielefelder Sennefriedhof beigesetzt.

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Der Grabstein Rudolf Kiskers auf dem Sennefriedhof (Foto: E.-M. Hartmann)

(Eva-Maria Hartmann, Privatarchiv Familie Kisker, Bielefeld)

Foto: Rudolf Kisker in Uniform mit Pickelhaube, aufgenommen 1913 (oder 1914) in Erfurt bei den Jägern zu Pferde (in Erfurt: Ableistung der einjährigen Dienstzeit und erster Übungen)

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker, Nr. 7 (Foto); Firmenarchiv A.W. Kisker, Nr. 334

Feldpostbrief von Rudolf Kisker an seine Mutter bzw. Eltern in Bielefeld, 12.3.1916

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Abb.: Familie Kisker, wahrscheinlich Weihnachten 1915 vor dem Elternhaus am Goldbach 13 (heute Kiskerstraße 13) in Bielefeld. Von links nach rechts: Rudolf Kisker (mit EK II und Flugzeugführer-Abzeichen) mit den Schwestern Gertrud und Marie-Luise (das Nesthäkchen, genannt Miese), in der Mitte die Eltern Georg und Marie Kisker und die Brüder Kurt (in Uniform), Georg und Karl Kisker ganz rechts.

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker (Bielefeld), Nr. 282.

Feldpostbrief von Rudolf Kisker an seine Mutter bzw. Eltern in Bielefeld, 12.3.1916

