Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 19.12.1918

Seit 3 Wochen keine Eintragung. Die Neigung ist einem dazu vergangen. Jeder Tag, jede Zeitung brachte neue Demütigungen, neuen Jammer. Die Franzosen haben den Elsaß-Lothringen besetzt & die undankbaren Französlinge haben die deutschen Denkmäler umgestürzt & die Franzosen mit offenen Armen empfangen. Die Städte haben sich für den Anschluß an Frankreich erklärt. […]
Es mehrten sich nun die heimgekehrten Soldaten. Nicht geschlossen, einzeln zu 2 & 3en kehrten sie zurück. Man hört, daß manche Frontsoldaten empört sich über die Zustände in der Heimat geäußert hätten; ansehen kann man es dem Einzelnen nicht, welche Gesinnung er hat. Mißtrauen tut man manchem. Es ist natürlich unwahr, was, wie Frau Kantor erzählt, H[er]r Kosiek gesagt haben soll, man sollte den Soldaten ins Gesicht spucken, weil die die Fahne verlassen hätten. Daraus spricht nur das böse Gewissen, auch aus dem Zusatz der Andern: „Das spricht H[er]r Kosiek ja nur Pastor Hartmann nach.“ Freilich, die Ehrenbogen, welche je länger je mehr sich über die Landstraßen & Dorfstraßen ziehen, muten mich sonderbar an. […].

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 234/19.12.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 10.11.1918

Martini. Auf dem Wege nach Bieren überholt mich Uthoffs Wagen & nimmt mich mit. Der Frühzug sei doch mit Post angekommen. Gestern Abend sei die Nachricht gekommen, 18 franz[ösische] Divisionen hätten die Waffen niedergelegt. Das Landratsamt sei von dem Arbeiter & Soldatenrat besetzt. Ich gehe auf die Bierener Post & sehe in den ausliegenden Zeitungen, daß in Osnabrück von 2 aufrührerischen Marinern die Stadt dem Aufruhr gewonnen ist. Der Oberbürgermeister hält vor den Stadtverordneten eine sehr vorsichtige Rede nach dem Rezept: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. In Herford hat der Aufruhr ebenfalls gesiegt. Man sagt, der Kaiser & Kronprinz hätten abgedankt. [Friedrich] Ebert (Soz[ialdemokrat]) sei Reichskanzler. Lieschen Meier, die von der Beerdigung ihrer Schwester bis Bünde hatte fahren können, war mit ihrem Koffer über Börningh[ausen] zu Fuß nach Oldendorf gegangen, da weiter kein Zug verkehrte. Sie hat selbst gesehen, wie ein Soldate dem Andern die Kokarde abgerissen hat. Auch Mesterheide-Gehle ist von Krefeld gekommen ohne Kokarde mit einem roten Bändchen im Knopfloch & hat sich nicht geschämt, dasselbe noch angesichts des Amtmannes zu tragen & dieser hat es ihm nicht abgerissen!! Dagegen hat er strahlend erzählt, daß er aus einem geplünderten Magazin ein Paar neue Stiefel ergattert habe. Schändlich!
In Bieren singen wir das Martinilied & 332 Lesung Ps[alm] 93, Predigt über Ps[alm] 39. Die christl[iche] Sterbekunst worin sie besteht, was sie uns bietet, „daß sich vor der Sterbelust auch der Satan fürchten mußt“ & wer sie kann. Ich hoffe auf dich, Ich bin dein Pilgrim & Bürger. Errette mich von aller meiner Sünde & laß mich nicht den Narren zum Spott werden. Sei mein! Die Speiche, die im Rade oben steht, geht im selben Augenblicke nach unten.
Wir singen noch 504, dann zu Wilken im Bruche, deren Tochter Luise an der Schwindsucht schwer daniederliegt. Natürlich ist das Gespräch überall bei den Ereignissen & die Besorgnis, die Aufrührerischen möchten aufs Land kommen, ist groß. Als ich zu Hause bin, sagt mir Clara, daß Miss[ionar] Helmich schon nicht mehr für den Kaiser gebetet hat, sondern „für unsere Obrigkeit“. Ich finde das empörend, es liegt aber ganz auf der Linie, wie die Überwältigung Osnabrücks durch 2 Mariner. Dabei hat ein Sonderblatt aus Bünde noch die Nachricht gebracht: der Kaiser bleibt. Gebe Gott in Gnaden, daß es Wahrheit sei & bleibe! Ich machte einen Besuch bei Klos, traf aber nur die Mutter. –

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 229f./10.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

August Tappe im Ersten Weltkrieg. Wie Militär und Kriege eine Schwarzenmoorer Familie erschütterten

Tappe Militärpass 1

Militärpass von August Tappe

Militärpaß
des
Gefreiten d[er] R[eserve] (gestrichen: Grenadiers)
Heinrich
August Tappe
5. Garde-Regiment zu Fuß
6. Kompagnie
Jahresklasse: 1910

16.12.1918 Reservist August Tappe wurde infolge Mobil-
machung am 6.8.1914 bei nebenstehendem Truppenteil
eingestellt und gehörte der Komp[anie] bis 16.12.1918 an.
Gemäß Demobilmachungsbestimmungen am 16.12.
1918 nach Schwarzenmoor Kreis Herford entlassen.

Beförderungen: Am 27.1.1915 zum überz[ähligen] Gefreiten ernannt
Am 21.2.1915 zum et[at]mä[ßigen] Gefreiten ernannt.

Auszeichnungen: Am 31.3.1917 E[isernes] K[reuz] II. Kl[asse]

[Darunter gedruckte und handschriftliche Liste der mitgemachten Gefechte.]

Tappe Militärpass 7

Militärpass von August Tappe, Titel und Liste der Schlachten

Tappe Militärpass 7a

Militärpass von August Tappe, Titel und Liste der Schlachten

„Die Aussichten über den Ausgang des Krieges sind doch schlecht augenblicklich wohl schlechter, wie während des ganzen Krieges. Nun mag das Ende dieses Krieges doch nicht mehr allzufern sein. Wo Bulgarien nun abgefallen ist, muß die Türkei doch auch Schluß machen. Österreich macht auch gleich mit und dann ist Deutschland gezwungen, wenn es nicht alle Männer opfern will, das es auch Frieden macht.“

So hellsichtig schrieb August Tappe aus Schwarzenmoor bei Herford am 3. Oktober 1918 „aus dem Felde“. Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon über vier Jahre Krieg er- und überlebt. Sein Feldpostbrief an die Familie wird am Ende noch drastischer: „Wir dachten jetzt mal ein par Tage in Ruhe zu kommen, aber da ist jetzt keine Zeit mehr zu. Die Truppen werden alle gebraucht. Überall greift der Feind an, es ist traurig das die Zeitungen in Deutschland so viel Blödsinn schreiben. Hätten sie sich beizeiten gemäßigt dann könnten wir schon längst Frieden haben. Aber das ist Schuld der Alldeutschen und des Junkertums.“

Auch ein „einfacher“ Soldat aus Herford, weit weg von der Heimat konnte also genaue Beurteilungen über Kriegspropaganda und –schuld abgeben. Die meisten Feldpostkarten und –briefe sind weit harmloser, meist berichten die Soldaten nur über erhaltene Pakete, Truppenverlegungen und Lazarettaufenthalte, die wahren Kriegserlebnisse bleiben außen vor. Standard sind Formulierungen wie „Mir geht es noch gut.“

August Tappe, geboren 1890 in Schwarzenmoor und dort auch 1974 verstorben, war in dritter Generation Schuhmacher und betrieb nebenbei etwas Landwirtschaft auf seinem kleinen Hof in der Nähe der Vlothoer Straße.

Er war ein stattlicher Mann, 173 Zentimeter groß, und kam daher nach seiner Musterung auf Stiftberg zum 5. Garderegiment zu Fuß nach Berlin-Spandau. Dort leistete er vom 11. Oktober 1910 bis 23. September 1912 seine Militärausbildung und musste er kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs wieder erscheinen. Ab 6. August 1914 war er im Krieg und wurde am 16. Dezember 1918 wieder nach hause entlassen.

