Aufenthaltsorte des Soldaten Heinrich Büsemeyer von März 1916 bis Mai 1918

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Heinrich und Johanne Büsemeyer um 1910 (privat)

Der Besenkämper Hauptlehrer Heinrich Büsemeyer (*13.8.1884, †16.5.1918) hat als Soldat im Ersten Weltkrieg hunderte von Briefen, Ansichtskarten, Fotografien und Visitenkarten an seine 1909 geehelichte Frau Johanne Büsemeyer (1886-1957) und seinen 1911 geborenen Sohn geschickt, die die Familie bis heute bewahrt. Neben seinen Briefen hat Heinrich Büsemeyer, der Mitte Mai 1918 fiel, auch ein Kriegstagebuch geführt. Aus diesen Quellen hat sein namensgleicher Enkel folgende Aufenthaltsorte für die Jahre 1916 bis 1918 exzerpiert.

Aufenthaltsorte von Heinrich Büsemeyer  von März 1916 bis Mai 1918

1916

6.3.    „… bin auf dem Weg nach Münster“ (eingezogen)

12.3.    Neuer Krug, Münster

16.4.        „Fahrt über Haltern, Wanne und Düsseldorf-Rath nach Cöln, das wir gegen Abend erreichen.“

12.00 Uhr nachts: „Wir sind in Herbestal. … Hinter mir das liebe deutsche Vaterland … Im Morgengrauen tauchen die Türme von Lüttich auf … Weiter geht die Fahrt durch das Maastal nach Namur… Über Namur geht die Fahrt weiter nach Charleroi… Von Charleroi bis Mons … . Gegen Abend sind wir in Tournay … weiter geht die Fahrt in der Richtung auf Orchies… Auf der Haltestelle Rumes verlassen wir den Zug und marschieren bei Anbrechen der Dunkelheit schwer bepackt durch den strömenden Regen nach Bourghelles …

20.4.        Verlegung nach Bachy, etwa 4km südlich von Bourghelles. „Ostern feierte ich in Bachy in Nordfrankreich.“ „Bachy war mein erstes Quartier auf französischem Boden.“

1.5.        „Letzter Tag meines Aufenthaltes in Bachy. Morgen geht’s zum Regiment 13.“

2.5.        „Nach langem, beschwerlichen Marsch über die holprigen französischen und belgischen Straßen bin ich in Antoiny (Belgien) beim Regiment 13 angekommen.

9.5.        (Brief 311 vom 9.5.1918:) „Heute vor 2 Jahren (…) fuhren wir von Bavi-Maulde in Belgien ab nach den blutgetränkten Feldern von Verdun.“

3.6.    „… bin nicht mehr in Belgien“

4.6.    „30 km nördlich von Verdun“. „Pfingsten feierte ich auf den Totenfeldern vor Verdun.“

6. – 16.6.    keine Korrespondenz

7.6.        „Am 7. Juni marschierte unser Bataillon von Murvaux aus in Stellung. Wir brachen um drei Uhr nachmittags feldmarschmäßig bepackt auf, waren gegen acht Uhr in Danneroux, wo wir aus der Feldküche das Essen empfingen. Um 10.30 Uhr ging’s im strömenden Regen weiter. Wir kamen bald in einen großen Wald, wie ich später feststellte, war es der berüchtigte, von französischen Granaten arg heimgesuchte Forges-Wald. … Als wir aus dem Walde heraus waren, kamen wir in das Forgesbachtal.

17.6.    „… schwere Tage liegen hinter mir“

19.6.    „… liege am Ufer der Maas“

25.6.    „… bin in der Nähe des ‚Toten Mann'“

1.7.        Mauldes in Belgien, Beginn der Daumenentzündung (siehe Brief 16.7.)

2.7.    „… wohne in der Taufkirche der Johanna von Orleans“ (Domrémy-la-Pucelle, Dep. Vosges)

3.7.    „… wohne in einer arg zerschossenen Dorfkirche, 15 km hinter der Front, am ‚Toten Mann'“

4.7.         „Vor Verdun“

6.7.        „Morgen werden wir in unsere Sturmstellung einrücken. Ich habe mich freiwillig für den Stoßtrupp gemeldet.“

8.7.         Am „Toten Mann“ vor Verdun

9.7.    „… bin ins Feldlazarett in einer früheren Pfarre überwiesen worden“ (Daumenoperation)

11.7.    Hat in den vergangenen Tagen eine Karte aus Brieulles geschickt

11.7.    „Wir liegen etwa 4 km vom vordersten Graben in einer ausgebauten, günstigen Stellung.“

15.7.    Ist ins Kriegslazarett Laneuville verlegt worden, in einem Schloß („eher wie ein besserer Gutshof“) mit Park

19.7.    Laneuville liegt 10 km (?! – stimmt nicht!) von Stenay, dem Hauptquartier des Kronprinzen, die Front ist 40 km entfernt

30.7.        Laneuville:    „Duft blühender Linden, …sitze auf einem Balkon mit Wein und Kletterrosen“

14.8.    Wurde nach Stenay zur Genesungsabteilung verlegt

15.8.    Zur Bahnhofskommandantur Stenay abkommandiert

26.8.    „… schlafe nicht im Bahnhof, sondern vor der Stadt in der Infanteriekaserne“

2.9.    „… kann dicht am Bahnhof ein Zimmer beziehen – reinlich, tapeziert, mit wunderschönem Ausblick“

10.9.    „… war vor ein paar Tagen wegen eines Kantinen-Einkaufs in Sedan“

28.9.    „Turmuhr Laneuville schlägt 11 Uhr abends, 3 Schlag den Dreiklang abwärts“

1.10.    „… sitze in der Gartenlaube (an der Wohnung?!), dicht vor mir, unterhalb der alten Gartenmauer, weiden einige Dutzend Kühe“

1917

14.1.    Im dienstlichen Auftrag nach Sedan

25.1.         Aus dem Urlaub (Ankunft Bielefeld am 20.1.) in Besenkamp zurück in Stenay, Fahrt ging über Bahnhof Ückingen bei Diedenhofen. Er schreibt nach Lotte, wo er Johanne und Günther noch vermutet.

