Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 31.10.1917

Reformationsfest 400jähr[ige] Jubelfeier. Wir feiern etwas gedrückt: 1) Krieg, d[as] evangelische England gegen das evang[elische] Deutschland, 2) die Lauheit & Untreue vieler Evang[elischer] gegen unsere Kirche. Der Abfall evangelischer Massen. 3) Roms Ansehen & Macht. Eben [am 31.10.1917] der ev[angelische] Reichskanzler [Georg Michaelis] gestürzt & durch den Bayr[rischen] Katholiken [Georg von Hertling, Zentrum] ersetzt. […]

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 167f./31.10.1917

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Kriegsgefangene Engländer in Sennelager, Ansichtskarte um 1917/18

Propaganda-Minenleger_StadtarchivPaderborn_M1

Passend zum britischen Propagandaplakat „How the Hun hates!“  ist diese deutsche Ansichtskarte (o.D., ca. 1917/18), auf der Fischer als „gedungene Söldner“ bezeichnet werden. Die Gestaltung der undatierten Karte mit dem Textfeld deutet darauf hin, dass auch sie Propagandazwecken dienen sollte.

Von England für je 800 M[ar]k gedungene Söldner beim Minenlegen in der Nordsee abgefangen, bei der Arbeit im Sennelager

Nähere Informationen zu den offensichtlich in Zusammenhang stehenden beiden Dokumenten ließen sich leider nicht ermitteln. Die Karte deutet aber darauf hin, dass in der Senne tatsächlich britische Fischer gefangen gehalten wurden, denen Minenlegen vorgeworfen wurde. Und vermutlich haben die Briten den Sachverhalt dann propagandistisch genutzt.

(Rolf-Dietrich Müller, Stadtarchiv Paderborn)

Signatur: Stadtarchiv Paderborn, M 1, Ansichtskartensammlung

Britisches Propagandaplakat „How the Hun Hates!“

hunssenne

Britisches Propagandaplakat (undatiert, ca. 1917/18; Abb. hier nicht farbecht) über den „Hass des Hunnen“ auf die britische Zivilbevölkerung. Deutsche hätten in der Nordsee britische Fischer gefangen genommen und sie ohne jeglichen Beweis als „Minenleger“ verurteilt (vgl. dazu eine deutsche Propaganda-Postkarte mit kriegsgefangenen Engländern in Sennelager). Zur Verspottung durch die deutsche Bevölkerung seien sie halbseitig kahl rasiert und durch die Straßen Sennelagers geführt worden, so der Text.

Signatur: Stadtarchiv Paderborn, P 1748

Plakat „Deutschlands Schicksal […]“

Belgien

„Deutschlands Schicksal in einem zukünftigen Krieg wenn Belgien die Basis englischer Luftangriffe ist!“, Plakat, ca. 1917
Ostwestfalen-Lippe würde sich nach dieser Skizze in einer vermeintlichen „Zone der Verwüstung“ befinden.

Plakat: Hermann Bergmann, Berlin; Rechteinhaber unbekannt (Hinweise zum Urheberrecht bitte an webmaster@archive-owl.de)

Signatur: LkA EKvW 4.256 Nr. 415

Ein makabres Erinnerungsstück aus dem Schützengraben

SaintLuke_StadtarchivPaderborn_S1-99-9

Ein makabres Erinnerungsstück aus dem Schützengraben: Englische Feldausgabe des Lukas-Evangeliums, auf der Umschlagrückseite ein Fleck mit dem handschriftlichen Hinweis „Blut des schwerverwundeten Engländers“. (Stadtarchiv Paderborn, S 1/99/9)

Das Bändchen stammt aus dem Besitz des 1899 geborenen Paderborners Heinrich Z. Im Herbst 1916 verließ er mit dem „Einjährigen“ das Paderborner Gymnasium Theodorianum und meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Im Mai 1917 kam der nunmehrige Musketier Z. an die Westfront zum Infanterieregiment 457, wo er an schweren Kämpfen in Nordfrankreich und Flandern teilnahm und schließlich im November 1917 schwerverwundet in britische Gefangenschaft geriet. Erst im November 1919 wurde er nach Hause entlassen.