Sein überlieferter Militärpass beschreibt, was er miterlebte. Er war unter anderem im August 1914 bei der Einnahme von Namur (Belgien) dabei, Anfang September war er in der Schlacht an der Alle (auf dem Weg nach Russland), bei Gefechten bei Jendrzewo, Kielce, Opatow, im Oktober bei der Schlacht bei Iwangorod, im November /Dezember bei der Schlacht um Lodz, im Februar 1915 bei der Winterschlacht in Masuren und im September 1915 in der Schlacht bei Wilna.

Im Oktober 1915 ging es zurück nach Frankreich. Bis Juni 1916 war er in Stellungskämpfen in Flandern und im Artois und von Juli bis September 1916 bei der Schlacht an der Somme. Es folgten Stellungskämpfe dort bis März 1917, dann die Schlacht bei Arras, Stellungskämpfe im Artois und das Gefecht bei Lens. Im September/Oktober 1917 war er in der Schlacht in Flandern, es folgten die Kämpfe in der „Siegfriedstellung“ bis März 1918, dann die „Große Schlacht“ in Frankreich bis zum April 1918. Einer kurze Ruhepause hinter der Front im Mai 1918 folgten weitere Schlachten bei Noyon, Stellungskämpfe in Lothringen, bei Soissons und Reims, dann die Marneschlacht im August/September 1918 und weitere Kämpfe vor der Siegfriedstellung. Seine Soldatenzeit endete mit Rückzugskämpfen, der Räumung der besetzten Gebiete und der Rückkehr nach Spandau.

Er blieb „nur“ Gefreiter, also einfacher Soldat, hatte keine Verletzungen erlitten und bekam am 31. März 1917 das Eiserne Kreuz II. Klasse. Bilder zeigen ihn mit Schuhmacherwerkzeug auch im Krieg. Am 10. Dezember 1934 erhielt er das von Adolf Hitler eingeführte „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“.

Den hellsichtigen Feldpostbrief schrieb er am 3. Oktober 1918 während der Stellungskämpfe an der Vesle. Seine Briefe und Feldpostkarten bekamen sein Vater Schuhmachermeister Ernst Tappe, seine Schwester Paula und seine Verlobte Marie Müller am Altensennerweg: „Liebe Marie, Bin eben in der neuen Heimat angekommen und habe soeben ein Brieflein von Dir erhalten, wofür ich herzlich danke. Habe in den letzten tagen nicht schreiben können. Grund im Brief. Geht mir aber noch sehr gut. Morgen mehr. Mit Herzlichem Gruß August,“ lautet der Text auf einer Karte aus Cambrai vom 30. April 1918.

Sein Sohn hütet den Wehrpass, die Orden und die Briefe noch heute wie einen Schatz, die Erinnerung an den Vater ist sehr lebendig und geht ihm heute noch nahe, was auch mit der weiteren Familiengeschichte zusammenhängt. Denn von drei Söhnen, die August Tappe mit seiner Marie nach dem Ersten Weltkrieg bekam, lebt nur noch er.

Sohn Friedrich Tappe fiel im Zweiten Weltkrieg am 10. November 1943 in Russland, Sohn Wilhelm Tappe starb früh 1971 an Nachwirkungen seiner Verletzungen im Krieg. Auch August Tappe sollte noch mal in den zweiten Weltkrieg. Die Jahrgänge bis 1889 zurück wurden 1943 gemustert. Am 5. November, also wenige Tage, bevor sein Sohn in Russland das Leben verlor, wurde auch August Tappe als „kriegsverwendungsfähig“ für den „Landsturm 1 A“ eingestuft. In den aktiven Einsatz kam er nicht mehr. Auch sein jüngster Sohn, mit Geburtsjahr 1928 eigentlich noch ein „wehrfähiger“ Jahrgang, blieb verschont.

Eigentlich eine ganz normale Familie, die aber durch die Weltenbrände im 20. Jahrhundert tief erschüttert und geprägt wurde.

(Christoph Laue, Stadtarchiv Herford)

Tappe Feldpostbrief 1918 1

Feldpost
An Herrn Ernst Tappe
Schuhmachermeister
Schwarzenmoor Nr. 105
Post Herford Westfalen

[1]
Im Felde, den 3.10.18

Lieber Vater!

Endlich kann ich Euch auch wieder
ein Brieflein schreiben und ich
hoffe, das es Euch bei bestem
Wohlsein antrifft. Auch mir geht es
noch gut. Haben nun einige Tage
wieder gutes Wetter. Nun zur
Antwort auf Euren Brief. Wie ich schon
im Kartenbrief schrieb: Könt Ihr die
Sache mit dem Gelde ruhen lassen. Doch
wenn Ihr Friedrich noch nichts davon gesagt
habt, denn man weiß noch nicht, wie
noch alles kommen mag: Die Aussichten über den
Ausgang des Krieges sind doch schlecht
augenblicklich wohl schlechter, wie während
des ganzen Krieges. Nun mag das Ende
dieses Krieges doch nicht mehr alzufern sein

[2]
wo Bulgarien nun abgefallen ist, muß
die Türkei doch auch Schluß machen. Öster-
reich macht auch gleich mit und dann ist
Deutschland gezwungen, wenn es nicht
alle Männer opfern will, das es auch Frie-
den macht. Was uns da für Bedingun-
gen aufgelegt werden, das lässt sich noch
nicht ersehen. Aber jeden fals werden wir
mit dem Maß gemessen, wo unsere
Staatsmänner mit messen wollten.
Aber es ist alles gleich, wenn nur dies
Elend aufhört, dann wollen wir zu-
frieden sein. Das Junkertum wird dan
schon von selbst gestürzt werden.
Bei Euch geht die Arbeit ja immer
so mit der Zeit weiter, es freut
mich, das Ihr alles noch so schaffen könnt.
Na nun wird Paula ja auch wieder alle
Hände voll zu tun haben. Kommt Ihr
denn auch wohl aus mit den 63. ltrn. pro

[3]
Morgen? Na wir verzichten hier schon
freiwillig auf Kartoffeln, da wir
doch keine kriegen!!! Oder erst wenn
die verfroren sind. Ich verstehe nur
nicht das Ida jetzt sein Haus verkaufen
will. Wenn ich dort währe und hätte
mir diese Jahre schon etwas verdienen
können würde ich es tatsächlich kaufen
denn das ist nun noch das einzige, wo das
Geld sicher steht, was soll man sonst mit den
alten Papierlappen. Ich verstehe nicht
das Ihr Euch noch so in Sicherheit fühlt
in Deutschland. Nun hoffentlich erfüllen
sich die Geschicke schneller wie der Verkauf.
Allerdings nach dem Kriege kriegt sie ja
nicht den hohen Preis wie jetzt, aber Ihr
Geld steht so doch sicher. Sie muß es
aber ja wissen. Nun ist es schon
wieder Oktober, wie die Zeit doch

[4]
hingeht. Wir dachten jetzt mal ein
par Tage in Ruhe zu kommen, aber
da ist jetzt keine Zeit mehr zu. Die
Truppen werden alle gebraucht. Überall
greift der Feind an, es ist traurig
das die Zeitungen in Deutschland
so viele Blödsinn schreiben, hätten
sie sich beizeiten gemäßigt dann könn-
ten wir schon längst Frieden haben.
Aber das ist Schuld der Alldeutschen und
des Junkertums. Für uns wird es auch
immer schlechter als Handwerker in der
Companie, es kann bald die Zeit kommen
wo wir auch in der Front sind. Nun
will ich schließen. Mit den herzlichsten
Grüßen auch an Paula bleibe ich

Euer August

Schreibt bald wieder
Paket Nr. 2 erhalten, besten Dank

Tappe Feldpostbrief 1918 2

Feldpostbrief von August Tappe vom 3. Oktober 1918

Tappe August und Marie

Foto August und Marie Müller, später Tappe

Tappe August Tappe 1914 18 5

August Tappe als Schuster im Krieg, 18. Mai 1914

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv Herford, Slg. E 453

Aufenthaltsorte des Soldaten Heinrich Büsemeyer von März 1916 bis Mai 1918

buesemeyer1

Heinrich und Johanne Büsemeyer um 1910 (privat)

Der Besenkämper Hauptlehrer Heinrich Büsemeyer (*13.8.1884, †16.5.1918) hat als Soldat im Ersten Weltkrieg hunderte von Briefen, Ansichtskarten, Fotografien und Visitenkarten an seine 1909 geehelichte Frau Johanne Büsemeyer (1886-1957) und seinen 1911 geborenen Sohn geschickt, die die Familie bis heute bewahrt. Neben seinen Briefen hat Heinrich Büsemeyer, der Mitte Mai 1918 fiel, auch ein Kriegstagebuch geführt. Aus diesen Quellen hat sein namensgleicher Enkel folgende Aufenthaltsorte für die Jahre 1916 bis 1918 exzerpiert.