31.1.    Ende der Zeit in Stenay: „Am 31. Januar bin ich wieder zu meiner Kompanie und damit wiederum in die Welt der Schützengräben gekommen.“

5.2.        -21° C

7.2.    „in Stellung“

21.2.    im Ruhequartier Waldlager Münster (Munster?)

1.3.    „im Unterstand“

5.3.    „… aus dem Graben“ – bis 24.3. abkommandiert nach Currel („1/2 Stunde entfernt“) zum Kursus zum Gebrauch der Nahkampfmittel

8.3.        „… heute nach Currel übergesiedelt“, (9.3.:) „bis Ende März“

20.3.        Currel

27.3.        Besuch bei Herrn Wöhrmann in Vilosnes (am 28.5. fragt er, ob Herr Wöhrmann bei Vilosnes „geblieben“ sei)

1.4.    Heimaturlaub (Karte aus Stenay vom 11.4.: „… wieder zurück im verhaßten Frankreich“), danach:

„Der Übergang aus dem friedlichen Daheim in das Elend des Schützengrabens wurde mir dadurch erleichtert, daß ich die ersten 10 Tage nach meiner Rückkehr bei der Feldintendantur unserer Division beschäftigt war.“

15.4.        „Seit gestern etwas nach Westen verlegt in die Nähe des Cheppi-Waldes“

3.5.    „Seit vorgestern wieder in Stellung als Gefechtsordonnanz beim Bataillon“,
„Links von uns die Trümmer von Malancourt und Haucourt , etwas weiter die Mauerreste von Béthincourt , schräg vor uns der Tote Mann und Höhe 304.“

6.5.        „Wir kommen also auch in die große Offensive an unserer Westfront.“

10.5.        „Heute sind wir zum letzten Mal vor Verdun ins Stellung.“

14.5.        Wir sind auf der Fahrt und berührten Sedan-Charleville.

15.5.        „Ankunft in Rocoy. Marsch bis Renneville; ungefähr 6 km. Ortsunterkunft auf Stallboden.“

16.5.        „Marsch nach Lappion. Von 1.00 Uhr bis 5.00 Uhr Ruhe in der Kirche zu Lappion, dann Weitermarsch nach Truppenübungsplatz Sissons.“

„Letzte Grüße aus dem Waldlager, wir rücken morgen ab.“

17.5.        Marsch nach Samoussy.

Liegen in der Nähe von Laon, Unterkunft in Zelten

2.6.        Marsch in Stellung Höhle Cerny-West. Zwischenaufenthalt in Parfondru. „Abends gegen einhalb 11 Uhr bei Montenault ins Artilleriefeuer gekommen.“

3.6.        „… sind Höhlenbewohner geworden.“

6.6.    „… liegen am Rande des ehemaligen Dorfes Cerny.“

13.6.        „… Chemin des dames wird von unserem Graben durchschnitten.“

19.-20.6.    „Urlaub nach Sedan zwecks Vernehmung als Zeuge.“

23.6.        Abends 7.00 Uhr: „Marsch in die Stellung. Alles ruhig, durch Artillerie nicht belästigt. In Martigny Kirschen gepflückt.“

3.-6.7.        „Bataillon mit 3 Kompanien in Reserve im Negerdorf. 1. Kompanie bleibt vorn. Während dieser Tage bin ich zum Barackenbau im Waldlager bei Parfondru abkommandiert.“

„Negerdorf“ liegt 1,5 km hinter der ersten Linie.

6.7.        „… das letzte Mal am Chemin des dames in Stellung.“

7.7.        Marsch in Stellung nach Cerny-Ost.

18.7.        Morgens 5.30 Uhr: „Marsch aus Stellung. Feuer bei Martigny.“

29.7.        „Um 6.00 Uhr abends fand in der Dorfkirche zu Parfondru die Feier des heiligen Abendmahls statt für evangelische Mannschaften.“

2.8.        Morgens 7.30 Verwundung durch französische Sprenggranate an der rechten Wange, … zu Fuß nach Chamoully, von da mit einem Krankenauto nach Bruyères gefahren wurde. Von Bruyères zum Hauptverbandsplatz auf einer Ferme bei Parfondru. Von da aus am selben Abend ins Feldlazarett 70 in Liesse.

2.8.-6.8.    Feldlazarett in Liesse.

6.8.        „… mit einem Lazarettzug nach dem Kriegslazarett Glageon bei Hirson.“

6.8.-10.9.    Kriegslazarett Glageon, dann zur Truppe entlassen. Fahrt bis Hirson.

11.9.        Von Hirson dem Feldrekruten-Depot in Thénailles überwiesen; Fahrt bis Vervins.

13.9.    Zur Feldersatzkompanie der 13. I.B. überwiesen.

27.9.    Zur Kompanie nach Crécy sur Serre zurück.

1.10.    Er kündigt Urlaub ab 10. oder 11. Oktober an.

4.10.        Nächsten Donnerstag oder Freitag soll Günther zuweilen nach Bünde oder  nach Brinkmanns hinausschauen, ob der Vater kommt.

