Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 19.12.1918

Seit 3 Wochen keine Eintragung. Die Neigung ist einem dazu vergangen. Jeder Tag, jede Zeitung brachte neue Demütigungen, neuen Jammer. Die Franzosen haben den Elsaß-Lothringen besetzt & die undankbaren Französlinge haben die deutschen Denkmäler umgestürzt & die Franzosen mit offenen Armen empfangen. Die Städte haben sich für den Anschluß an Frankreich erklärt. […]
Es mehrten sich nun die heimgekehrten Soldaten. Nicht geschlossen, einzeln zu 2 & 3en kehrten sie zurück. Man hört, daß manche Frontsoldaten empört sich über die Zustände in der Heimat geäußert hätten; ansehen kann man es dem Einzelnen nicht, welche Gesinnung er hat. Mißtrauen tut man manchem. Es ist natürlich unwahr, was, wie Frau Kantor erzählt, H[er]r Kosiek gesagt haben soll, man sollte den Soldaten ins Gesicht spucken, weil die die Fahne verlassen hätten. Daraus spricht nur das böse Gewissen, auch aus dem Zusatz der Andern: „Das spricht H[er]r Kosiek ja nur Pastor Hartmann nach.“ Freilich, die Ehrenbogen, welche je länger je mehr sich über die Landstraßen & Dorfstraßen ziehen, muten mich sonderbar an. […].

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 234/19.12.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Das Scheitern der Friedensinitiativen im Vorfeld des Kriegseintritts der USA 1917

lav_germania

Aufruf Kaiser Wilhelm II. „An das deutsche Volk“ vom 12.1.1917 (Signatur: LAV NRW OWL D 81 Nr. 7)

Plakat mit dem Titel: Aufruf Kaiser Wilhelm II. „An das deutsche Volk“ vom 12.1.1917
Maße: 46 x 31 (H/B)
Signatur: LAV NRW OWL (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe) D 81 Nr. 7

Plakattyp: Bekanntmachungsplakat
(aus Bestand Regierungsakten LAV NRW OWL L 75 XIII Nr. 3, 1 weiteres Exemplar)

Beschreibung:
Eine zornige Frau mit erhobenem Schwert steht vor einer zornigen Volksmasse; im Hintergrund ist ein großer fliegender Adler zu sehen. Die Blicke der Masse, des Greifvogels und der Frau sind in die Richtung des Betrachters, in die Ferne, ausgerichtet

Inhalt:
Kaiser Wilhelm II. wendet sich an das deutsche Volk. Er erklärt, dass die Feinde Deutschlands demaskiert seien, indem sie das Friedensverhandlungsangebot des Deutschen Reiches abgelehnt und nunmehr den Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber ihre Kriegsziele eröffnet haben, die er als „Eroberungssucht“ bewertet und „schändlich“ nennt.
Es folgen eine Erinnerung an die Tapferkeit und die Siege der Truppen sowie der Aufruf zum weiteren Kampf und dem Erdulden der Opfer mit der Aussicht auf einen Sieg mit Hilfe Gottes.

Transkription:

An das deutsche Volk!
Unsere Feinde haben die Maske fallen lassen. Erst haben sie mit Hohn und mit heuchlerischen Worten von Freiheitsliebe und Menschlichkeit unser ehrliches Friedensangebot zurückgewiesen. In ihrer Antwort an die Vereinigten Staaten haben sie sich jetzt darüber hinaus zu ihrer Eroberungssucht bekannt, deren Schändlichkeit durch ihre verleumderische Begründung noch gesteigert wird.
Ihr Ziel ist die Niederwerfung Deutschland, die Zerstückelung der mit uns verbündeten Mächte und die Knechtung der Freiheit Europas und der Meere unter dasselbe Joch, das zähneknirschend jetzt Griechenland trägt.
Aber was sie in dreißig Monaten des blutigen Kampfes und des gewissenlosen Wirtschaftskrieges nicht erreichen konnten, das werden sie auch in aller Zukunft nicht vollbringen.
Unsere glorreichen Siege und die eherne Willenskraft, mit der unser kämpfendes Volk vor dem Feinde und daheim jedwede Mühsal und Not des Krieges getragen hat, bürgen dafür, daß unser geliebtes Vaterland auch fernerhin nichts zu befürchten hat.