Vom Tag seines Abrückens an die Front bis zur Rückkehr aus der Gefangenschaft pflegte er mit seiner Familie einen überaus intensiven Briefwechsel, von der Front mindestens einen Brief oder eine Karte pro Tag, aus der Gefangenschaft  zwei bis drei Briefe pro Woche. Sie sind im Stadtarchiv Paderborn weitestgehend erhalten. Ergänzt werden sie durch eine mit allerlei Erinnerungsstücken angereicherte Niederschrift zur Familiengeschichte, die Z. 1938 für seinen kleinen Sohn fertigte und worin er u. a. auch über seine Kriegserlebnisse berichtete.

Zu den Erinnerungsstücken gehört das hier gezeigte blutbefleckte Lukasevangelium, zu dem er schreibt, er habe es von einem durch eine deutsche Handgranate schwerverwundeten Engländer geschenkt bekommen als Dank für die gute Behandlung. Z. und seine Kameraden hätten den Engländer geborgen und seine Wunden versorgt, doch sei er kurz darauf gestorben. So die Darstellung von 1938.

Erhalten hat sich aber nicht nur das kleine Heft, sondern auch die Inhaltsliste des Päckchens, worin Z. es – zusammen mit anderen Dingen – 1917 von der Front nach Hause schickte. Und da heißt es: „1 Gebetbuch, das ich einem mir damals zum Opfer gefallenen Tommy abnahm.“ Ob Tatsache oder Aufschneiderei muss offen bleiben.

(Rolf-Dietrich Müller, Stadtarchiv Paderborn)

Signatur: Stadtarchiv Paderborn, S 1/99/9

Das Scheitern der Friedensinitiativen im Vorfeld des Kriegseintritts der USA 1917

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Aufruf Kaiser Wilhelm II. „An das deutsche Volk“ vom 12.1.1917 (Signatur: LAV NRW OWL D 81 Nr. 7)

Plakat mit dem Titel: Aufruf Kaiser Wilhelm II. „An das deutsche Volk“ vom 12.1.1917
Maße: 46 x 31 (H/B)
Signatur: LAV NRW OWL (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe) D 81 Nr. 7

Plakattyp: Bekanntmachungsplakat
(aus Bestand Regierungsakten LAV NRW OWL L 75 XIII Nr. 3, 1 weiteres Exemplar)

Beschreibung:
Eine zornige Frau mit erhobenem Schwert steht vor einer zornigen Volksmasse; im Hintergrund ist ein großer fliegender Adler zu sehen. Die Blicke der Masse, des Greifvogels und der Frau sind in die Richtung des Betrachters, in die Ferne, ausgerichtet

Inhalt:
Kaiser Wilhelm II. wendet sich an das deutsche Volk. Er erklärt, dass die Feinde Deutschlands demaskiert seien, indem sie das Friedensverhandlungsangebot des Deutschen Reiches abgelehnt und nunmehr den Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber ihre Kriegsziele eröffnet haben, die er als „Eroberungssucht“ bewertet und „schändlich“ nennt.
Es folgen eine Erinnerung an die Tapferkeit und die Siege der Truppen sowie der Aufruf zum weiteren Kampf und dem Erdulden der Opfer mit der Aussicht auf einen Sieg mit Hilfe Gottes.

Transkription:

An das deutsche Volk!
Unsere Feinde haben die Maske fallen lassen. Erst haben sie mit Hohn und mit heuchlerischen Worten von Freiheitsliebe und Menschlichkeit unser ehrliches Friedensangebot zurückgewiesen. In ihrer Antwort an die Vereinigten Staaten haben sie sich jetzt darüber hinaus zu ihrer Eroberungssucht bekannt, deren Schändlichkeit durch ihre verleumderische Begründung noch gesteigert wird.
Ihr Ziel ist die Niederwerfung Deutschland, die Zerstückelung der mit uns verbündeten Mächte und die Knechtung der Freiheit Europas und der Meere unter dasselbe Joch, das zähneknirschend jetzt Griechenland trägt.
Aber was sie in dreißig Monaten des blutigen Kampfes und des gewissenlosen Wirtschaftskrieges nicht erreichen konnten, das werden sie auch in aller Zukunft nicht vollbringen.
Unsere glorreichen Siege und die eherne Willenskraft, mit der unser kämpfendes Volk vor dem Feinde und daheim jedwede Mühsal und Not des Krieges getragen hat, bürgen dafür, daß unser geliebtes Vaterland auch fernerhin nichts zu befürchten hat.