Aufenthaltsorte von Heinrich Büsemeyer  von März 1916 bis Mai 1918

1916

6.3.    „… bin auf dem Weg nach Münster“ (eingezogen)

12.3.    Neuer Krug, Münster

16.4.        „Fahrt über Haltern, Wanne und Düsseldorf-Rath nach Cöln, das wir gegen Abend erreichen.“

12.00 Uhr nachts: „Wir sind in Herbestal. … Hinter mir das liebe deutsche Vaterland … Im Morgengrauen tauchen die Türme von Lüttich auf … Weiter geht die Fahrt durch das Maastal nach Namur… Über Namur geht die Fahrt weiter nach Charleroi… Von Charleroi bis Mons … . Gegen Abend sind wir in Tournay … weiter geht die Fahrt in der Richtung auf Orchies… Auf der Haltestelle Rumes verlassen wir den Zug und marschieren bei Anbrechen der Dunkelheit schwer bepackt durch den strömenden Regen nach Bourghelles …

20.4.        Verlegung nach Bachy, etwa 4km südlich von Bourghelles. „Ostern feierte ich in Bachy in Nordfrankreich.“ „Bachy war mein erstes Quartier auf französischem Boden.“

1.5.        „Letzter Tag meines Aufenthaltes in Bachy. Morgen geht’s zum Regiment 13.“

2.5.        „Nach langem, beschwerlichen Marsch über die holprigen französischen und belgischen Straßen bin ich in Antoiny (Belgien) beim Regiment 13 angekommen.

9.5.        (Brief 311 vom 9.5.1918:) „Heute vor 2 Jahren (…) fuhren wir von Bavi-Maulde in Belgien ab nach den blutgetränkten Feldern von Verdun.“

3.6.    „… bin nicht mehr in Belgien“

4.6.    „30 km nördlich von Verdun“. „Pfingsten feierte ich auf den Totenfeldern vor Verdun.“

6. – 16.6.    keine Korrespondenz

7.6.        „Am 7. Juni marschierte unser Bataillon von Murvaux aus in Stellung. Wir brachen um drei Uhr nachmittags feldmarschmäßig bepackt auf, waren gegen acht Uhr in Danneroux, wo wir aus der Feldküche das Essen empfingen. Um 10.30 Uhr ging’s im strömenden Regen weiter. Wir kamen bald in einen großen Wald, wie ich später feststellte, war es der berüchtigte, von französischen Granaten arg heimgesuchte Forges-Wald. … Als wir aus dem Walde heraus waren, kamen wir in das Forgesbachtal.

17.6.    „… schwere Tage liegen hinter mir“

19.6.    „… liege am Ufer der Maas“

25.6.    „… bin in der Nähe des ‚Toten Mann'“

1.7.        Mauldes in Belgien, Beginn der Daumenentzündung (siehe Brief 16.7.)

2.7.    „… wohne in der Taufkirche der Johanna von Orleans“ (Domrémy-la-Pucelle, Dep. Vosges)

3.7.    „… wohne in einer arg zerschossenen Dorfkirche, 15 km hinter der Front, am ‚Toten Mann'“

4.7.         „Vor Verdun“

6.7.        „Morgen werden wir in unsere Sturmstellung einrücken. Ich habe mich freiwillig für den Stoßtrupp gemeldet.“

8.7.         Am „Toten Mann“ vor Verdun

9.7.    „… bin ins Feldlazarett in einer früheren Pfarre überwiesen worden“ (Daumenoperation)

11.7.    Hat in den vergangenen Tagen eine Karte aus Brieulles geschickt

11.7.    „Wir liegen etwa 4 km vom vordersten Graben in einer ausgebauten, günstigen Stellung.“

15.7.    Ist ins Kriegslazarett Laneuville verlegt worden, in einem Schloß („eher wie ein besserer Gutshof“) mit Park

19.7.    Laneuville liegt 10 km (?! – stimmt nicht!) von Stenay, dem Hauptquartier des Kronprinzen, die Front ist 40 km entfernt

30.7.        Laneuville:    „Duft blühender Linden, …sitze auf einem Balkon mit Wein und Kletterrosen“

14.8.    Wurde nach Stenay zur Genesungsabteilung verlegt

15.8.    Zur Bahnhofskommandantur Stenay abkommandiert

26.8.    „… schlafe nicht im Bahnhof, sondern vor der Stadt in der Infanteriekaserne“

2.9.    „… kann dicht am Bahnhof ein Zimmer beziehen – reinlich, tapeziert, mit wunderschönem Ausblick“

10.9.    „… war vor ein paar Tagen wegen eines Kantinen-Einkaufs in Sedan“

28.9.    „Turmuhr Laneuville schlägt 11 Uhr abends, 3 Schlag den Dreiklang abwärts“

1.10.    „… sitze in der Gartenlaube (an der Wohnung?!), dicht vor mir, unterhalb der alten Gartenmauer, weiden einige Dutzend Kühe“

1917

14.1.    Im dienstlichen Auftrag nach Sedan

25.1.         Aus dem Urlaub (Ankunft Bielefeld am 20.1.) in Besenkamp zurück in Stenay, Fahrt ging über Bahnhof Ückingen bei Diedenhofen. Er schreibt nach Lotte, wo er Johanne und Günther noch vermutet.

31.1.    Ende der Zeit in Stenay: „Am 31. Januar bin ich wieder zu meiner Kompanie und damit wiederum in die Welt der Schützengräben gekommen.“

5.2.        -21° C

7.2.    „in Stellung“

21.2.    im Ruhequartier Waldlager Münster (Munster?)

1.3.    „im Unterstand“

5.3.    „… aus dem Graben“ – bis 24.3. abkommandiert nach Currel („1/2 Stunde entfernt“) zum Kursus zum Gebrauch der Nahkampfmittel

8.3.        „… heute nach Currel übergesiedelt“, (9.3.:) „bis Ende März“

20.3.        Currel

27.3.        Besuch bei Herrn Wöhrmann in Vilosnes (am 28.5. fragt er, ob Herr Wöhrmann bei Vilosnes „geblieben“ sei)

1.4.    Heimaturlaub (Karte aus Stenay vom 11.4.: „… wieder zurück im verhaßten Frankreich“), danach:

„Der Übergang aus dem friedlichen Daheim in das Elend des Schützengrabens wurde mir dadurch erleichtert, daß ich die ersten 10 Tage nach meiner Rückkehr bei der Feldintendantur unserer Division beschäftigt war.“

15.4.        „Seit gestern etwas nach Westen verlegt in die Nähe des Cheppi-Waldes“

3.5.    „Seit vorgestern wieder in Stellung als Gefechtsordonnanz beim Bataillon“,
„Links von uns die Trümmer von Malancourt und Haucourt , etwas weiter die Mauerreste von Béthincourt , schräg vor uns der Tote Mann und Höhe 304.“

6.5.        „Wir kommen also auch in die große Offensive an unserer Westfront.“

10.5.        „Heute sind wir zum letzten Mal vor Verdun ins Stellung.“

14.5.        Wir sind auf der Fahrt und berührten Sedan-Charleville.

15.5.        „Ankunft in Rocoy. Marsch bis Renneville; ungefähr 6 km. Ortsunterkunft auf Stallboden.“

16.5.        „Marsch nach Lappion. Von 1.00 Uhr bis 5.00 Uhr Ruhe in der Kirche zu Lappion, dann Weitermarsch nach Truppenübungsplatz Sissons.“