Hellflammende Entrüstung und heiliger Zorn
werden jedes deutschen Mannes und Weibes Kraft verdoppeln,

gleichviel, ob sie dem Kampf, der Arbeit oder dem opferbereiten Dulden geweiht ist.
Der Gott, der diesen heiligen Geist der Freiheit in unseres tapferen Volkes Herz gepflanzt hat, wird uns und unseren treuen, sturmerprobten Verbündeten auch den vollen Sieg über alle feindselige Machtgier und Vernichtungswut geben.

Großes Hauptquartier, 12. Januar 1917.                 Wilhelm I.R. [Imperator Rex (lat.), Kaiser und König]

Vor dem Kriegseintritt der USA am 6. Februar 1917 scheiterte die Friedensinitiative Präsident Wilsons und der „uneingeschränkte U-Bootkrieg des Deutschen Reiches begann, auf den die Kriegserklärung der USA folgte, deren Eingreifen sich kriegsentscheidend auswirkte.

Unmittelbarer Hintergrund des Plakates ist die amerikanische Friedensinitiative von 1916, der die Mittelmächte mit einer eigenen Friedensinitiative zuvorkommen wollten. Am 12.12.1916 verlas der im Reich stark unter Druck geratenen Reichskanzler Bethmann-Hollweg das Angebot des vor dem Deutschen Reichstag. Die Vorschläge der Reichsregierung betonten ausdrücklich die Verhandlungsbereitschaft aus einer Position der Stärke heraus und bleiben vage in Bezug auf die konkreten Zugeständnisse. So stellten sie die im Septemberprogramm von 1914 beinhalteten Annexionsziele des Deutschen Reiches in keiner Weise in Frage und sahen auch keine nennenswerte Rückgabe eroberten Gebietes vor. Die Friedensinitiative wird häufig als Versuch gewertet, die noch neutralen USA möglichst aus dem Krieg herauszuhalten und den bereits geplanten, am 1.2.1917 seitens des Deutschen Reiches beginnenden, uneingeschränkten U-Bootkrieg propagandistisch vorzubereiten und mit der mangelnden Friedenswilligkeit der Entente zu begründen. Das Angebot wurde von der Entente bereits am 30.12.1916 als nicht ernst zu nehmen und auf  unzutreffenden Grundannahmen basierend abgelehnt.

Am 5.1. 1917 rief Kaiser Wilhelm II. in seiner Neujahrsbotschaft seine Truppen zu unvermindertem Kampf auf. Die Entente-Mächte unterbreiteten ihre Ziele am 10.1.1917. Frankreich wollte die Rückgabe Elsass-Lothringens; es stellte sich daneben die Zerschlagung  („écrasement“) des Deutschen Reiches vor, während Großbritannien die Wiederherstellung Belgiens forderte, daneben die deutsche „Weltmachtpolitik“ beenden wollte durch die Zerstörung der Flotte, die Aufteilung der Kolonien und die Beschränkung des deutschen Anteils am Welthandel. Auf diese Ziele der Alliierten verweist der Texts des Propagandaplakates ausdrücklich.

Das Verhältnis zu den USA wurde seitens Deutschlands durch das sogenannte Zimmermann-Telegramm an Mexiko vom 17.1.1917 stark unterminiert, das Mexiko deutsche Unterstützung gegen die USA anbot. Auch das Beharren des Deutschen Reiches auf den Einsatz von Tausenden von Belgiern als Zwangsarbeiter war ein dauerndes Thema der Auseinandersetzung neben den Angriffen der deutschen U-Boote auf amerikanische Schiffe. Mit seiner Rede vom 22.1.1917 hatte Wilson vor dem in der Mehrheit der Neutralität geneigten Kongress einen „Frieden ohne Sieg“ gefordert. Allerdings hatte er zu dem Zeitpunkt bereits die Alliierten durch Lieferungen unterstützt. Am 26.1. unterbreitete Wilson ein weiteres Angebot, das alle Kriegsführenden auf einer gemeinsamen Konferenz zu Gesprächen zusammenbringen sollte. Am 28.1.1917 lehnte die deutsche Regierung Wilsons Friedensbotschaft ab, die Entscheidung für den U-Bootkrieg war gefallen. Heeresleitung und Politiker waren überzeugt, dass ein Kriegseintritt der USA nicht kriegsentscheidend sein würde, da man meinte, die Truppentransporte kämen nicht bis Europa durch und man sei in der Lage, England bis zum Sommer mittels des Einsatzes der U-Bootwaffe zu besiegen und zum Frieden zu zwingen.