M.[enin] 12./3. 16, Eingang 15.3. morg. Liebe Mutter! Eben glücklich gelandet, bringt mir die Post Deinen lieben Brief vom 10./3. Dank dafür, für Tee – Zwiebäcke u. Kragenknöpfe. Ich kann diesmal wirklich sagen glücklich gelandet, denn wir hatten böse Luftkämpfe. Wir wollten an u. hinter der Front lotrechte Lichtbilder machen, sahen aber als wir 2500 m hoch waren ein feindl. Geschwader von 6 Farman-Apparaten in gleicher Höhe in Gegend Messines die Front überfliegen. Wir drehten natürlich sofort bei und verfolgten die Brüder. (leider hatten wir nur das hintere M.G. mit) Über Lille war ich in 3000 m etwa 300 m über den Feinden. (einer hatte abgedreht.) und griff nun an, flog hart hinter dem (in gleicher Höhe) Letzten senkrecht zu dessen Flugrichtung durch und mein Beobachter konnte fleissig schiessen. Die gemeine Bande klebte aber wie Kletten zusammen und griff, nachdem der Geschwaderführer eine rote Leuchtkugel abgeschossen hatte, gleichzeitig an. Wir haben mächtig auf der Nase geschwitzt und feste gefunkt. Schliesslich konnten wir uns nur durch Flucht in tiefere Schichten retten. Merkwürdigerweise hatten wir nur einen Treffer, obgleich wir so nah zusammen waren, dass ich das Mündungsfeuer sehen konnte. Natürlich hat man im richtigen Augenblick das 2. M.G. nicht da. Vater sende ich ein Stück Stoff von dem franz. Eindecker, mit roter Nationalfarbe von der Kokarde. Ich danke ihm für die letzte Zigarrensendung und bitte, mir keine Zigaretten mehr zu senden, denn für die hat Vater kein Verständnis. Die mir zugedachten sind kaum zu rauchen, es sei denn an der frischen Luft bei Wind. Für das Geburtstagsverzeichnis Dank, hoffentlich hilft es meinem schwachen Gedächtnis nach. An die Vettern vor Verdun und besonders an Back [Spitzname von Rudolf Oetker, dem am 8.3.1916 vor Verdun gefallenen Jugendfreund von Rudolf Kisker] habe ich die Tage viel gedacht. Brauns der am Mittwoch als mein Gast hier war hatte auch Sorgen. Hoffentlich sind die abgeschickten Kragen nicht zu niedrig. Das angegebene Mass war gerade recht. Das Wetter ist heute herrlich warm. Ich sitze im Freien in der Sonne vor unserem Häuschen und schreibe auf den Knien diesen Brief. Nach meinen Plänen wird vor dem Häuschen z. Zt. ein kleiner Garten der sich in’s Gelände verläuft angelegt. Rododenderon (kleine Büsche mit vielen Knospen 70 cm hoch) ebenso Kirschlorbeer bunt und einfarbig haben wir aus Gent in reicher Fülle beschafft. (Stück 50-75 cts.) auch Flieder und kleine Stauden für das „Beet an der Terasse“ sind beschafft. Leider sind meine Pläne nicht ganz bewilligt worden. Ich wollte in den Rasen nur Gruppen setzen, aber nein es müssen runde Beete sein. Wenn es im Sommer blüht sende ich Euch Bilder davon. Nach einigen unangenehmen Zwischenfällen mit dem Hauptmann, die leider fast täglich mit einem oder dem anderen Herren vorkommen, habe ich mich heute früh entschlossen ein klärendes Wort mit ihm zu reden. Ich bin befriedigt. Rückhaltlos habe ich ihm meine Klagen vorgebracht die er zum Teil mehr oder weniger annerkannte. Wir schieden versöhnt und ich hoffe, dass es von nun an besser geht. Das heisst ich muss noch mehr den Mund halten und ich hoffe, dass er auch kameradschaftlicher wird. Ich glaube nicht nur mir genützt zu haben, sondern durch das offene Wort auch der Abt[eilung] im Ganzen gedient zu haben und sehe mit Freuden in die Zukunft. Ich bin heute wirklich sehr zufrieden. Der schöne Tag, der glücklich gelandete Flug und die geklärte Lage mit dem Hauptmann haben mir sehr gut getan. Ich grüsse Euch Alle herzlichst. Dir einen Kuss v. Deinem Sohne Rudolf [P.S.] Eben fällt mir noch ein, dass ich Euch noch garnicht geschrieben habe, dass der neulich abgeschossene Eindecker (nach Focker Art) von einem unserer Herren abgeschossen worden ist. Es ist sicher derselbe Moran[e], der mich so oft gejagt hat. Bei der Verfolgung ist er durch Brustschuss ausser Gefecht gesetzt und bei Wytschaete abgestürzt. Die Masch[ine] ist mit Focker nicht zu vergleichen, die Schussvorrichtung durch den Propeller ist einfach „naiv“ und gegen Focker 50 % schlechter. Erklären kann ich die Einrichtung nur mündlich. Übrigens habe ich das Übel meines Magens erkannt. Boa-constrictor, weiter nichts. Wenn ich bei Tisch 2 mal esse – Magenschmerzen. Ebenso Abends. Also esse ich immer nur einmal aber dafür öfter zwischendurch eine Kleinigkeit. Nun will ich den Brief man wieder einpacken. Es wird auch schon kühl, da sich die Sonne verkriecht.

Vgl. Feldpost von Rudolf Kisker mit Stoffbahn eines abgeschossenen französischen Flugzeugs

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker (Bielefeld), Nr. 194.

Feldpost von Rudolf Kisker mit Stoffbahn eines abgeschossenen französischen Flugzeugs

morane2 morane1 Textilstoff eines abgeschossenen französischen Jagdflugzeugs, 1916, mit Aufschrift:

Moran[e-Saulnier-N-]Kampf-Einsitzer. Abgesch[ossen] 9./3. [19]16 bei Ostaverne Durch L[eutnan]t Patheiger. Art[illerie] Fl[ie]g[er] Abt[ei]l[ung] 213