„Letzte Grüße aus dem Waldlager, wir rücken morgen ab.“

17.5.        Marsch nach Samoussy.

Liegen in der Nähe von Laon, Unterkunft in Zelten

2.6.        Marsch in Stellung Höhle Cerny-West. Zwischenaufenthalt in Parfondru. „Abends gegen einhalb 11 Uhr bei Montenault ins Artilleriefeuer gekommen.“

3.6.        „… sind Höhlenbewohner geworden.“

6.6.    „… liegen am Rande des ehemaligen Dorfes Cerny.“

13.6.        „… Chemin des dames wird von unserem Graben durchschnitten.“

19.-20.6.    „Urlaub nach Sedan zwecks Vernehmung als Zeuge.“

23.6.        Abends 7.00 Uhr: „Marsch in die Stellung. Alles ruhig, durch Artillerie nicht belästigt. In Martigny Kirschen gepflückt.“

3.-6.7.        „Bataillon mit 3 Kompanien in Reserve im Negerdorf. 1. Kompanie bleibt vorn. Während dieser Tage bin ich zum Barackenbau im Waldlager bei Parfondru abkommandiert.“

„Negerdorf“ liegt 1,5 km hinter der ersten Linie.

6.7.        „… das letzte Mal am Chemin des dames in Stellung.“

7.7.        Marsch in Stellung nach Cerny-Ost.

18.7.        Morgens 5.30 Uhr: „Marsch aus Stellung. Feuer bei Martigny.“

29.7.        „Um 6.00 Uhr abends fand in der Dorfkirche zu Parfondru die Feier des heiligen Abendmahls statt für evangelische Mannschaften.“

2.8.        Morgens 7.30 Verwundung durch französische Sprenggranate an der rechten Wange, … zu Fuß nach Chamoully, von da mit einem Krankenauto nach Bruyères gefahren wurde. Von Bruyères zum Hauptverbandsplatz auf einer Ferme bei Parfondru. Von da aus am selben Abend ins Feldlazarett 70 in Liesse.

2.8.-6.8.    Feldlazarett in Liesse.

6.8.        „… mit einem Lazarettzug nach dem Kriegslazarett Glageon bei Hirson.“

6.8.-10.9.    Kriegslazarett Glageon, dann zur Truppe entlassen. Fahrt bis Hirson.

11.9.        Von Hirson dem Feldrekruten-Depot in Thénailles überwiesen; Fahrt bis Vervins.

13.9.    Zur Feldersatzkompanie der 13. I.B. überwiesen.

27.9.    Zur Kompanie nach Crécy sur Serre zurück.

1.10.    Er kündigt Urlaub ab 10. oder 11. Oktober an.

4.10.        Nächsten Donnerstag oder Freitag soll Günther zuweilen nach Bünde oder  nach Brinkmanns hinausschauen, ob der Vater kommt.

24./28.10.        Ist nachts um 2 aus dem Urlaub wieder in Laon angekommen, Regiment liegt nach schweren Tagen in Ruhe.  Regiment liegt in der Nähe von Hirson und wird am 29.10. verladen.

31.10.        Bataillon liegt seit 30.10. in Floing, „bewohne mit 5 Kameraden ein Zimmer am Marktplatz“ (Beschreibung in Brief 252). Regiment hatte große Verluste, „von meinen Bekannten nichts mehr da“. „Wie ist es mit Günthers Lehmumschlägen?“ (erstmals wird die Knieverletzung erwähnt).

18.11.        Besuch bei Bruder August in Virton, den er seit 3 Jahren nicht gesehen hat. Verlegung kündigt sich an, angeblich zum Truppenübungsplatz
Beverlos in Belgien.

23./25.11.        Liegen in Imécourt in den Argonnen, Quartier in einem alten Klosterhof mit Wassergraben, 20 km hinter der Front.

1918

1.1.-6.1.    Liegt als Beobachter „¾ Stunde vor der Kompanie“.

11.1.    Am 13. Tag in Stellung.

13.1.    Aus der Stellung – im Waldlager (Cierges); Verlegung deutet sich an, „Bewegungskrieg wird vorbereitet“.

16.1.        Liegen in Ruhe in Cierges.

22.1.    Wieder in Stellung, „war kürzlich dem Tode sehr nahe“ (Flugzeug hatte ihn am 21.1. im Beobachtungsstand beschossen – Brief 278).

25.1.        „Vor 2 Stunden (ca. 7.30) tobte hier eine wahre Hölle“.

31.1.        In Ruhe im Waldlager (=Cierges)

7.2.    „Seit gestern liegen wir in Arlon an der belgisch-luxemburgischen Grenze. (…) wohne mit zwei Unteroffizieren in einer kleinen Wirtschaft.“

15.2.        „Werden wahrscheinlich wieder verlegt.“

19.2.    „Liegen in Anzin an der französisch-belgischen Grenze, einem Vorort von Valenciennes (…) bin in einer Schule untergebracht.“ Operation an Günthers Knie wird erwogen.

1.3.        Post soll angeblich für 14 Tage gesperrt werden.

7.3.    „Von morgen an werden keine Briefe mehr befördert“ – nur noch Postkarten als „Lebenszeichen“.

bis 18.3.    nur kurze Feldpostkarten-Grüße

18.3.    schreibt Abschiedsbrief, der in seiner Brieftasche bleibt

21.3.        Offensive beginnt (Brief 304)

3.4.    „Leben gut von den Vorräten, die uns der Tommy zurückgelassen hat.“ Große Sorge um Günthers Krankheit, die „falsch behandelt“ wurde.

7.4.    „Gestern hat man mich zum Vizefeldwebel gemacht, natürlich wegen Tapferkeit vorm Feinde. Als ob’s für einen Soldaten etwas anderes gibt als Tapferkeit.“

15.4.    Günther ist im Krankenhaus

19.4.    Auf dem Marsch

20.4.    „Links der Somme“, seit 20.3. erstmals wieder unter einem Dach, ist beim Bataillonsstab

30.4.    „Die Kompanie hat nur noch einen Offizier, sonst keinen Feldwebel und Unteroffizier mehr.“

9.5.        „Wir alle sind durch die großen Strapazen und schweren Kämpfe der letzten Wochen seelisch krank geworden. Infolge der starken Verluste sind die alten Gesichter fast ganz aus der Kompagnie verschwunden. Man führt sich ordentlich vereinsamt und fremd.“

Am 16. Mai 1918 findet Heinrich Büsemeyer den Tod durch einen Granatvolltreffer bei Castel/Picardie.

Quellen: Kriegstagebücher 16.4.1916 – 4.10.1917, Briefe 22.2.1916 – 16.5.1918 (+), Privatarchiv Heinrich Büsemeyer

Lit.: Heinrich Büsemeyer: „Wer behauptet, der Krieg mache die Menschen besser, der spricht eine Lüge aus.“ Briefe des Besenkämper Hauptlehrers Heinrich Büsemeyer 1916-1918, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 18/2011, 161-191.

Pfarrer Karl Niemann (1895-1989) und der Erste Weltkrieg

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Pfarrer Karl Niemann (1895-1989), Foto von ca. 1941

Heinrich Karl Ludwig Niemann wurde am 14. Oktober 1895 im Pfarrhaus von Veltheim (Kreis Minden) geboren. Er verstarb im 94. Lebensjahr am 5. April 1989. Sein Vater war der damalige Pfarrer von Veltheim und spätere Superintendent von Vlotho, Ernst Niemann (1860-1934), seine Mutter Martha (1868-1945) war Tochter des Superintendenten Steinmetz aus Göttingen. Karl Niemann hatte drei Brüder und eine Schwester. In seinem Elternhaus verlebte er nach eigenen Worten „eine sonnige Kindheit“. Im Anschluss an den Schulbesuch in Veltheim und Rinteln (Ostern 1914: Abitur) besuchte er die Universitäten in Göttingen, Tübingen und Münster. Der Entschluss zum Theologiestudium beruhte allein auf „meiner freien Willensentscheidung“, gab Karl Niemann 1921 an. Er entsprang weder häuslicher Beeinflussung, noch dem Umstand, dass es seit Generationen Theologen in der Familie gegeben hatte. Niemann engagierte sich als Chargierter im Münsterschen Wingolf, einer christlichen, nichtschlagenden Studentenverbindung. Der Münstersche Wingolf beteiligte sich fast geschlossen an den Freikorpskämpfen der frühen Weimarer Republik. So wurde die „Akademische Wehr Münster“ mit ihrem Truppenführer Martin Niemöller zur Sicherung der Verkehrswege in der westfälischen Provinzialhauptstadt gegen aufständische Ruhrarbeiter eingesetzt. Karl Niemann schloss sich ebenfalls einem Freikorps an, allerdings nicht dem Münsterschen Verband.