24./28.10.        Ist nachts um 2 aus dem Urlaub wieder in Laon angekommen, Regiment liegt nach schweren Tagen in Ruhe.  Regiment liegt in der Nähe von Hirson und wird am 29.10. verladen.

31.10.        Bataillon liegt seit 30.10. in Floing, „bewohne mit 5 Kameraden ein Zimmer am Marktplatz“ (Beschreibung in Brief 252). Regiment hatte große Verluste, „von meinen Bekannten nichts mehr da“. „Wie ist es mit Günthers Lehmumschlägen?“ (erstmals wird die Knieverletzung erwähnt).

18.11.        Besuch bei Bruder August in Virton, den er seit 3 Jahren nicht gesehen hat. Verlegung kündigt sich an, angeblich zum Truppenübungsplatz
Beverlos in Belgien.

23./25.11.        Liegen in Imécourt in den Argonnen, Quartier in einem alten Klosterhof mit Wassergraben, 20 km hinter der Front.

1918

1.1.-6.1.    Liegt als Beobachter „¾ Stunde vor der Kompanie“.

11.1.    Am 13. Tag in Stellung.

13.1.    Aus der Stellung – im Waldlager (Cierges); Verlegung deutet sich an, „Bewegungskrieg wird vorbereitet“.

16.1.        Liegen in Ruhe in Cierges.

22.1.    Wieder in Stellung, „war kürzlich dem Tode sehr nahe“ (Flugzeug hatte ihn am 21.1. im Beobachtungsstand beschossen – Brief 278).

25.1.        „Vor 2 Stunden (ca. 7.30) tobte hier eine wahre Hölle“.

31.1.        In Ruhe im Waldlager (=Cierges)

7.2.    „Seit gestern liegen wir in Arlon an der belgisch-luxemburgischen Grenze. (…) wohne mit zwei Unteroffizieren in einer kleinen Wirtschaft.“

15.2.        „Werden wahrscheinlich wieder verlegt.“

19.2.    „Liegen in Anzin an der französisch-belgischen Grenze, einem Vorort von Valenciennes (…) bin in einer Schule untergebracht.“ Operation an Günthers Knie wird erwogen.

1.3.        Post soll angeblich für 14 Tage gesperrt werden.

7.3.    „Von morgen an werden keine Briefe mehr befördert“ – nur noch Postkarten als „Lebenszeichen“.

bis 18.3.    nur kurze Feldpostkarten-Grüße

18.3.    schreibt Abschiedsbrief, der in seiner Brieftasche bleibt

21.3.        Offensive beginnt (Brief 304)

3.4.    „Leben gut von den Vorräten, die uns der Tommy zurückgelassen hat.“ Große Sorge um Günthers Krankheit, die „falsch behandelt“ wurde.

7.4.    „Gestern hat man mich zum Vizefeldwebel gemacht, natürlich wegen Tapferkeit vorm Feinde. Als ob’s für einen Soldaten etwas anderes gibt als Tapferkeit.“

15.4.    Günther ist im Krankenhaus

19.4.    Auf dem Marsch

20.4.    „Links der Somme“, seit 20.3. erstmals wieder unter einem Dach, ist beim Bataillonsstab

30.4.    „Die Kompanie hat nur noch einen Offizier, sonst keinen Feldwebel und Unteroffizier mehr.“

9.5.        „Wir alle sind durch die großen Strapazen und schweren Kämpfe der letzten Wochen seelisch krank geworden. Infolge der starken Verluste sind die alten Gesichter fast ganz aus der Kompagnie verschwunden. Man führt sich ordentlich vereinsamt und fremd.“

Am 16. Mai 1918 findet Heinrich Büsemeyer den Tod durch einen Granatvolltreffer bei Castel/Picardie.

Quellen: Kriegstagebücher 16.4.1916 – 4.10.1917, Briefe 22.2.1916 – 16.5.1918 (+), Privatarchiv Heinrich Büsemeyer

Lit.: Heinrich Büsemeyer: „Wer behauptet, der Krieg mache die Menschen besser, der spricht eine Lüge aus.“ Briefe des Besenkämper Hauptlehrers Heinrich Büsemeyer 1916-1918, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 18/2011, 161-191.

Aufruf „An euch in der Heimat! An euch an der Front“, 1917

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„An euch in der Heimat! An euch an der Front“ – Aufruf des Stellvertretenden Generalkommandos Münster zur Steigerung der Rüstungsproduktion, 1917 (Autoren: Otto Rielicke, Friedrich Balzert)

Transkription:

[Front]

An euch in der Heimat!
Wir haben gekämpft und wir haben geschafft,
Wir haben das Schwert und wir haben die Kraft,
Wir haben den Gott, und wir haben das Recht,
Wir sind ein starkes, gesundes Geschlecht!
Wir tragen den Willen und fühlen den Sieg
Schon tausend Tage durch diesen Krieg,
Schon tausend Nächte durch Grauen und Tod,
Durch Stunden des Jubels und Stunden der Not!
Wir haben die Kraft und wir tragen das Schwert,
Zu schützen das Edle, das Deutsche, den Herd,
Zu schützen die Wahrheit, die Treue, das Recht
Vor Schande und vor dem Britengeschlecht.
Wir siegen! Wir siegen, auch wenn uns droht
Durch abermals tausend Nächte die Not,
Durch abermals tausend Tage Verderben,
Durch abermals tausend Stunden das Sterben.
Wir siegen! Wir siegen – denn Wille ist Macht.
Wir schwören es Euch aus der schweren Schlacht.
Wir rufen es durch den eisernen Tod,
Wir jubeln es durch die heulende Not:
Wir siegen. Wir siegen – trotz Briten und Welt,
Solange die Heimat die Treue uns hält,
Solange die Heimat weiß, was es gilt,
Solange sie unsere Bitte erfüllt:
Schafft rastlos Granaten!