Flugzeug patheiger

Auf dem unteren Foto (undatiert, zweite Jahreshälfte 1915) ist u.a. ganz oben links der Pilot Patheiger zu sehen, der das französische Flugzeug abgeschossen hat, von dem die obigen Textilreste stammen. Des Weiteren sind zu sehen (von oben v.l.n.r.): Vizefeldwebel Neufeld, Oberleutnant Dohmen, Oberleutnant Seer (mit Hund „Schnaps“), Leutnant Pampe (mit Hund „Lux“), Leutnant Baerensprung (mit Hund „Stani“), Leutnant Stober (mit Hund „Flick“), Hauptmann Palmer, Leutnant Küppers, Leutnant Rudolf Kisker, Leutnant Wieland (mit Hund „Poschthörnle“), Oberleutnant vom Holtz (der als Beobachter zusammen mit Rudolf Kisker abgeschossen wurde und ebenfalls zu Tode kam), Leutnant Giese. Das obere Foto benennt mit „AEG“ die Herstellerfirma des Flugzeugs. Von den abgebildeten Personen ist ganz links Leutnant Wieland zu erkennen. Fünfter von links ist Hauptmann Palmer, zweiter von rechts wohl Leutnant Baerensprung. (Fotos: Kisker-Archiv).

Vgl. den Feldpostbrief von Rudolf Kisker an seine Mutter bzw. Eltern in Bielefeld (Link)

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker (Bielefeld), Nr. 194 und Nr. 10019 (Fotos)

Dank an MattyBoy und Soderbaum vom Aerodrome Forum für Transkriptionskorrekturen!

Aufklärungsflieger im Ersten Weltkrieg

Das Flugzeug war 1910 in der deutschen Armee eingeführt worden. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren insgesamt 232 Flugzeuge verfügbar, die Feldflieger- und Festungsfliegerabteilungen zugeordnet waren. Im Rahmen einer ersten Umstrukturierung kamen in der zweiten Jahreshälfte 1915 Artilleriefliegerabteilungen hinzu; im weiteren Kriegsverlauf folgten noch mehrere Reorganisationen der Fliegertruppe. Bei Kriegsbeginn gehörten 500 Piloten und Beobachter zur Fliegertruppe des Deutschen Kaiserreichs.

Zunächst dienten die Einsätze in erster Linie der Aufklärung. Auf diesem Gebiet verdrängten die Flugzeuge schon nach kurzer Zeit die Kavallerie, die bis zum Ersten Weltkrieg die Observation des Gegners übernommen hatte.

Die Aufklärungsflieger erkundeten aus der Luft das Terrain, beobachteten die feindlichen Truppen und lenkten die eigene Artillerie. Dabei bedienten sie sich der Luftfotografie: Aus dem zweisitzigen Flugzeug heraus schoss der Beobachter mit einer Kamera Fotos, die später am Boden entwickelt und ausgewertet wurden. Die Bilder lieferten wichtige Informationen für die Angriffsplanung.

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Luftaufnahme von Ypern, August 1915

Die Maschinen waren jeweils mit einem Piloten und einem Beobachter besetzt, die bei den Aufklärern im Team arbeiteten. Bei den doppelsitzigen, noch unbewaffneten B-Flugzeugen saß der Flugzeugführer noch hinten, der Beobachter auf dem Sitz vor ihm. Dies änderte sich mit Einführung der C-Flugzeuge im Jahr 1915: Jetzt saß der Pilot auf dem vorderen Sitz, während der Beobachter vom hinteren Sitz aus ein fest eingebautes Maschinengewehr bediente. Mit diesem konnte er von hinten angreifende feindliche Maschinen beschießen.

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„Barensprung – Kisker, Bombenflug nach Poperinghe“, vermutlich Ende 1915

Das Foto zeigt die Beladung eines Flugzeugs mit Bomben. Vorn auf dem Pilotensitz sieht man Rudolf Kisker, dahinter sitzt sein Beobachter Baerensprung, dem gerade eine Bombe angereicht wird – wie erwähnt, ließ der Beobachter die Bomben über dem Ziel fallen. Neben Barensprung ist das eingebaute MG des Beobachters zu sehen.

Diente diese Bewaffnung zunächst nur der Selbstverteidigung, wurde später auch offensiv der Luftkampf gesucht. Ab der zweiten Generation der C-Flugzeuge verfügte der Pilot ebenfalls über ein fest eingebautes Maschinengewehr. Die immer leistungsfähiger werdenden Flugzeuge wurden ab 1916 zudem verstärkt für den Abwurf von Bomben eingesetzt: Diese wurden per Hand vom Beobachter über dem Ziel fallen gelassen.