1921 hatte Niemann in Münster um Zulassung zum Ersten theologischen Examen „gemäß den für Kriegsteilnehmer geltenden Bestimmungen“ gebeten. Seine Examensarbeit reichte er verspätet ein bzw. es sorgte die nach Abgabe erfolgte Lektüre der Arbeit durch seinen Vater (der das Konsistorium bat, die Verzögerung „übersehen zu wollen. Es war der Wunsch des Vaters, die Arbeiten des Sohnes zu lesen, gewiß doch ein nicht unberechtigter Wunsch“) für eine 10-tägige Verspätung. Vor seiner Ordination hatte er, wie alle Hilfsprediger, eine Erklärung über seine Stellung zur heiligen Schrift und zum Bekenntnis schriftlich abzulegen. Darin verdeutlicht er gegen jede Tendenz möglicher verbalinspirierter Vorstellungen der Bibel, dass es für ihn nicht um eine „sklavisch-enge Bindung an jeden Buchstaben der heiligen Schrift“ gehe, da die einzelnen Schriften der Bibel in ihrer Entstehung „zeitgeschichtlichen Voraussetzungen unterliegen, insofern als sie aus bestimmten Anlässen, für bestimmte Menschen und Verhältnisse, in bestimmten schriftstellerischen Formen und von Menschen mit besonderer religiöser Eigenart geschrieben wurden“.

Im Sommer 1923 wurde der nunmehrige Hilfsprediger Karl Niemann in Krombach ordiniert und damit in den Stand versetzt, in eine Pfarrstelle gewählt zu werden. In der damaligen wirtschaftlich schwierigen Zeit zeigten die Krombacher Gemeindeglieder eine besondere „Opferbereitschaft“ zur finanziellen Erhaltung der Hilfspredigerstelle. Am Ende seiner Krombacher Hilfspredigerzeit heiratete Karl Niemann im Oktober 1924 die Kandidatin der Theologie und Philosophie, Elfriede Möhlenbeck (1896-1989), Tochter eines Seidenwarengroßhändlers aus Krefeld. Die Ehe blieb kinderlos. Seine Frau machte sich u.a. als Herausgeberin des in den Kirchengemeinden genutzten Kindergottesdienstblattes verdient.

Karl Niemann gehörte einer Alterskohorte an, die auch zweimal aktiven Kriegsdienst zu leisten hatte und verbrachte so insgesamt rund zehn Jahre seines Lebens im Krieg. Er nahm – zuletzt im Dienstgrad eines Leutnants – durchgängig, vom 3. August 1914 bis zum 1. Februar 1919, am Ersten Weltkrieg teil. Vom 2. Mai 1940 bis zum 8. September 1945 nahm er dann am Zweiten Weltkrieg teil. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Niemann noch sein erstes Semester in Göttingen absolvieren können (Sommersemester 1914). Vom Wintersemester 1914/15 bis zum Wintersemester 1918/19 war er dann offiziell – kriegsbedingt – „beurlaubt“. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich als Freiwilliger beim Ersatzbataillon eines Infanterieregiments in Minden. Nach kurzer Ausbildungszeit rückte er am 9. Oktober 1914 ins „Feld“. „Durch Gottes Güte“, so schrieb Niemann rückblickend, „durfte ich fast den ganzen Feldzug in vorderster Linie beim Infanterieregiment Nr. 15, vom 17. Okt. 1916 ab als Offizier mitmachen“. Bei Neuve Chapelle in Nordfrankreich wurde Niemann am 1. Mai 1915 verwundet und ins Lazarett Cambrai gebracht. Am 28. April 1918 zwang ihn eine zweite, ebenfalls in Nordfrankreich erlittene Verwundung, in die Heimat zurückzukehren. Er musste längere Zeit in den Lazaretten von Koblenz, Dresden und Oeynhausen verbringen. „Zu meiner Freude konnte ich nach meiner Wiederherstellung noch im Grenzschutz verwandt werden.“ Er stellte sich im Oktober 1918 dem Grenzschutz Weege-Kevelaer und später Burlo-Oeding bei Borken zur Verfügung. Die beiden erlittenen Verwundungen hinterließen keine ernsteren gesundheitlichen Folgen.

Während des Krieges hatte Karl Niemann erwogen, sein Theologiestudium aufzugeben und Soldat zu bleiben. Zum einen hatten ihn vermeintlich erfahrene und wohlmeinende ältere Offiziere dazu geraten, zum anderen waren ihm selbst „leise Zweifel“ gekommen, ob er den „gewaltigen Aufgaben“ des Pfarramtes nach dem Kriege gewachsen sein würde. Zudem glaubte er zeitweilig, als Offizier „dem Vaterlande durch Ausbildung von Männern, die an Geist und Körper gesund für die Aufgaben ihres bürgerlichen Berufes gestärkt wären, besser dienen zu können“. Schließlich ging es ihm wie so vielen Akademikern, die mehrere Jahre im Krieg gewesen waren: Sie verspürten eine gewisse Scheu vor der Wiederaufnahme des Studiums. „Mancherlei äußere Verhältnisse“, hierzu hat vermutlich das Ende des Kaiserreichs sowie mit Sicherheit die Abschaffung der Wehrpflicht 1919 gehört, „vor allem aber meine Verwundung und der unglückliche Ausgang des Krieges haben diese Gedanken nicht zur Tat werden lassen.“ Obwohl er viereinhalb Jahre lang „jedweder wissenschaftlicher Ausbildung“ entzogen war, mochte er die im Krieg gesammelten Erfahrungen „äußerer und vor allem innerer Art“ nicht missen. Am 1. Februar 1919 nahm er das Studium in Göttingen wieder auf. „Seitens der Dozentenschaft wurde alles getan, um uns Kriegsteilnehmern den Übergang zu friedlicher Arbeit zu erleichtern.“ Karl Niemann war besonders an der praktischen Theologie, an der Kirchengeschichte und am Alten Testament interessiert. Es fanden sog. „Zwischensemester“ im Frühjahr und Herbst statt, die insbesondere den Kriegsteilnehmern einen rascheren Studienabschluss ermöglichen sollten. Niemann bezweifelte jedoch, dass dieser „schnelle Wechsel der Semester für die theologische Entwicklung glücklich war“, zumal wirtschaftliche und politische Nöte in der Nachkriegszeit das Studium erschwerten. So kam es beispielsweise zu zwei kurzen Einberufungen Niemanns als „Zeitfreiwilliger“ in dieser Zeit.

(Dr. Jens Murken, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen)

Signatur: LkA EKvW Pers. Beam. 0108

Theologiestudent Alfred Heinisch schreibt Pastor Jaeger (Bethel)

Dörenkamp bei Paderborn, 10. Nov. [1917 ?]

Lieber Herr Pastor Jaeger!