Der Hinweis auf Griechenland bezieht sich auf den Einmarsch der Alliierten 1915, der auf keine nennenswerten Widerstände des mit den Mittelmächten sympathisierenden Landes stieß, das sich  ab 1917 den Alliierten zuwandte. Der Hinweis auf den „Wirtschaftskrieg“ verweist auf die Seeblockade der englischen Home Fleet, die den Mittelmächten den Nachschub durch Importe abschnitt. Diese Blockade wurde bald „Hungerblockade“ genannt und war ein weiteres Argument für den „uneingeschränkten U-Bootkrieg“.

Symbolik: Der Adler kann als Repräsentant des Reichsadlers und damit einer Verkörperung Deutschlands gewertet werden. Dies gilt ebenso für die dargestellte Frau als Symbol der Germania, ein weit verbreitetes Symbol, das sowohl in der politischen Karikatur des 19. Jahrhunderts weit verbreitet war und sich zum Beispiel im Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein (1871, in Gedenken an den Sieg über Frankreich) großer Popularität erfreute. In Bezug auf ein Auftreten weiblicher Verkörperung von Tugenden oder Nationen in Zeiten der Bedrohung stellt diese Figur ein typisches Gestaltungselement dar.

Bearbeitung: Heike Fiedler M.A. Archivpädagogin, mit Unterstützung von Dr. Hermann Niebuhr, Landesarchiv NRW Abteilung OWL

Link zum Angebot des Archivpädagogischen Dienstes der Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold

Weiterführende Literatur/ Internetquellen:

  • Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914-1949. München 2003, S. 26-38; S. 39-47; S. 117 f.; S. 167 ff..
  • Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd / Renz, Irina (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn, München, Wien, Zürich 2009, S. 508-512.
  • Brandt, Bettina: Germania und ihre Söhne. Repräsentation von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010.
  • www.dhm.de/lemo/html/1916

Heimatbrief Nr. 2 von Pfarrer Johannes Meyersieck (Oetinghausen), 28.9.1914

Brief Nr. 2
Oetinghausen, den 28. September 1914

Liebe Kameraden!