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„Lichtbild-Hochbetrieb“

Die hier gezeigten Fotos zum Thema Luftaufklärung stammen von Rudolf Kisker, der 1915/1916 als Aufklärungsflieger bei der im belgischen Menin stationierten Feldfliegerabteilung 3 im Einsatz war.

Literatur:

  • Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Deutschland im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 2013, S. 207.
  • Jörg Mückler, Die deutschen Aufklärer im Ersten Weltkrieg: Franz und Emil über allen Fronten, in: Klassiker der Luftfahrt Heft 7/2014, S. 20-27.

Eva-Maria Hartmann, Kisker-Archiv, Bielefeld

Feldpostbrief von Rudolf Kisker, 20.10.1914

St. Marguerite südl. Comines. 20/10.[1914]

Liebe Eltern!

Heute morgen habe ich eine flüchtige Karte mit der Post mitgehen lassen.
Gestern schrieb ich zuletzt von südl[ich] Lille. Wir marschierten dann weiter durch Lille wo wir viele Truppen trafen, in deren Stellungen hier bei Comines unsere Kav[allerie] eingerückt war. Es war das 13. Korps welches wie es hiess bei Arras eingesetzt werden sollte. In Lille sah man das seltene Bild „Deutsche Inf[anterie] mit Regimentsmusik“. Sonst bot sich dasselbe Bild wie am Sonntag. Über Quesnay wurde weitermarschiert nach hier. Noch in später Nacht wurden die Wagen an den Handpferden der Esk[adron] herangezogen. Die Schützen lagen in den festen und sicheren Inf[anterie] Stellungen zwischen Comines und Warneton. Ich fuhr dorthin um meinen Herren etwas zu futtern zu bringen fand natürlich nur wachende Posten und schnarchende Leute in den Unterständen. Ich wollte bis zum Tag dort bleiben musste aber um 5 Uhr mit einem Befehl zurück. Es sollte ein allgemeiner Angriff mit Beginn des Tages stattfinden und nur von jeder Esk[adron] 4 Schützen in den Stellungen bleiben. Ich ging daher zurück trank im Quartier noch einen Morgenkaffee und sammelte dann die Wagen hier bei St. Marguerite.
Die Engl[änder] sollen von Westen auf Commines vorgestossen sein und dabei in die Arme der von Norden kommenden Korps und der von Süden angreifenden Kav[allerie] Divisionen und Jäger [?] gelaufen sein. Da wir aber bisher nur schwaches Gefecht hören, glaube ich, dass sie versucht haben in der Nacht durch kurz kehrt Rettung zu machen.

Eben kam ein Telegramm (man sagt Funkenspruch) dass die Russen durch die Oestreicher u. Perser [?] Schlappen erlitten hätten und dass mehrere englische U.Boote gesunken sein sollen. Auch seien einige deutsche Torpedos verloren gegangen.

Gestern hatte ich mit der Post Vaters Brief vom 13/9 mit Kurts und Mutters Einlagen und eine Wurst v. Mutter. Da war aber ein Schlemmeressen. Kommissbrod mit Butter u. westf[älischer] Wurst.

Heute wieder 50 Cigarillos u. von Hilde ein Paketchen mit Kniewärmern, Chokolade u.s.w. Ich schreibe Ihr gleich meinen Dank. Ich hätte nicht geglaubt, dass Hilde so viel für mich übrig hätte.