Zu meiner großen Freude erfahre ich von der hohen Ehrung, die Ihnen zuteil geworden ist [Verleihung der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Halle/Saale] und beeile mich, Ihnen meinen tiefgefühlten und herzlichen Glückwunsch darzubringen. Gern gedenke ich noch des Sommers 1914, da ich zu Ihren Füßen eingeführt wurde in die Bücher Mose, im Saale der Sozialen Schule, Stunden, die mir dann draußen im Felde und dann im Lazarett das Eindringen in das Wort erleichterten. Wie gern würde ich nochmals bei Ihnen lernen.
Aber es kam der Krieg, der uns nach jener schönen Abschiedsstunde in den letzten Julitagen 1914 auseinanderjagte. Wie viele von den lieben Kameraden sind nicht mehr. Auch mich hat Gott manch schwere Wege geführt, aber es waren Wunderwege und Gnadenwege.
Jesaja 38:16 kann ich auch bezeugen in Bezug auf die schrecklichen Tage an der Somme. Ich glaube, man zehrt und lebt von diesen Eindrücken zeit seines Lebens.
Herzlichen Dank für Ihre frdl. Karte und Einladung! Leider ist noch immer Urlaubssperre. Ich denke jede Woche ein paar Mal daran, ob es sich nicht doch ermöglichen ließe, nach B[ielefeld] zu fahren. Auch braucht mich Herr Superintendent Klingender sehr oft. Es ist mir eine herzliche Freude, ihm zu helfen. Heute Morgen habe ich im Sennelagerlazarett Gottesdienst gehalten. Heute Nachmittag habe ich in dem so ganz katholischen Paderborn zum ersten Male – ein Bibelkränzchen gehalten. Es waren 15 Gymnasiasten da. Wie herrlich ist das! Hoffentlich kann ich doch bald mal rüberfahren nach Bielefeld.
Mit herzlichem Gruß, auch an Ihre Frau Gemahlin und die lieben Kinder

Ihr getreuer Alfred Heinisch.

Alfred Heinisch, geboren am 27.9.1893, war im Sommersemester 1914 Student an der Theologischen Schule Bethel. Pastor Samuel Jaeger war Rektor der späteren Kirchlichen Hochschule.

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Quelle: LkA EKvW Bestand 13.99 (Kirchliche Hochschule Bethel), Nr. 1250/2 und Nr. 1281 (Zeitungsberichte Jaeger)

Der letzte Brief von Ernst Brünger aus Herford, 30.7.1917

Einen Tag vor seinem Tod schreibt der Herforder Soldat Ernst Brünger einen Brief aus Veslud an seine Eltern und Geschwister. Die Adresse ist die des Soldatenfriedhofs, auf dem er jetzt liegt, rund 7 Kilometer südwestlich von Laon in Nordfrankreich.

Letzter Brief 1

Letzter Brief 2

Veslud, den 30.7.17

Liebe Eltern u. Geschwister!

Jetzt sind schon wieder mehrere Tage verflossen und Ihr habt von mir kein Lebenszeichen gehört. Ihr werdet sicher erstaunt sein, wenn ich Euch mitteile, daß ich jetzt bei Regiment 15 bin Ers[atz-]Bat[ail]l[on] Minden. – – –

Meine Lieben! Am 31. Abends wird hier gestürmt. – Ich bin dem Stoßtrupp zugeteilt. Näheres über den Sturm darf ich nicht schreiben. –

Unsere Artillerie schießt in der Nacht auf das Fleckchen von 800 m Tiefe u. 3 km Breite 500 000 (½ Mill) Schüsse schwersten Kalibers. Ihr könnt dann wohl denken, daß der Franzose nicht viel Widerstand mehr leistet. – Unser Oberleutnant hat jedem vom Stoßtrupp 8 T[a]g[e] Url[aub] versprochen, wenn der Sturm gelingt. – – –

Am 1.8. müßt Ihr mal in die Zeitung sehen – unsere Stellung ist rechts vom Winterberg bei Cerny.* – –

Auf Wiedersehen!
Euer Ernst.

Abs. Musketier Brünger
Inf. Rgt. 15
II. Batl. 6. Komp.
2. Korporalsch.

* Cerny-en-Laonnois: ca. 13 km südlich von Laon am „Chemin des Dames“, ca. 11 km südlich von Veslud. Der Chemin des Dames ist ein Höhenzug in ost-westlicher Richtung südlich von Laon. Der Name Chemin des Dames stammt aus der Zeit von Louis XV., der in dieser Gegend ein Jagdschloss besaß. Während die Männer auf Jagd waren, ritten oder fuhren die Damen auf dem Chemin des Dames zum Schloss. – Hier fand eine der blutigsten Materialschlachten des gesamten Ersten Weltkriegs statt. Die meisten Dörfer im Umkreis des Chemin des Dames wurden vollständig zerstört. Craonne war so stark zerstört, dass es als Nouveau Craonne in der Nähe neu erbaut wurde.

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Grab von Ernst Brünger in Veslud. – Zwischen 1920 und 1930 besuchte Ernsts Bruder Hermann den Soldatenfriedhof in Veslud gemeinsam mit seinem Freund Erich Diekmann.

 

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Ernst Brünger – Musketier + 31.7.1917. Das Holzkreuz auf dem Soldatenfriedhof von Veslud ist mittlerweile durch ein Steinkreuz ersetzt worden.

Fotos aus folgendem Buch:

Quelle: Eberhard Brünger (Hg.): „Ernst Brünger (1898-1917) – Briefe von der Westfront 1917“, Selbstverlag, Freistatt 2014.

Ein makabres Erinnerungsstück aus dem Schützengraben

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Ein makabres Erinnerungsstück aus dem Schützengraben: Englische Feldausgabe des Lukas-Evangeliums, auf der Umschlagrückseite ein Fleck mit dem handschriftlichen Hinweis „Blut des schwerverwundeten Engländers“. (Stadtarchiv Paderborn, S 1/99/9)

Das Bändchen stammt aus dem Besitz des 1899 geborenen Paderborners Heinrich Z. Im Herbst 1916 verließ er mit dem „Einjährigen“ das Paderborner Gymnasium Theodorianum und meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Im Mai 1917 kam der nunmehrige Musketier Z. an die Westfront zum Infanterieregiment 457, wo er an schweren Kämpfen in Nordfrankreich und Flandern teilnahm und schließlich im November 1917 schwerverwundet in britische Gefangenschaft geriet. Erst im November 1919 wurde er nach Hause entlassen.

Vom Tag seines Abrückens an die Front bis zur Rückkehr aus der Gefangenschaft pflegte er mit seiner Familie einen überaus intensiven Briefwechsel, von der Front mindestens einen Brief oder eine Karte pro Tag, aus der Gefangenschaft  zwei bis drei Briefe pro Woche. Sie sind im Stadtarchiv Paderborn weitestgehend erhalten. Ergänzt werden sie durch eine mit allerlei Erinnerungsstücken angereicherte Niederschrift zur Familiengeschichte, die Z. 1938 für seinen kleinen Sohn fertigte und worin er u. a. auch über seine Kriegserlebnisse berichtete.

Zu den Erinnerungsstücken gehört das hier gezeigte blutbefleckte Lukasevangelium, zu dem er schreibt, er habe es von einem durch eine deutsche Handgranate schwerverwundeten Engländer geschenkt bekommen als Dank für die gute Behandlung. Z. und seine Kameraden hätten den Engländer geborgen und seine Wunden versorgt, doch sei er kurz darauf gestorben. So die Darstellung von 1938.

Erhalten hat sich aber nicht nur das kleine Heft, sondern auch die Inhaltsliste des Päckchens, worin Z. es – zusammen mit anderen Dingen – 1917 von der Front nach Hause schickte. Und da heißt es: „1 Gebetbuch, das ich einem mir damals zum Opfer gefallenen Tommy abnahm.“ Ob Tatsache oder Aufschneiderei muss offen bleiben.

(Rolf-Dietrich Müller, Stadtarchiv Paderborn)

Signatur: Stadtarchiv Paderborn, S 1/99/9

Die „Herforder Luftschiffer“ – Wilhelm Vogt als Ballonflieger im Ersten Weltkrieg

Vogt Herforder Luftschiffer

Herforder Luftschiffer 1914/15 (Foto: Stadtarchiv Herford)

Stolz posieren die „Herforder Luftschiffer“ mit einem dicken Fass 1914/15. Dieses Bild ist bisher einmalig und schlägt ein unbekanntes Kapitel zum Einsatz Herforder Soldaten im Ersten Weltkrieg auf. Mit auf dem Bild ist der Wilhelm Vogt, geboren 1878 in Diebrock und im zivilen Leben Herforder Polizeisergeant. Er wohnte an der Bielefelder Straße und war im Krieg einer der wenigen deutschen Luftschiffer. Am 15. Januar 1917 schickte im „Ihre Freundin“ Auguste Petzhold verspätete Neujahrsgrüße zur Feld-Luftschiff Abteilung Nummer 12 im Westen. Hier nämlich war Vogt seit 1914 beim Ballonzug 33 des Luftschifftrupps No. 3 eingesetzt. Ob wirklich als Fahrer eines Ballons oder „nur“ im Wagenbaukommando, ist bisher unklar. Jedenfalls stand er mit seiner Truppe in Westflandern und bei Ypern im schon bald sinnlos werdenden Stellungskrieg.