Hellflammende Entrüstung und heiliger Zorn
werden jedes deutschen Mannes und Weibes Kraft verdoppeln,

gleichviel, ob sie dem Kampf, der Arbeit oder dem opferbereiten Dulden geweiht ist.
Der Gott, der diesen heiligen Geist der Freiheit in unseres tapferen Volkes Herz gepflanzt hat, wird uns und unseren treuen, sturmerprobten Verbündeten auch den vollen Sieg über alle feindselige Machtgier und Vernichtungswut geben.

Großes Hauptquartier, 12. Januar 1917.                 Wilhelm I.R. [Imperator Rex (lat.), Kaiser und König]

Vor dem Kriegseintritt der USA am 6. Februar 1917 scheiterte die Friedensinitiative Präsident Wilsons und der „uneingeschränkte U-Bootkrieg des Deutschen Reiches begann, auf den die Kriegserklärung der USA folgte, deren Eingreifen sich kriegsentscheidend auswirkte.

Unmittelbarer Hintergrund des Plakates ist die amerikanische Friedensinitiative von 1916, der die Mittelmächte mit einer eigenen Friedensinitiative zuvorkommen wollten. Am 12.12.1916 verlas der im Reich stark unter Druck geratenen Reichskanzler Bethmann-Hollweg das Angebot des vor dem Deutschen Reichstag. Die Vorschläge der Reichsregierung betonten ausdrücklich die Verhandlungsbereitschaft aus einer Position der Stärke heraus und bleiben vage in Bezug auf die konkreten Zugeständnisse. So stellten sie die im Septemberprogramm von 1914 beinhalteten Annexionsziele des Deutschen Reiches in keiner Weise in Frage und sahen auch keine nennenswerte Rückgabe eroberten Gebietes vor. Die Friedensinitiative wird häufig als Versuch gewertet, die noch neutralen USA möglichst aus dem Krieg herauszuhalten und den bereits geplanten, am 1.2.1917 seitens des Deutschen Reiches beginnenden, uneingeschränkten U-Bootkrieg propagandistisch vorzubereiten und mit der mangelnden Friedenswilligkeit der Entente zu begründen. Das Angebot wurde von der Entente bereits am 30.12.1916 als nicht ernst zu nehmen und auf  unzutreffenden Grundannahmen basierend abgelehnt.

Am 5.1. 1917 rief Kaiser Wilhelm II. in seiner Neujahrsbotschaft seine Truppen zu unvermindertem Kampf auf. Die Entente-Mächte unterbreiteten ihre Ziele am 10.1.1917. Frankreich wollte die Rückgabe Elsass-Lothringens; es stellte sich daneben die Zerschlagung  („écrasement“) des Deutschen Reiches vor, während Großbritannien die Wiederherstellung Belgiens forderte, daneben die deutsche „Weltmachtpolitik“ beenden wollte durch die Zerstörung der Flotte, die Aufteilung der Kolonien und die Beschränkung des deutschen Anteils am Welthandel. Auf diese Ziele der Alliierten verweist der Texts des Propagandaplakates ausdrücklich.

Das Verhältnis zu den USA wurde seitens Deutschlands durch das sogenannte Zimmermann-Telegramm an Mexiko vom 17.1.1917 stark unterminiert, das Mexiko deutsche Unterstützung gegen die USA anbot. Auch das Beharren des Deutschen Reiches auf den Einsatz von Tausenden von Belgiern als Zwangsarbeiter war ein dauerndes Thema der Auseinandersetzung neben den Angriffen der deutschen U-Boote auf amerikanische Schiffe. Mit seiner Rede vom 22.1.1917 hatte Wilson vor dem in der Mehrheit der Neutralität geneigten Kongress einen „Frieden ohne Sieg“ gefordert. Allerdings hatte er zu dem Zeitpunkt bereits die Alliierten durch Lieferungen unterstützt. Am 26.1. unterbreitete Wilson ein weiteres Angebot, das alle Kriegsführenden auf einer gemeinsamen Konferenz zu Gesprächen zusammenbringen sollte. Am 28.1.1917 lehnte die deutsche Regierung Wilsons Friedensbotschaft ab, die Entscheidung für den U-Bootkrieg war gefallen. Heeresleitung und Politiker waren überzeugt, dass ein Kriegseintritt der USA nicht kriegsentscheidend sein würde, da man meinte, die Truppentransporte kämen nicht bis Europa durch und man sei in der Lage, England bis zum Sommer mittels des Einsatzes der U-Bootwaffe zu besiegen und zum Frieden zu zwingen.