Von Siveke hörte ich eben, dass Vater bei Frau S. war und dass sie sehr erfreut über den Besuch gewesen war.
Mit dem Federhalter kann man überhaupt nicht mehr schreiben. Ich ergreife daher wieder den Bleipinsel.
Ich glaube dass all die angemeldeten Sendungen jetzt eingetroffen sind u. noch eintreffen. Wenn Ihr die durch die Ersatz-Eskadron angeforderten Ausrüstungsstücke
Mantel aus Mannschaftstuch mit grossen Taschen u. Kragen matte Knöpfe
Reithose u. Waffenrock aus Mannschaftstuch starkes Futter. Feldmütze
abschickt, so bitte ich auch eine meiner langen Hosen und ein Paar Zugstiefel beizulegen.
An den armen Günter Delius muss ich immer wieder denken. Aber für uns heisst es nicht rückwärts sondern nur im „Vorwärts“ schauen und auf eine baldige Beendigung des Ringens und einen ehrenvollen Frieden zu hoffen.

Alle Augenblicke werde ich gestört und finde keine Ruhe zum Schreiben. Ich schliesse daher mit herzl. Grüssen und einem Kuss für Euch Alle

Euer Sohn Rudolf

Quelle: Feldpostbrief 75, von Rudolf Kisker

Signatur: Privatarchiv Kisker, Nr. 189

Feldpostbrief von Rudolf Kisker, 13/14.10.1914

bei Fleurbaix 13/10.[19]14 5 1/2Uhr

Liebe Eltern!

Vor einer Stunde war ich auf der Post um eine Karte und M 500 -. an Euch zu senden und einen Brief an Frau Staege abzugeben. Jetzt, nachdem ich erst Tee dann Kakao getrunken habe benutze ich die Dämmerstunde vor Eintreffen des Befehls um Euch noch allerlei zu erzählen.

Aus dem Kohlengebiet sind wir nun glücklich heraus und in eine Gegend gezogen, die ein ähnliches Bild zeigt wie unser ländliches Westfalen. Die Häuser der Ortschaften liegen in der Feldmark zerstreut und das Land ist durch viele Zäune Hecken Gräben u. kleine Buschstücke zerteilt. Für unsere Kavallerie ist dieses Gelände äusserst ungünstig und Patrouillen haben einen schweren Stand. Unsere Regimenter greifen daher auch nur im Fussgefecht an oder liegen eingegraben in Verteidigungsstellungen. Eine schwere Aufgabe für Kavalleristen überlegene Artillerie und starke Infanterie aufzuhalten bis die Ersatztruppe eintrifft. Dieses Spiel treiben wir ja nun seit Wochen und ich bin gespannt, ob es gelingt den Feind zu überflügeln und vom Meere abzuhalten. Vielleicht mit Hülfe unserer in Antwerpen freiwerdenen Kräfte. Da die Regimenter meistens auch des Nachts dicht am Feinde liegen werden fast nur die Lebensmittel u. Futterwagen herangezogen die dann unter Führung des Zahlmeisters abgehen. Ich bleibe dann mit den Packwagen irgendwo an der Strasse in der Nähe eines Hauses liegen. Man muss sehen, dass man für die Nacht ein Dacht über dem Kopfe hat denn es wird jetzt in klaren Nächten emfindlich kalt. Ich habe mich recht gut abgehärtet und werde schon durchhalten.

Meine langen Stiefel habe ich neulich frisch besohlen lassen und komme mir nun wie ein neu beschlagener Gaul vor.

Von Günter Delius kann ich nichts Neues erfahren, da er nach seiner Verletzung in ein bayrisches Lazarett gekommen ist, hoffe dass Ihr mir bald schreiben könnt „es geht ihm besser“.

Es ist jetzt (6 Uhr) schon fast dunkel und wir erwarten jeden Augenblick den Befehl, irgendwohin abzurücken. Meistens haben wir Nachtmärsche, da erst gegen Abend die Entscheidung getroffen wird, vor – zurück – rechts – oder links. Manchmal ist es zum Verzweifeln wenn sich mehrere Bagagen begegnen und auf schmalen Strassen aneinander vorbeifahren müssen. Meine Stimme nimmt dann manchmal einen drohenden Ton an und in ernsten Fällen singt die Reitgerte mit. Besonders wenn wir lange Märsche über Tag haben und dann auch Nachts noch weiter vor müssen, sind die Leute nach einem Halt und wieder Anfahren nur mit Hilfe des Reitstockes wach zu halten. Auf den Pferden im Schritt u. im Trab schläft ein richtiger Kavallerist wie im Himmelbett.