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Wagenbaukommando der Feldluftschiffer Abteilung 12 vor Ypern 1914/15 (Foto: Stadtarchiv Herford)

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Westflandern Feldzug 1914/1915 Fröhliche Ostern (Foto: Stadtarchiv Herford)

Die an einer Trosse aufsteigenden Fesselballons dienten im Ersten Weltkrieg zur taktischen Gefechtsfeldaufklärung. Erfinder und Namensgeber waren August von Parseval und Hans Bartsch von Sigsfeld. Die ziemlich schwerfälligen Geräte fanden zunächst nur wenig Verwendung, sie wurden aber im Graben- und Stellungskrieg ab September 1914 wichtiger, da von ihnen aus auch die die kleinsten Truppenverlegungen beobachtet werden konnten. Trotzdem hatte das Heer im Februar 1915 an der Westfront nur neun Fesselballone mit entsprechend wenigen Feldluftschiffern. Jeder Ballonzug besaß nur einen Ballon, wenn dieser zerstört worden war, fiel die gesamte Einheit aus.

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Feldluftschiff / Ballon im Einsatz (Foto: Stadtarchiv Herford)

Noch war diese Waffe zu unbekannt auch bei der Heeresleitung. Erst im März 1915 wurde die Dienststelle „Chef des Feldflugwesens“ gegründet. Im Angriff auf Verdun im Februar 1916 setzte sie erstmals zwölf Ballone koordiniert ein, deren Aufklärungsmeldungen zentral an die Führung weitergeleitet.

1916 verfügte das deutsche Heer über 53 Feldluftschiffabteilungen und 128 Ballonzüge, im Sommer 1918 über 186 Ballonzüge. Materialengpässe machten 1918 die Zusammenführung von je zwei Ballonzügen zu einem Ballonzug notwendig. Die neue Struktur gewährleistete neue (schnellere) Material- und Personal-Verfügbarkeit. Gleichzeitig mit dem Ausbau gab es die höchsten Verluste ihrer Geschichte. Mit neuer Brandmunition schoss der jeweilige Gegner die Ballone ab.

Vogt gehörte zur Feldluftschiffer-Abteilung 12, die von September bis November bei den Kämpfe um Nancy, bis Ende April 1915 an den Stellungskämpfen an der Yser, im Mai 1915 bei den Kämpfen um Ypern, ab Februar 1916 bis September 1917 bei Verdun und 1918 in den Abwehrkämpfen zwischen Maas und Argonnen eingesetzt war. Die von ihm gesammelten Bilder zeigen auch mit Toten im Schützengraben auch die Schrecken des Krieges.

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Tote Soldaten im Schützengraben. Foto aus dem Album des Herforder Soldaten Wilhelm Vogt (Foto: Stadtarchiv Herford)

Er überlebte den Einsatz und starb 1930 in Herford, 1953 starb seine Frau Henriette, geb. Schwagmeier. Nach dem Tod des Sohnes und Kleinbahnbeamten Fritz gelangten die Bilder in den 1990er Jahre auf dem Flohmarkt. Ein aufmerksamer Sammler stellte sie vor kurzem dem Herforder Stadtarchiv zur Verfügung.

(Christoph Laue, Stadtarchiv Herford)

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv Herford Slg. E 518

Mitteilung über den Tod des Kandidaten der Theologie, Musketier Karl Edeler, 1915

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Todesanzeige vom 14. November 1916. Karl Edeler starb bereits am 8. März 1915.

 

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Schreiben von Rektor Ernst Edeler an die Theologische Schule Bethel zum Ableben seines Sohnes Karl Edeler (LkA EKvW 13.99 Nr. 896/8)

Bielefeld, den 15.11.1916

Hochgeehrter Herr Pastor!
Was wir lange gefürchtet, das wird uns jetzt als schmerzliche Tatsache bestätigt: Unser Sohn Karl Edeler, den Sie im Sommersemester 1910 und im Wintersemester 1913/14 zu Ihren dankbaren Hörern zählten, hat im Dienste des Vaterlandes sein junges Leben gelassen. Nach Aussage eines Kriegsgefangenen in Frankreich ist er am 8. März 1915, als die Franzosen in der Winterschlacht in der Champagne mit Gewalt den vordersten Graben angriffen, durch Bajonettstiche in die Brust schwer verwundet worden und nach Überführung in das franz[ösische] Feldlazarett in Gegenwart jenes Deutschen verstorben.
In dankbarer Erinnerung an den Segen, den der Heimgegangene in der Theolog[ischen] Schule genossen hat, und dessen er sich stets bewußt war, übersenden wir Ihnen für Ihre Anstalt 100 M[ark]* mit dem herzlichen Wunsche, daß es ihr vergönnt sein möge, recht bald im Frieden neue Scharen von jungen Arbeitern im Weinberge des Herrn heranzubilden.

Mit hochachtungsvollem Gruße
Rektor Edeler u[nd] Frau.

* Ich bitte, unsern Namen nicht zu veröffentlichen.

Karl Edeler wurde am 7. Mai 1891 in Halle / Westf. geboren. Er legte Ostern 1910 die Reifeprüfung am Gymnasium Bielefeld ab. Anschließend studierte er in Bethel, Leipzig, Tübingen und Kiel Evangelische Theologie.

Sein Vater Ernst Edeler war seit 1894 Rektor der evangelischen Volksschule in Schildesche, seit 1907 dann Leiter der 3. Bürgerschule in Bielefeld, bevor er 1908 an die Knaben-Mittelschule berufen wurde.

(Eva-Maria Hartmann, Bielefeld)

Signatur: LkA EKvW 13.99 Nr. 896/8

Anti-Kriegsstimmung im Jahr 1916 und behördliches Einschreiten

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Schreiben des Magistrats der Stadt Lage an die Fürstliche Regierung zu Detmold vom 9. 9.1916 (Signatur: LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026)

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Beschlagnahmte Bittschrift des SPD-Vorstandes (Berlin) mit Namen und Adressen der Bittsteller (Signatur: LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026)

Transkript des Petitionstextes:

Herausgegeben vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin SW, 68, Lindenstraße 3

Petition an Se. Exzellenz den Herrn Reichskanzler Dr. v. Bethmann Hollweg.

Die Unterzeichneten fordern, daß dem Krieg, der seit mehr als zwei Jahren Europa verwüstet und allen beteiligten Ländern ungeheure Opfer an Gut und Blut auferlegt, so bald als möglich ein Ende bereitet wird. Unter Ablehnung aller Eroberungspläne, die nicht nur den Krieg verlängern, sondern auch den Keim zu neuen Kriegen in sich tragen, fordern die Unterzeichneten von den Verbündeten Regierungen, daß sie sich zum Abschluß eines Friedens bereit erklären, der dem Reiche
1. seine politische Unabhängigkeit,
2. seine territoriale Unversehrtheit,
3. seine wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit gewährleistet.

Signatur: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe (LAV NRW OWL) L 79 Nr. 7026
Amtliches Schreiben aus dem Bestand Regierungsakten LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026 (Lippische Regierung, Jüngere Registratur) sowie Petition des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an Reichskanzler von Bethmann-Hollweg vom September 1916. Beschlagnahmte Bittschrift des SPD-Vorstandes (Berlin) mit Namen und Adressen der Bittsteller, ebenfalls aus dem Bestand Regierungsakten LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026.