[Heimat]

An euch an der Front!
Wir wissen, ihr Streiter, wie hart ihr geschafft,
Wie scharf euer Schwert und wie groß eure Kraft.
Wir wissen, daß Gott euch zur Seite geht,
Wenn ihr in dem schweren Kampfe steht.
Der Wille zum Sieg, der euch Helden beseelt,
Der hat auch noch keinem von uns gefehlt.
Wir wollen gern Not und Entbehrungen tragen
Und durch Arbeit helfen, den Feind zu schlagen,
Denn nur was Werkstatt und Waffen erringen,
Das kann uns den dauernden Frieden bringen!
Ihr kämpft für das Edle, das Deutsche, den Herd,
Ihr schwinget für Freiheit und Recht euer Schwert:
Drum stehn wir im Kampf euch mit Freuden zur Seit‘,
Bis die Welt vom britischen Joche befreit.
Und wir schwören euch, Brüder, die deutsche Treu
Durch die Arbeit am Amboß täglich aufs neu.
Wir tun in der Werkstatt Schicht für Schicht
Die heilige Kameradenpflicht.
Und unserer hämmernden Fäuste Gebet
In Liebe hinter euch Helden steht.
Wir wissen: wir werden den Feind besiegen,
Denn niemals kann Treue der Falschheit erliegen.
Vertraut auf uns! Wir verlassen euch nicht!
Wir in der Heimat tun unsere Pflicht:
Wir schaffen Granaten!

Signatur: LkA EKvW 4.256 Nr. 415; Rechteinhaber unbekannt (Hinweise zum Urheberrecht bitte an webmaster@archive-owl.de)

Rundbrief von Pfarrer Baumann, Löhne, an Soldaten aus seiner Kirchengemeinde, 1917

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Transkription eines Rundbriefs von Pfarrer Baumann, Löhne, an Soldaten aus seiner Kirchengemeinde

Löhne den 2. Juli 1917

Muster eines Briefes
An d[ie] Soldaten v[om] Pfarramt

Lieber Freund!

Gestern habe ich im Gottesdienst bekannt
geben müssen, daß wir im Laufe dieses
Monats unsere schönen Kirchenglocken, bis
Auf die kleinste, und auch die Schulglocke
von Falscheide abgeben müssen. Das schneidet
tief in unser Gemeindeleben ein. Auf dem
Lande empfinden wir das ja viel schmerz-
licher wie in der Stadt. Sie haben Euch und
uns oft geklungen in Freude und Leid,
haben uns oft gerufen zum Gottesdienst.
Mancher hat ihren Ruf nicht hören und
Verstehen wollen, vielleicht denkt Ihr
jetzt daran. Wir hatten gehofft, damit
den Frieden einläuten zu können und
Euch bei Eurer glücklichen Heimkehr mit
ihnen begrüßen zu können. Das ist nun
vorbei. Nun sollen sie dem Vaterland
einen anderen Dienst tun, Euch Waffen
liefern, damit Ihr kämpfen und siegen
könnt. Gott wolle auch diese Dienste
segnen!

Unsere 3 Glocken haben Namen und wollten
uns, so oft wir sie hörten, etwas Ernstes u[nd]
Wichtiges sagen. Es wird Euch gewiß inte-
ressieren

wenn ich Euch davon mitteile. Die größte
Glocke, die tiefste, heißt: Magdalena. Es war
das die große Sünderin, die zu Jesu kam, und der
der Herr die Sünden vergab. Der Glockenklang
rief uns zu: tut Buße, kommt zu dem
lebendigen Gott. Kehre Dich zu mir, denn ich
erlöse Dich. Wie not ist uns allen doch dieser
Ruf. Luther sagt: unser ganzes Leben soll eine
ständige Buße sein.

Die zweite Glocke heißt Maria. Sie saß, wie
Ihr aus dem Evangelium wißt, zu Jesu Füßen,
ihm zuzuhören u[nd] die sagt uns: Eines ist not,
denke darüber nach: Jesum gewinnen, dies eine ist not.

Die dritte heißt Martha. Und wie einst die
Martha Jesu diente, so will uns die Glocke
immer wieder zurufen: Dienet einander!
Laßt Euch mal diese Namen Eurer Heimat-
glocken und ihre Zurufe durchs Herz gehen
zur Selbstbesinnung, damit sie so noch
einmal ihren Dienst an Euch tun können,
wie sie ja immer tun wollten. Wenn
auch die Glocken fortkommen, diese
Mahnungen bleiben doch für jeden Christen,
der einmal vor Gott bestehen will: un-
verloren für Zeit und Ewigkeit.

Die kleinste Glocke mit ihrer Aufforderung:
Dienet einander, behalten wir. Das ist
ja gut.Und das wollen wir tun, Ihr da
draußen, wir hier: einander dienen in
Treue, Liebe und Glauben und das

Wollen wir ganz besonders dann tun, wenn
Gott uns im Frieden wieder zusammen geführt
hat, miteinander Dienen im Gemeindeleben, im
Zusammenarbeiten für Volk und Vaterland,
miteinander Jesum gewinnen, dass wir unser
Ziel erreichen. Im treuen Zusammenstehen
liegt unsere Kraft.