Der Hinweis auf Griechenland bezieht sich auf den Einmarsch der Alliierten 1915, der auf keine nennenswerten Widerstände des mit den Mittelmächten sympathisierenden Landes stieß, das sich  ab 1917 den Alliierten zuwandte. Der Hinweis auf den „Wirtschaftskrieg“ verweist auf die Seeblockade der englischen Home Fleet, die den Mittelmächten den Nachschub durch Importe abschnitt. Diese Blockade wurde bald „Hungerblockade“ genannt und war ein weiteres Argument für den „uneingeschränkten U-Bootkrieg“.

Symbolik: Der Adler kann als Repräsentant des Reichsadlers und damit einer Verkörperung Deutschlands gewertet werden. Dies gilt ebenso für die dargestellte Frau als Symbol der Germania, ein weit verbreitetes Symbol, das sowohl in der politischen Karikatur des 19. Jahrhunderts weit verbreitet war und sich zum Beispiel im Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein (1871, in Gedenken an den Sieg über Frankreich) großer Popularität erfreute. In Bezug auf ein Auftreten weiblicher Verkörperung von Tugenden oder Nationen in Zeiten der Bedrohung stellt diese Figur ein typisches Gestaltungselement dar.

Bearbeitung: Heike Fiedler M.A. Archivpädagogin, mit Unterstützung von Dr. Hermann Niebuhr, Landesarchiv NRW Abteilung OWL

Link zum Angebot des Archivpädagogischen Dienstes der Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold

Weiterführende Literatur/ Internetquellen:

  • Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914-1949. München 2003, S. 26-38; S. 39-47; S. 117 f.; S. 167 ff..
  • Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd / Renz, Irina (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn, München, Wien, Zürich 2009, S. 508-512.
  • Brandt, Bettina: Germania und ihre Söhne. Repräsentation von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010.
  • www.dhm.de/lemo/html/1916

Theologiestudent Alfred Heinisch an vorderster Front, 1915

Nordwestfront, 31. Dez. 1915

Hochverehrter Herr Pastor Jaeger!
Hochverehrte Frau Pastor!

Nun bin ich auch mit in die vorderste Linie gekommen. Am 2. Weihnachtsfeiertage sind wir abends in den ersten Graben in Stellung gegangen. Ich schlafe in einem sicheren Unterstande, 150 m von den Engländern entfernt. Nachts muß jeder abwechselnd 2 Stunden Wache stehen und ruhen. Des Tags stehen wir oft an den Pumpen. Wir hatten bis jetzt verhältnismäßig trockenes Wetter. Vorgestern schickten die Engländer ein paar dicke Granaten in die Stellungen rechts von uns. Ich stand gerade auf Beobachtungsposten und sah, wie große Splitter ganz in der Nähe bei einem Inder niederfielen, der noch vom letzten Sturm am 25. Sept. dort liegt. In einem nahen Weidengestrüpp wurden die Vögel aufgescheucht. Ein trauriges Bild, dieser kleine Raum zwischen dem unsrigen und dem feindlichen Graben. Besonders wenn die Granaten dicht über den Graben zischen oder in der Nähe rechts und links einschlagen, überkommt mich leicht ein Gefühl der Traurigkeit und Verlassenheit. Doch wir müssen getrost und zuversichtlich bleiben; schon um der anderen willen; denn sie blicken auf uns und sind wir verzagt in der Not des Feuers, so werden sie schwerlich Zutrauen zu unserem Herrn und seiner Kraft fassen.

Herr Missionar Storck schrieb mir zuletzt aus Warschau. Er war traurig, einem Ruf des Herrn nicht gefolgt zu sein. Er sollte mit dem Stab des G[eneral]f[eld]marschalls v.d. Goltz nach der Türkei; hoffe jedoch, daß ihm dieser Weg noch möglich wird. Er würde ihn zweifellos mehr befriedigen als das rauhe, mit der Zeit vielleicht sogar abstumpfende Kriegshandwerk. Ihr schönes Weihnachtspacket habe ich erhalten; vielen Dank dafür, besonders auch für all die freundlichen Grüße und die Schrift von D. Kähler über „den Verkehr mit Christo“, die mich gestärkt und gefördert hat. Im Mangel und in der Not bewährt sich die Kraft des „gütigen Wortes Gottes“. Ich erwidere alle freundlichen Grüße auf das herzlichste und bleibe
Ihr
Alfred Heinisch

7. AK 13. I.D. IR 13. 12. Komp.

Alfred Heinisch, geboren am 27.9.1893, war im Sommersemester 1914 Student an der Theologischen Schule Bethel. Pastor Samuel Jaeger war Rektor der späteren Kirchlichen Hochschule.