Das Schreiben des Magistrats der Stadt Lage im Format DIN A 5 beschreibt die Beschlagnahmung einer – nach Darstellung des Magistrats – durch die SPD der Stadt Lage in Umlauf gebrachte Friedenspetition und überreicht insgesamt 7 einzelne Listen im Original an die Fürstliche Regierung. Somit ist davon auszugehen, dass in Lage allein an mindestens 7 Stellen diese Petition ausgelegen haben muss, oder sie auf andere Weise ihrem Adressatenkreis zugänglich gemacht worden ist. Das Schreiben trägt den Eingangsstempel der Fürstlichen Regierung vom 12.9.1916 sowie verschiedene zeitgenössische handschriftliche Vermerke der Bearbeitenden.

Die Friedenspetition trägt in der linken oberen Ecke die Adresse des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und nennt als Ziele der Petition das möglichst baldige Ende des Krieges und die Aufgabe aller Eroberungspläne unter den Bedingungen der politischen Unabhängigkeit des Deutschen Reiches, seines territorialen Fortbestandes und seiner wirtschaftlichen „Entwicklungsfreiheit“. Es folgt eine Tabelle, die den Eintrag der Namen, Berufe und Adressen der Unterzeichnenden vorsieht und die ausgefüllt vorliegt. Insgesamt beläuft sich die in der Akte überlieferte Liste der Unterzeichner auf 14 DIN A 4 Seiten mit 137 namentlich genannten Personen. Außer des hier gezeigten Exemplars mit insgesamt 15 Unterzeichnern befinden sich weitere 6 in der Akte.

Die vorliegende Unterschriftenliste ist im Zusammenhang mit der Forderung einer Friedensinitiative des Parteivorstandes der SPD zu sehen, der am 11. August 1916 zu einer Unterschriftensammlung für eine Petition aufrief, die sich gegen die Propaganda der Annexionisten wendete. Die Kriegsziele eines Eroberungskrieges, wie er von den Annexionisten vertreten wurde, waren inzwischen allgemein bekannt. Dies stand gegen die Darstellung des Krieges als ein Verteidigungskrieg gegen die russische Monarchie, die es 1914 möglich gemacht hatte, die Politik des Burgfriedens und die Gewährung der Kriegskredite auf Seiten der SPD durchzusetzen. Allerdings gingen maßgebliche Teile die SPD weiter grundsätzlich vom Führen eines Verteidigungskrieges aus, was in der Rechtfertigung der Politik seit dem 4. August 1914 durch Verabschiedung des Manifestes „Zur Friedensfrage“, das am 23.9.1916 verabschiedet wurde, deutlich wird. Das Manifest wurde mit einer Mehrheit von 251 angenommen. Es gab nur 5 Gegenstimmen und 15 Enthaltungen. Die Petition wurde, versehen mit 899.149 Unterschriften, am 16. Dezember 1916 dem Reichskanzler zugestellt.

Nach zeitgenössischen Berichten aus Bad Salzuflen – einem Schreiben des Magistrats an die Fürstlich-Lippische Regierung und das Stellvertretende Generalkommando in Münster – wurde die Petition in Bad Salzuflen über den dortigen Konsumverein verbreitet. Es wurde weiter berichtet, dass auch in anderen Städten „diese Schriftstücke“ auslägen. Das Stellvertretende Generalkommando in Münster berichtete in einem Schreiben vom 7. September 1916, dass die „Petitionen der sozialdemokratischen Partei“ durch Zeitungsboten verbreitet werde und diese auch Unterschriften sammelten. Es verfügte die Beschlagnahmung. Das Verbot war bereits mit Schreiben vom 16. August durch das Stellvertretende Generalkommando ausgesprochen worden mit der Anweisung: „Etwa auftauchende Schriftstücke sind zu beschlagnahmen und in polizeiliche Verwahrung zu nehmen“. Ein weiteres Schreiben des Stellvertretenden Generalkommandos vom 18. August 1916 weist auf einen weiteren Verbreitungsweg hin, der offensichtlich von den Verbreitern der Petition genutzt wurde, nämlich das Auslegen in Gaststätten. Man wollte auf staatlicher und militärischer Seite aber offenkundig eine Verhärtung der Positionen verhindern, denn das Schreiben des Stellvertretenden Generalkommandos weist ausdrücklich darauf hin, dass Maßnahmen wie Verhaftungen und Haussuchungen zu vermeiden seien.

Im bereits genannten Schreiben des Magistrates der Stadt Bad Salzuflen heißt es: „Wir halten das Verfahren [Anm. der Verfasserin: Auslegen einer Petition für den Frieden] für bedenklich und dem vaterländischen Interesse widersprechend, da man möglicherweise nachher die Feststellung machen wird, daß Millionen von Deutschen unter allen Umständen den Frieden wollen und daß diese Feststellung vom Auslande unter Entstellung der Tatsachen ausgebeutet wird.“

1916 war ein Jahr der schwierigen Nahrungsmittelversorgung, der zunehmenden Kriegsmüdigkeit und auch der vermehrten Streikbereitschaft. Im Sommer fanden Demonstrationen gegen Lebensmittelknappheit und den Krieg statt. Das Jahr 1916 war ebenfalls das Jahr der Verabschiedung des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst (5.12.1916) und der Friedenspetition des Deutschen Reichstages (12.12.1916), die von den alliierten Mächte als unannehmbar abgelehnt wurde (30.12.1916). Die SPD schwankte zwischen dem Hoffen auf eine Wahlrechtsreform nach Kriegsende, der positiven Bewertung der staatlichen Intervention in wirtschaftlichen Fragen als einer Art „Kriegssozialismus“ und der Erfahrung einer wirtschaftlichen Verelendung vieler durch die Folgen der Kriegswirtschaft und der Militarisierung. Sie forderte immer wieder Interventionen des Staates zur Sicherung der Versorgung aller. Die Spaltung der Linken hatte begonnen. Die Spartakusgruppe sah die „Petition für den Frieden“ denn auch eher als  „Eine Petition gegen den Frieden“ an. Insgesamt habe eine Friedenspetition, die an den Reichkanzler gerichtet sei, keine Chance, da sie aufgrund der Politik der Regierung unberücksichtigt bleiben müsse, heißt es in einem ihrer Flugblätter. Die Regierungshaltung wird darin als eine Politik mit imperialistischer Ausrichtung eingestuft. Dementgegen gehe die Petition weiter von einem Verteidigungskrieg aus, was nicht den Realitäten entspreche.

Die oben beschriebene Kriegsmüdigkeit erklärt sich neben der schlechten Nahrungsmittelversorgung aus der Situation an der Front. Dort fand die deutsche Offensive um einen Durchbruch an der französischen Front statt; die „Blutmühle“ von Verdun wurde sprichwörtlich. Es handelte sich um einen zähen Stellungskrieg, dessen Opfer sich in acht Monaten auf deutscher Seite auf 336.000 und auf französischer auf 365.000 beliefen. Zur Entlastung der Alliierten begann die britische Armee zudem ihren Angriff an der Somme und die russische Armee ging mit der Brusilov-Offensive gegen die österreichisch-ungarische Seite vor. Die prekäre Situation führte zur Absetzung Erich von Falkenhayns, der von Hindenburg und Ludendorff als Vertreter eines Siegfriedens und der Expansion abgelöst wurde.

Bearbeitung: Heike Fiedler M.A., Archivpädagogin, mit Unterstützung von Dr. Hermann Niebuhr, Landesarchiv NRW Abteilung OWL

Link zum Angebot des Archivpädagogischen Dienstes der Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold

Weiterführende Literatur/ Internetquellen:

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 8.8.1916

Col[on] Stukemeyer hat sich von seinem Gefangenen Duval allerlei in die Ohren hängen lassen: Deutschland wäre doch am Kriege schuld. Frankreich hätte so wenig mit Krieg gerechnet, daß es am Anfang ohne Munition gewesen wäre. Nur die Reserven wären von den Deutschen überlaufen; als Joffre mit den Aktiven, die bis dahin in Paris gewesen wären, gekommen wäre, da wären die Deutschen gelaufen u.s.w. Gut, daß dieser Nörgler nicht Reichskanzler ist.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 100/08.08.1916

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)