Gestern habe ich auch wieder einen Trauerfall be-
kannt geben müssen. Der Musketier Karl
Krause von der Falscheide ist gefallen. Gerade vor
8 Tagen hatten wir Gedächtnisfeier halten müssen für
Friedrich Hamelmann, Fritz Tiemann, Fritz
Stuke, Dragoner (?), Fritz Steffen, die hier beerdigt
ist, Heidsiek, U[ntero]ff[i]z[ier]. Brachmann, gerade hatte er
geheiratet, und Gustav Uhling. Nun wird die
Liste schon wieder länger, wie viele sind es, die Ihr
und wir nicht wiedersehen werden. Für uns alle
liegt darin doch die ernste Mahnung: Denke
an Deinen Tod! Lebe, wie Du, wenn Du stirbst,
wünschen wirst, gelebt zu haben. Sterben soll
auch ein Sieg sein, um den wir mit unser
Betglocke immer wieder bitten: Herr, hilf über-
winden. Gott wolle in Gnaden uns allen
helfen, daß unser Sterben ein Sieg sei,
und wir die Siegerkrone davon tragen und
ewigen Frieden!

Wann wird der irdische Frieden kommen?
Wer weiß es? Hoffen wollen und dürfen wir,
daß das noch so fern liegende bald eintrifft.
Wenn er uns nur hat treu erfunden und
merket keine Heuchelei, so kommt Gott,
eh wirs uns versehen u[nd] lässet uns viel
Guts geschehen.

Gott tut uns ja soviel Gutes. Er hat uns, als es
höchste Zeit wurde, Regen gegeben, und das Korn
u[nd] alles ist gewachsen, daß es eine Freude ist.
So gibt´s hoffentlich eine gute Ernte, auch da draußen
als Ernte den Sieg über alle Feinde. Nicht den
Mut verlieren, lieber Freund, auch wenn Du
mal murren und verzagen willst bei allem
Schweren, was Du hast. Seht, darin wollen
wir einander auch dienen, daß wir uns ge-
genseitig Mut machen. Ihr habts oft nötig
und wir hier auch. Was hilft Klagen und Mut-
los werden? Ists nicht immer so: Wir machen
unser Kreuz und leid nur größer durch
die Traurigkeit?

Ich will Euch zum Schluß noch ein gutes Wort
des Apostels Paulus geben. Darüber denket
nach, Ihr werdet es verstehen. 2. Korinther
Cap[itel] 4 V[ers] 17 u[nd] 18: Unser Trübsal, die zeitlich
und leicht ist, schafft eine einige und über
alle Maßen richtige Herrlichkeit uns, die
wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern
auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist,
das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist
ewig.

Nun seid alle herzlich Gott befohlen!
Habt Dank, die Ihr bei mir gewesen seid
und geschrieben habt. Seid gewiß, wir
denken täglich an Euch.

Herzliche Grüße aus der Heimat.
In Treue Euer Pastor
Baumann

(Wolfgang Günther, Landeskirchenarchiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld)

Signatur: LkA EkvW Best. 4.79 Nr. 50

Ein makabres Erinnerungsstück aus dem Schützengraben

SaintLuke_StadtarchivPaderborn_S1-99-9

Ein makabres Erinnerungsstück aus dem Schützengraben: Englische Feldausgabe des Lukas-Evangeliums, auf der Umschlagrückseite ein Fleck mit dem handschriftlichen Hinweis „Blut des schwerverwundeten Engländers“. (Stadtarchiv Paderborn, S 1/99/9)

Das Bändchen stammt aus dem Besitz des 1899 geborenen Paderborners Heinrich Z. Im Herbst 1916 verließ er mit dem „Einjährigen“ das Paderborner Gymnasium Theodorianum und meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Im Mai 1917 kam der nunmehrige Musketier Z. an die Westfront zum Infanterieregiment 457, wo er an schweren Kämpfen in Nordfrankreich und Flandern teilnahm und schließlich im November 1917 schwerverwundet in britische Gefangenschaft geriet. Erst im November 1919 wurde er nach Hause entlassen.

Vom Tag seines Abrückens an die Front bis zur Rückkehr aus der Gefangenschaft pflegte er mit seiner Familie einen überaus intensiven Briefwechsel, von der Front mindestens einen Brief oder eine Karte pro Tag, aus der Gefangenschaft  zwei bis drei Briefe pro Woche. Sie sind im Stadtarchiv Paderborn weitestgehend erhalten. Ergänzt werden sie durch eine mit allerlei Erinnerungsstücken angereicherte Niederschrift zur Familiengeschichte, die Z. 1938 für seinen kleinen Sohn fertigte und worin er u. a. auch über seine Kriegserlebnisse berichtete.

Zu den Erinnerungsstücken gehört das hier gezeigte blutbefleckte Lukasevangelium, zu dem er schreibt, er habe es von einem durch eine deutsche Handgranate schwerverwundeten Engländer geschenkt bekommen als Dank für die gute Behandlung. Z. und seine Kameraden hätten den Engländer geborgen und seine Wunden versorgt, doch sei er kurz darauf gestorben. So die Darstellung von 1938.