Quelle: LkA EKvW Bestand 13.99 (Kirchliche Hochschule Bethel), Nr. 1250/2

Weihnachtsgrüße des Theologiestudenten Alfred Heinisch von der Front, 1915

Nordwestfront
Dezember 1915

Hochverehrter Herr Pastor Jaeger!
Hochverehrte Frau Pastor!

Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Gruß! Es freut uns im Felde jedes Wort der Teilnahme, wie auch mir oft nach Hause danken und uns freuen, daß daheim wenigstens Frieden ist und wir nicht umsonst leiden. Auch der Christ braucht sich seiner Angst nicht zu schämen. Aber es ist ein Leid, immer in Angst zu sein, und dagegen tröstlich, daß man sich letzten Endes doch in des Herrn Hand weiß. Neulich erhielten wir beim Ausschachten eines Wassergrabens hinter der vorderen Stellung Artilleriefeuer. Ohne Unterstände, nur mit dem geringen Schutz des Grabens, erwarteten wir jede Granate, wie sie zischend herankam, in atemloser Spannung. Es wurde, gottlob, niemand verletzt. Der beste Treffer war ein Blindgänger. Vor einigen Tagen mußte ich mit einem Kameraden über eine weite Höhe, auf der uns die Engländer gut beobachten konnten. Während ich etwas unruhig einen Flieger über uns beobachtete, den ich dann allerdings als einen deutschen erkannte, fand der andere – ein Buch:
Manuel des Enfants de Marie, ein Werk, das mich in der Achtung, die ich auch vor der katholischen Kirche habe, noch bestärkt. Es ist eben nicht alles Formsache, sondern auch drüben ein Glaube möglich, der bewahrt und auch zum Leben führen kann, wo Aufrichtigkeit ist. In dem Orte, wo wir sonst in Ruhe liegen, gehen viele Leute täglich, wahrscheinlich zu kurzer Andacht, in die Kirche. Neulich hatten wir ein schönes Weihnachtskonzert in einer Ortschaft hier dicht hinter der Front. Weihnachten wird es uns vielleicht vergönnt sein, in Ruhe zu feiern.
Zu dem schönen Feste sendet Ihnen die herzlichsten Segenswünsche

Ihr
Alfred Heinisch.

Alfred Heinisch, geboren am 27.9.1893, war im Sommersemester 1914 Student an der Theologischen Schule Bethel. Pastor Samuel Jaeger war Rektor der späteren Kirchlichen Hochschule.

Quelle: LkA EKvW Bestand 13.99 (Kirchliche Hochschule Bethel), Nr. 1250/2

Der Herforder „Seeheld“ Otto Weddigen (1882-1915)

KAH F Otto Weddigen

Otto Weddigen in Uniform 1914

Der am 15. September 1882 geborene Herforder Fabrikantensohn Otto Weddigen wird zum ersten Herforder „Helden“ des Ersten Weltkriegs. Am 22. September 1914 versenkte er als Kommandant des U-Bootes U 9 nördlich von Hoek van Holland innerhalb von 75 Minuten die drei britischen Panzerkreuzer Aboukir, Hogue und Cressy. Etwa 1500 britische Marinesoldaten starben, 800 wurden von einem britischen Fischerboot und niederländischen Passagierdampfern gerettet.

SM_U9_Postcard

Englische Ansichtskarte der Versenkung der englischen Kreuzer

Das U 9 kehrte ohne Verluste nach Helgoland zurück. Diese Aktion Weddigens etablierte die U-Boot-Flotte als wichtiges Mittel der Kriegsführung im Ersten Weltkrieg.