Drei Wochen sind vergangen, seitdem ich den ersten Gruß aus der Heimatkirche Euch sandte. Es dauerte erst eine Zeitlang, bis ich alle Adressen einigermaßen vollständig hatte, so hat sich für manche der Gruß verspätet. Von nun ab sollt Ihr ihn nach Möglichkeit alle 14 Tage erhalten, zumal nach allem, was man hört, an Feldpredigern draußen Mangel ist. Und ich glaube, wenn Ihr es bisher noch nicht wußtet, jetzt wißt Ihr, was ein Brief aus der Heimat wert ist.
Herrliche Erfolge [Meyersieck erinnert hier offensichtlich an die deutschen Erfolge der ersten sechs Kriegswochen, darunter insbesondere die Abwehr der französischen Offensive gegen Elsaß und Lothringen, die Besetzung von Lüttich, Brüssel und Antwerpen, den Vormarsch bis Paris sowie vor allem die Schlacht bei Tannenberg] habt Ihr z[um] Teil gesehen, aber auch ungeheure Strapazen ertragen u[nd] harte Entbehrungen durchgemacht u[nd] bei dem allen viel Grauenhaftes und Furchtbares erlebt. Da wird nicht nur Euer Körper nach Ruhe und Stärkung, sondern auch die Seele oftmals nach Erfrischung lechzen. Wie wohl tut in solchen Augenblicken ein Gruß von Euren Lieben, ein klein wenig Heimatluft. Hoffentlich habt Ihr inzwischen alle mehr wie eine Nachricht von Hause erhalten, so werdet Ihr wissen, wie es da aussieht, und habt vielleicht auch das eine oder andere aus der Gemeinde erfahren.
Bisher hat Gott gnädig seine Hand über die Kämpfer aus unseren beiden Gemeinden gehalten. Von fast 120 Vaterlandsverteidigern sind, wie wir wissen, bis jetzt noch keine gefallen, freilich etwa schon 10-12 verwundet, doch zumeist leicht. Einer von ihnen ist gestern schon wieder zur Front abgerückt. Aus Hiddenhausen ist Hauptmann v. Consbruch [Oscar v. Consbruch, gefallen am 28. August 1914] und Lehrer Decius [Carl Decius, gefallen am 24. August 1914] gefallen, auch unser Amtmann [dem „Amt Herford-Hiddenhausen“ stand von 1896 bis 1922 Amtmann v.d. Schulenburg vor] hat einen Sohn, einen Freund des Prinzen Joachim [Prinz Joachim v. Preußen, geb. am 17. Dezember 1890, Sohn von Kaiser Wilhelm II.], verloren. Wer von Euch noch verwundet werden sollte, dem wünsche ich, daß er dasselbe Glück hat, wie es 3 Verwundete unter Euch schon gehabt haben, daß Ihr in eins der in Herford errichteten Lazarette oder in das von den Gemeinden unseres Amtes ausgerüstete Vereinslazarett in Schweicheln überführt werdet. [Schon gleich nach Kriegsbeginn waren mehrere große Lazarette, von Zivilärzten mit betreut, in der Stadt Herford und in unmittelbarer Nähe eingerichtet worden. Sie konnten etwa 500 Verwundete aufnehmen. „Tausende von (…) Soldaten aus ganz Deutschland fanden hier durch sechs Jahre hindurch (…) ihre Gesundheit wieder.“ (Rainer Pape, Sancta Herfordia, Herford 1979, S. 281 f.). Das hier erwähnte befand sich im sog. „Eickhof“ in Schweicheln, einem ehemaligen Gutshof, der erst 1910 von Bethel übernommen und zum Waisenkinderheim umgebaut worden war. Als diakonische Einrichtung besteht der Eickhof noch heute.]
Schönes Wetter hat uns der liebe Gott in den letzten Wochen geschenkt. Wir freuen uns dessen für die Kartoffelernte u[nd] die Landbestellung – denkt Ihr wohl daran, daß wir am Sonntag d[as] Erntedankfest feiern? – aber auch für Euch, dürfen wir noch eher hoffen, daß Ihr trocken kämpfen dürft. Freilich in den Nächten wirds schon schlimm kalt sein u[nd] mit jedem Tage kälter werden, aber damit Ihr Euch gegen die Kälte schützen könnt, arbeiten an jedem Dienstag Abend ca. 80 Frauen und Jungfrauen, um neben der Versorgung der Verwundeten Strümpfe, Leibbinden, Pulsund Ohrenwärmer für die Kämpfer da draußen herzustellen.
(Die Lippinghauser sind noch fleißiger und kommen auch Freitags noch zu diesem Zweck zusammen).
Aber nicht wahr, neben diesen leiblichen Bedürfnissen, neben den Nachrichten aus d[er] irdisch[en] Heimat habt Ihr noch anderes nötig, 1 Gruß aus d[er] himmlischen Heimat. Mein Bruder, der in der Schlacht bei Tannenberg leicht verwundet wurde [Schlacht bei Tannenberg vom 26. bis 31. August 1914; die Generäle Hindenburg und Ludendorff zerschlugen mit ihren Truppen die Zweite Russische Armee in Ostpreußen], jetzt aber wieder im Felde steht, schrieb mir vor 14 Tagen, als er gehört hatte, daß ich mich zum Feldprediger gemeldet hätte (ich bin aber abgewiesen):
„Du kannst in dieser Stellung dem Vaterland direkt 1 unglaublich großen Dienst tun, denn als Unteroff[i]z[ier], denn der Soldat, d[er] mit Gottvertrauen i[ns] Feld geht, ist auch i[m] Feuer mehr wert als ohne dasselbe. Dazu kommt die verrohende Wirkung d[es] Krieges, der mit allen Mitteln entgegengewirkt werd[en] muß, wenn wir uns[er] Schild rein bewahren wollen. D[er] Krieg bringt viele edle Eigenschaften: Kameradschaft usw. zur Entfaltung, das ist erhebend, aber bei weitem mehr wird doch d[as] Tier i[m] Menschen genährt, wenn nicht Gottes Wort seine Kraft übt“;
dem werdet Ihr gewiß auch aus eigener Erfahrung zustimmen können und darum auch diesmal gern nach Blättern greifen, die ich Euch sende u[nd] die sich nicht an das Tier im Menschen, sondern an das Ebenbild Gottes in Euch wenden.

Euer Heimatpastor Meyersieck.

Quelle: Feldpostbriefe von Pastor Johannes Meyersieck aus Oetinghausen.

Lit.: Ulrich Rottschäfer (Hg.): „Wir denken an Euch“. Feldpostbriefe eines ravensbergischen „Heimatpastors“ im Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2011.

Signatur: LkA EKvW 4.53 (Archiv der Ev. Kg. Hiddenhausen), Nr. 958