Erhalten hat sich aber nicht nur das kleine Heft, sondern auch die Inhaltsliste des Päckchens, worin Z. es – zusammen mit anderen Dingen – 1917 von der Front nach Hause schickte. Und da heißt es: „1 Gebetbuch, das ich einem mir damals zum Opfer gefallenen Tommy abnahm.“ Ob Tatsache oder Aufschneiderei muss offen bleiben.

(Rolf-Dietrich Müller, Stadtarchiv Paderborn)

Signatur: Stadtarchiv Paderborn, S 1/99/9

Feldpostbrief von Rudolf Kisker an seine Mutter bzw. Eltern in Bielefeld, 12.3.1916

1915RudolfFamilie

Abb.: Familie Kisker, wahrscheinlich Weihnachten 1915 vor dem Elternhaus am Goldbach 13 (heute Kiskerstraße 13) in Bielefeld. Von links nach rechts: Rudolf Kisker (mit EK II und Flugzeugführer-Abzeichen) mit den Schwestern Gertrud und Marie-Luise (das Nesthäkchen, genannt Miese), in der Mitte die Eltern Georg und Marie Kisker und die Brüder Kurt (in Uniform), Georg und Karl Kisker ganz rechts.

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker (Bielefeld), Nr. 282.

Feldpostbrief von Rudolf Kisker an seine Mutter bzw. Eltern in Bielefeld, 12.3.1916

M.[enin] 12./3. 16, Eingang 15.3. morg. Liebe Mutter! Eben glücklich gelandet, bringt mir die Post Deinen lieben Brief vom 10./3. Dank dafür, für Tee – Zwiebäcke u. Kragenknöpfe. Ich kann diesmal wirklich sagen glücklich gelandet, denn wir hatten böse Luftkämpfe. Wir wollten an u. hinter der Front lotrechte Lichtbilder machen, sahen aber als wir 2500 m hoch waren ein feindl. Geschwader von 6 Farman-Apparaten in gleicher Höhe in Gegend Messines die Front überfliegen. Wir drehten natürlich sofort bei und verfolgten die Brüder. (leider hatten wir nur das hintere M.G. mit) Über Lille war ich in 3000 m etwa 300 m über den Feinden. (einer hatte abgedreht.) und griff nun an, flog hart hinter dem (in gleicher Höhe) Letzten senkrecht zu dessen Flugrichtung durch und mein Beobachter konnte fleissig schiessen. Die gemeine Bande klebte aber wie Kletten zusammen und griff, nachdem der Geschwaderführer eine rote Leuchtkugel abgeschossen hatte, gleichzeitig an. Wir haben mächtig auf der Nase geschwitzt und feste gefunkt. Schliesslich konnten wir uns nur durch Flucht in tiefere Schichten retten. Merkwürdigerweise hatten wir nur einen Treffer, obgleich wir so nah zusammen waren, dass ich das Mündungsfeuer sehen konnte. Natürlich hat man im richtigen Augenblick das 2. M.G. nicht da. Vater sende ich ein Stück Stoff von dem franz. Eindecker, mit roter Nationalfarbe von der Kokarde. Ich danke ihm für die letzte Zigarrensendung und bitte, mir keine Zigaretten mehr zu senden, denn für die hat Vater kein Verständnis. Die mir zugedachten sind kaum zu rauchen, es sei denn an der frischen Luft bei Wind. Für das Geburtstagsverzeichnis Dank, hoffentlich hilft es meinem schwachen Gedächtnis nach. An die Vettern vor Verdun und besonders an Back [Spitzname von Rudolf Oetker, dem am 8.3.1916 vor Verdun gefallenen Jugendfreund von Rudolf Kisker] habe ich die Tage viel gedacht. Brauns der am Mittwoch als mein Gast hier war hatte auch Sorgen. Hoffentlich sind die abgeschickten Kragen nicht zu niedrig. Das angegebene Mass war gerade recht. Das Wetter ist heute herrlich warm. Ich sitze im Freien in der Sonne vor unserem Häuschen und schreibe auf den Knien diesen Brief. Nach meinen Plänen wird vor dem Häuschen z. Zt. ein kleiner Garten der sich in’s Gelände verläuft angelegt. Rododenderon (kleine Büsche mit vielen Knospen 70 cm hoch) ebenso Kirschlorbeer bunt und einfarbig haben wir aus Gent in reicher Fülle beschafft. (Stück 50-75 cts.) auch Flieder und kleine Stauden für das „Beet an der Terasse“ sind beschafft. Leider sind meine Pläne nicht ganz bewilligt worden. Ich wollte in den Rasen nur Gruppen setzen, aber nein es müssen runde Beete sein. Wenn es im Sommer blüht sende ich Euch Bilder davon. Nach einigen unangenehmen Zwischenfällen mit dem Hauptmann, die leider fast täglich mit einem oder dem anderen Herren vorkommen, habe ich mich heute früh entschlossen ein klärendes Wort mit ihm zu reden. Ich bin befriedigt. Rückhaltlos habe ich ihm meine Klagen vorgebracht die er zum Teil mehr oder weniger annerkannte. Wir schieden versöhnt und ich hoffe, dass es von nun an besser geht. Das heisst ich muss noch mehr den Mund halten und ich hoffe, dass er auch kameradschaftlicher wird. Ich glaube nicht nur mir genützt zu haben, sondern durch das offene Wort auch der Abt[eilung] im Ganzen gedient zu haben und sehe mit Freuden in die Zukunft. Ich bin heute wirklich sehr zufrieden. Der schöne Tag, der glücklich gelandete Flug und die geklärte Lage mit dem Hauptmann haben mir sehr gut getan. Ich grüsse Euch Alle herzlichst. Dir einen Kuss v. Deinem Sohne Rudolf [P.S.] Eben fällt mir noch ein, dass ich Euch noch garnicht geschrieben habe, dass der neulich abgeschossene Eindecker (nach Focker Art) von einem unserer Herren abgeschossen worden ist. Es ist sicher derselbe Moran[e], der mich so oft gejagt hat. Bei der Verfolgung ist er durch Brustschuss ausser Gefecht gesetzt und bei Wytschaete abgestürzt. Die Masch[ine] ist mit Focker nicht zu vergleichen, die Schussvorrichtung durch den Propeller ist einfach „naiv“ und gegen Focker 50 % schlechter. Erklären kann ich die Einrichtung nur mündlich. Übrigens habe ich das Übel meines Magens erkannt. Boa-constrictor, weiter nichts. Wenn ich bei Tisch 2 mal esse – Magenschmerzen. Ebenso Abends. Also esse ich immer nur einmal aber dafür öfter zwischendurch eine Kleinigkeit. Nun will ich den Brief man wieder einpacken. Es wird auch schon kühl, da sich die Sonne verkriecht.