KAH F Otto Weddigen U 29 vor Versenkung

Das U-Boot U 29 kurz vor der Versenkung 1915

Unterseeboot „U 29“ Kommandant K[a]p[i]t[än]l[eunan]t Otto Weddigen,
torpediert an der Südostspitze Englands, nahe den Scilly Inseln
den englischen, mit Kupfer beladenen Transportdampfer „Headlands“

Aufgenommen am 12.3.1915 v[on] d[em] Kapitän der „Headlands“.

Otto Weddigen wurde im deutschen Kaiserreich als Kriegsheld gefeiert, erst Manfred von Richthofen erreichte später ähnliche Berühmtheit. Die Stadt Herford ernannte ihn am 9. Oktober 1914 zum Ehrenbürger. Sein früher Tod am 18. März 1915, er starb als Kommandant des U-Bootes U 29 zusammen mit seiner gesamten Mannschaft beim Untergang, steigerte die Verehrung weiter. Am 18. April 1915 fand in Herford die Gedächtnisfeier für Otto Weddigen statt. In der Weimarer Republik, gesteigert erneut in der NS-Zeit, aber auch nach 1945 blieb er im Gedächtnis.

An den Ehrenbürger Herfords erinnerte seit 1915 das Otto-Weddigen-Ufer an der Werre, das aufgrund der Vorgaben der britischen Militärregierung 1947 zum Andenken an den Kaufmann Eduard Arnold Weddigen offiziell in Weddigenufer umbenannt wurde, sein Grabmal auf dem Friedhof Hermannstraße, eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus und die Bezeichnung H2O (Herfords zweites Otto) für ein Spaßbad, das an gleicher Stelle wie das 1934 erbaute Herford Otto-Weddigen-Bad errichtet wurde. 1960 und 1916 wurden Reste der torpedierten Schiffe bei Tauchgängen gesichert und geborgen.

KAH F Bergungsgut Cressy

Bergungsgut des 1914 von Weddigen versenkten britischen Kreuzers Cressy 1960/61

In den 1980er Jahren war das Gedenken in Herford – u. a. der „Marinekameradschaft Otto Weddigen“ – sehr umstritten, in der Dissertation von René Schilling, „Kriegshelden“. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813-1945, Paderborn 2002 wurde die Diskussion um den Helden nochmals ausführlich dargestellt. Eine große Präsenz hat Weddigen im Alltag nicht mehr. Seit kurzem beschäftigt sich ein niederländischer Forscher mit dem Geschehen und lädt zum Tag der „Heldentat“ die Nachkommen Weddigens und seiner Opfer aus England zu einem Treffen ein (vgl. www.livebaitsqn-soc.info, Stand 18.6.2014).

KAH F Bergung Aboukir 1960 61

Bergung von Resten des 1914 von Weddigen versenkten britischen Kreuzers Aboukir 1960/61

(Christoph Laue, Stadtarchiv Herford)

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Fotosammlung Städt. Museum Herford (Weddigen)

Heimatgrüße der Kirchengemeinde Lüdenhausen, 12/1914

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„Schütz Dich Gott!“ Heimatgrüße für die Soldaten der Gemeinde Lüdenhausen (Lippe) Nr. 12 / 1914 (Ausschnitt)

Seit mehr als hundert Jahren haben zum ersten Mal feindliche Schiffe ihren donnernden Gruß Englands, des „seebeherrschenden“ Englands Küste Entboten! Einer von uns war dabei!

Download der Ausgabe 12 / 1914

Signatur: Landeskirchliches Archiv Detmold, Archiv der Kirchengemeinde Lüdenhausen

Feldpostbrief von Rudolf Kisker, 20.10.1914

St. Marguerite südl. Comines. 20/10.[1914]

Liebe Eltern!