Ich will meine Wünsche betreffs Uniformen hier nochmals wiederholen und vervollständigen.

1. Rock aus Mannschaftstuch so gross u. bequem wie möglich d.h. wenn noch ein guter Rock da ist, so ist er vielleicht weiter zu machen und mit Offizierslitzen u. Achselstücken -Unterlage dunkelblau wie an der Litze- zu versehen. (Litzen für den z. Z. getragenen Rock im Brief.)

2. Mannschaftshose die auf dem Boden im Schranke hängt.

bis auf die Litzen brauche ich die Sachen aber erst nach Verschleiss der z. Z. getragenen auf besonderen Wunsch u. Nachricht.

Ich erwähne nochmals dass Ihr im Falle des Ausbleibens der Post vielleicht bei Frau Siveke in Herford Neustädtische Apotheke Nachricht erhaltet. Siveke ist auch ein eifriger Schreiber. Frau Siveke ist viel in Bielefeld und kommt vielleicht mal zu Mutter zum Kaffee, ich glaube sie ist sehr nett, denn ihr Mann gefällt mir sehr.

 

bei Fleurbaix 14/10

Gestern Abend kam noch Befehl ich sollte sämtliche bei der Bagage überflüssigen Mannschaften zu Fuss in die Front bringen. Ob zur Verstärkung oder zu einem Gefangenentransport war nicht bekannt. Heute Morgen habe ich dann um 4 Uhr meine Leute gesammelt und 149 Mann hoch abgeführt. In der vorderen Linie bei Pont de Ham gab ich alle Leute an die einzelnen Reg[imen]ter ab und führte meine Kür. 21 Mann in die Schützenlinie. Es herrschte eine ziemlich gedrückte Stimmung weil es hiess die Kavallerie müsse sich noch 2 Tage halten. Es war ein ganz nettes Konzert da draussen hin u. her flogen die Granaten u. Schrapnells. Als ich nach 2 Stunden zurück ritt platzen 3 Schrapnells über mir und die Sprengstücke flogen mir wie Mücken um die Ohren ohne mich oder das Pferd zu treffen.

Zur Zeit 12 Uhr bin ich wieder hier bei der Bagage um mich zu stärken.

Die gestern nicht eingetroffene Post ist heute eingetroffen und wird gleich geholt.

Mir geht es sehr gut und ich grüsse Euch herzlichst. Euer Sohn Rudolf

Quelle: Feldpostbrief 70, 13. und 14. Oktober 1914, von Rudolf Kisker

Signatur: Privatarchiv Kisker, Nr. 189

Feldpostkarte von Rudolf Kisker, 11.10.1914

Aubers 11/10. [1914]

L[iebe] E[ltern]

Gestern marschierten wir über Carvin nach hier. Unterwegs begegneten wir vielen gefangenen Zivilisten, die hier eingekleidet werden sollten um eine neue Armee zu bilden. Angeblich sind etwa 10000 gefangen genommen worden. Hier in A[ubers] trafen wir erst um 5 Uhr morgens ein. Heute liegen wir schon (1/2 2 Uhr) den ganzen Tag hier und pflegen uns. Gefangenentransporte kommen noch dauernd durch. Alle Kirchen waren über Nacht von Gefangenen belegt.

Ich bitte bei Gelegenheit um ein Luntenfeuerzeug. Das Paket mit den Stiefeln habe ich bisher nicht erhalten. Post kam heute nicht.

Wenn wir so weiter nach Norden u. Westen ziehen, sind wir bald am Wasser. Die Pferde die über den Kanal schwimmen sollen sind bereits ausgesucht. Es geht mir sehr gut.

Herzl. Grüsse Rudolf.

Quelle: Feldpostkarte 73, von Rudolf Kisker

Signatur: Privatarchiv Kisker, Nr. 189