Vgl. Feldpost von Rudolf Kisker mit Stoffbahn eines abgeschossenen französischen Flugzeugs

Signatur: Privatarchiv Familie Kisker (Bielefeld), Nr. 194.

Feldpost von Gemeindegliedern der Kirchengemeinde Werther an Pfarrer Münter

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Feldpost von Gemeindegliedern der Kirchengemeinde Werther an Pfarrer Albert Münter (1859-1941), Collage, 1914-1918

Przechody, den 25. März 1915.
Sehr geehrter Herr Pastor! Vor kurzem erhielt ich
wieder Ihre schönen Schriften, die ich mit großem
Interesse gelesen habe, und für die ich Ihnen herzlichst
danke. Soviel wie möglich lasse ich die Blätter
in der Kompanie herumgehen. Aber ach, wie
viele brave Männer aus der lieben Heimatgemein-
de starben! Der liebe Gott gebe uns bald einen
ehrenvollen Frieden!
Ihnen und Ihrer lieben Familie
die herzlichsten Grüße von Ihrem
E. Meyer zum Gottesberge

Signatur: LkA EKvW 4.81 Nr. 501

Brief von der Front an das Pfarramt in Werther, 30.12.1914

An das Pfarramt zu Werther
30.12.1914

Freudigen Herzens habe ich die liebevollen Grüße aus der teuren Heimat aufgenommen und bringe dafür meinen tiefgefühlten, herzlichsten Dank. Die lieben friedlich läutenden Weihnachtsglocken waren bei uns verstummt, stattdessen hörte man das Dröhnen und Krachen der Kanonen. Schon am Tage vor dem Feste griffen die Franzosen verschiedene Stellungen von uns an, wurden dann aber [unter] schweren Verlusten zurückgeschlagen und dabei noch gegen 200 Gefangene gemacht. Heiligen Abend feierten wir in Beisein unseres Hauptmanns in der Steinhöhle, welcher eine tiefergreifende, eindrucksvolle Ansprache an die Kompagnie hielt. Auch einer unserer Kameraden nahm das Testament zur Hand und reichte trostreiche Worte an uns. [?] Die Höhle war ausgeschmückt mit Tannenzweigen und in der Mitte leuchtete der schöne Christbaum. Vor allem habe ich meinem Gott gedankt, der uns auch hier auf Frankreichs Boden hat Weihnachten feiern lassen, gedacht der Kameraden, die der grüne Rasen in sich birgt und gedankt unserem allmächtigen Gott der uns beschützt hat in den Tagen wo wir von Not, vom Tode und von Gefahr umringt waren. Am ersten Feiertage kamen wir dann zur Ablösung der anderen kurz [?] in den Schützengraben und gleichzeitig durfte ich am selbigen Abend auf Vorposten ziehen. Gedacht habe ich meiner lieben Heimat als die Kameraden im Schützengraben die lieben Weihnachtslieder anstimmten, so bleibt mir diese als eine stete Erinnerung, wenn ich gesund meine Heimat wiedersehen werde. Den lieben Heimatgemeinden meinen herzlichsten Dank und viele liebe Grüße sendet
Jäger August Heidbrede

Signatur: LkA EKvW 4.81 Nr. 501

Feldpostbriefe von Pastor Johannes Meyersieck aus Oetinghausen

meyersieck

Pfarrer Johannes Meyersieck (1884-1971)

Pfarrer Johannes Meyersieck (1884-1971) hat als Inhaber der neugegründeten 2. Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Hiddenhausen seit Beginn des Ersten Weltkriegs 48 monatliche Feldpostbriefe an bis zu 380 Adressen junger Männer seines Seelsorgebezirkes Oetinghausen und Lippinghausen geschrieben und versandt.

Die vollständig erhaltene Briefsammlung wurde vom Autor selbst nummeriert. Die Briefe wurden zwischen dem 6. September 1914 und dem 13. Dezember 1918 an sämtliche männliche Gemeindeglieder versandt, die sich außerhalb der „Heimatgemeinde“, also im Einsatz als Kriegsteilnehmer, als Frontsoldaten, in der Rekrutenausbildung, in Lazaretten, in Kriegsgefangenschaft und dergleichen befanden.