Heute morgen habe ich eine flüchtige Karte mit der Post mitgehen lassen.
Gestern schrieb ich zuletzt von südl[ich] Lille. Wir marschierten dann weiter durch Lille wo wir viele Truppen trafen, in deren Stellungen hier bei Comines unsere Kav[allerie] eingerückt war. Es war das 13. Korps welches wie es hiess bei Arras eingesetzt werden sollte. In Lille sah man das seltene Bild „Deutsche Inf[anterie] mit Regimentsmusik“. Sonst bot sich dasselbe Bild wie am Sonntag. Über Quesnay wurde weitermarschiert nach hier. Noch in später Nacht wurden die Wagen an den Handpferden der Esk[adron] herangezogen. Die Schützen lagen in den festen und sicheren Inf[anterie] Stellungen zwischen Comines und Warneton. Ich fuhr dorthin um meinen Herren etwas zu futtern zu bringen fand natürlich nur wachende Posten und schnarchende Leute in den Unterständen. Ich wollte bis zum Tag dort bleiben musste aber um 5 Uhr mit einem Befehl zurück. Es sollte ein allgemeiner Angriff mit Beginn des Tages stattfinden und nur von jeder Esk[adron] 4 Schützen in den Stellungen bleiben. Ich ging daher zurück trank im Quartier noch einen Morgenkaffee und sammelte dann die Wagen hier bei St. Marguerite.
Die Engl[änder] sollen von Westen auf Commines vorgestossen sein und dabei in die Arme der von Norden kommenden Korps und der von Süden angreifenden Kav[allerie] Divisionen und Jäger [?] gelaufen sein. Da wir aber bisher nur schwaches Gefecht hören, glaube ich, dass sie versucht haben in der Nacht durch kurz kehrt Rettung zu machen.

Eben kam ein Telegramm (man sagt Funkenspruch) dass die Russen durch die Oestreicher u. Perser [?] Schlappen erlitten hätten und dass mehrere englische U.Boote gesunken sein sollen. Auch seien einige deutsche Torpedos verloren gegangen.

Gestern hatte ich mit der Post Vaters Brief vom 13/9 mit Kurts und Mutters Einlagen und eine Wurst v. Mutter. Da war aber ein Schlemmeressen. Kommissbrod mit Butter u. westf[älischer] Wurst.

Heute wieder 50 Cigarillos u. von Hilde ein Paketchen mit Kniewärmern, Chokolade u.s.w. Ich schreibe Ihr gleich meinen Dank. Ich hätte nicht geglaubt, dass Hilde so viel für mich übrig hätte.

Von Siveke hörte ich eben, dass Vater bei Frau S. war und dass sie sehr erfreut über den Besuch gewesen war.
Mit dem Federhalter kann man überhaupt nicht mehr schreiben. Ich ergreife daher wieder den Bleipinsel.
Ich glaube dass all die angemeldeten Sendungen jetzt eingetroffen sind u. noch eintreffen. Wenn Ihr die durch die Ersatz-Eskadron angeforderten Ausrüstungsstücke
Mantel aus Mannschaftstuch mit grossen Taschen u. Kragen matte Knöpfe
Reithose u. Waffenrock aus Mannschaftstuch starkes Futter. Feldmütze
abschickt, so bitte ich auch eine meiner langen Hosen und ein Paar Zugstiefel beizulegen.
An den armen Günter Delius muss ich immer wieder denken. Aber für uns heisst es nicht rückwärts sondern nur im „Vorwärts“ schauen und auf eine baldige Beendigung des Ringens und einen ehrenvollen Frieden zu hoffen.

Alle Augenblicke werde ich gestört und finde keine Ruhe zum Schreiben. Ich schliesse daher mit herzl. Grüssen und einem Kuss für Euch Alle

Euer Sohn Rudolf

Quelle: Feldpostbrief 75, von Rudolf Kisker

Signatur: Privatarchiv Kisker, Nr. 189

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 1.10.1914

Endlich treibt uns wieder ein Böllerschuß aus dem Bette. Deutsches Kriegsschiff habe 4 engl[ische] Dampfer in den Grund gebohrt. Wir verstehen erst Kriegsschiffe & jubeln. Dann kommt der Dämpfer, es sind nur Dampfer (aber immerhin Kriegsdampfer). – Auch das stellt sich als Irrtum heraus. Man sollte nicht zu früh mit Böllern schießen!

Es soll alles vorhandene Geld ans Rote Kreuz abgesandt werden. –

Karte von Heini: Versetzt zur Torpedo-Division nach W[ilhelms9haven. Clara & Magdalene nach Oldendorf bringen einen Brief von m[einem] Patensohn Reg[ierungs-]Baum[ei]st[e]r Ernst Hitzemann mit, der eine ergreifende Schilderung von den furchtb[aren] Opfern in der Schlacht bei Tannenberg geben zugleich von seinem Gottvertrauen. Er war durch Streifschuß im Gesicht tagelang geblendet. –

Brief von einem Duisburger über das Gefangenenlager in der Senne. Nur die Engländer sind bitter verhaßt.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 17/1.10.1914

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)