Allein diese Beobachtung lässt schon den immensen technischen und organisatorischen Arbeitsaufwand, verbunden mit der notwendigen Kontinuität an Motivationskraft und Selbstdisziplin des Autors, erahnen, ohne die ein derart eindrucksvolles pastorales Wirken sich nicht hätte realisieren lassen. Umfasste die Anschriftenkartei nach den ersten Kriegstagen 1914 „lediglich“ 120 Namen und Feldpostadressen, so wuchs die im heimatlichen Pfarrhaus akribisch notierte Sammlung bereits im März 1915 auf 180 Empfängernamen, im Frühjahr 1915 auf 220 und ab Juli 1915 auf 300 Namen, um schließlich in den letzten zwei Kriegsjahren 1917 und 1918 konstant etwa 380 Anschriften zu umfassen. Mehrfach wurde darüber hinaus sogar eine Briefauflage nachgedruckt, deren (gewiss geringere, doch auch noch einmal umfangreiche) Höhe nicht sicher bekannt ist.

Vor diesem Hintergrund lässt sich schlussfolgern, dass die 48 Nummern der Briefserie allein in ihrer Erstauflage zu insgesamt 14.500 Exemplaren das Pfarrhaus verließen. Zählen wir die erwähnten Nachdrucke, aber auch die hunderte handgeschriebenen Briefe hinzu, die persönlich an die mehr als fünfzig Kriegsgefangenen aus den Heimatdörfern, die keine gedruckte Post empfangen durften, aber dennoch von dem unermüdlich sie umsorgenden Pfarrer nicht vergessen blieben, gerichtet waren, mit hinzu, werden mindestens 16.000 Feldpostbriefe (!) zuzüglich etwa 3.500 Paketsendungen (!) aus dem Oetinghauser Pfarrhaus versandt worden sein. Um diese gewaltige Anzahl, wenngleich auf gut vier Jahre verteilt, überhaupt praktisch zu bewältigen, bedurfte es tatkräftiger Zuarbeit: in ihren Handarbeitsstunden falteten die Mädchengruppen der Kirchengemeinde jahrelang alle Briefe auf das Postformat; der Jungfrauenverein und die großen Konfirmandengruppen halfen beim Adressenschreiben; der Jünglingsverein und (seit Dezember 1916, dem Einzug ins Pfarrhaus) auch die Pfarrfrau versahen ebenso mühsam wie gern ihre jeweiligen Aufgaben. So bedurfte es zwischen dem Verfassen und dem Absenden der Feldbriefe jeweils etwa dreier Wochen Zeit zum Adressieren und Versenden.

Der Herstellung und dem Versand eines Briefes ging, was nicht weniger arbeits- und zeitintensiv gewesen sein muss, das Lesen und Auswerten, Vergleichen, Sortieren, statistische Erfassen der unglaublichen Fülle an Rückmeldungen voraus! So sehnsüchtig die „Briefe aus der Heimatgemeinde“ an der Front, im Lazarett oder den Garnisonen erwartet wurden, so regelmäßig und zahlreich wurden sie selbstverständlich auch beantwortet. Aus Sibirien und aus Marokko, aus Polen und aus Russland, den Karpaten und der Slowakei, aus Ungarn, Galizien, Frankreich, Rumänien, Tschechien, den Vereinigten Staaten (USA), der Walachei, Litauen, Siebenbürgen, Masuren, Flandern und England, aus Finnland und Konstantinopel, aus Odessa und aus Kiew kommen die Rückmeldungen ins ravensbergische Dorfpfarrhaus! Vielfach werden sie erwähnt, wird den Absendern gedankt, werden ihre Informationen begrüßt und kommentiert und ihre Fragen beantwortet.

Johannes Friedrich Karl Gottlieb Meyersieck versah von Juni 1914 bis Oktober 1920 die zweite Pfarrstelle des alten ravensbergischen Kirchspiels Hiddenhausen. Neben dem ersten Bezirk des Kirchspiels mit dem Kirchdorf Hiddenhausen und den Nachbardörfern Eilshausen und Bustedt, den von 1889 bis 1930 der „Hauptpastor“ Wilhelm Meyer betreute, waren Pfarrer Meyersieck die beiden Dörfer des zweiten Bezirks der großen Gemeinde, Oetinghausen und Lippinghausen, zugeordnet.

Ein späterer Amtsnachfolger charakterisiert Meyersiek als jemanden, der „in dieser Zeit, in der die Männer im Felde waren, der Gemeinde nicht nur mit Rat, sondern auch mit der Tat beigestanden und sich nicht ‚geniert’ habe, in Feld, Garten und Stall kräftig mit anzufassen, wenn es not tat. Sogar auf die Obstbäume der Gemeindeglieder sei er gestiegen, wenn die Früchte reif waren, um den Frauen und Müttern ihre schwere Arbeit ein wenig zu erleichtern. Pfarrer Meyersieck ließ sich besonders die Seelsorge an seinen Gemeindegliedern im Felde angelegen sein und sandte ihnen immer wieder ein persönliches Wort und Grüße der Heimatgemeinde nach draußen. Auch die vielleicht nicht minder schweren Jahre nach dem Kriege war er der Seelsorger unserer Gemeinde. Am 10. Oktober 1920 hielt er seine Abschiedspredigt, um unmittelbar darauf das Pfarramt seines Vaters in Ubbedissen (Kirchenkreis Bielefeld) zu übernehmen.“ [Friedrich Wilhelm Witteborg, Die kirchliche Geschichte von Lippinghausen, in: Friedrich Pahmeyer, 800 Jahre Lippinghausen 1151–1951. Ein Festbuch zur 800-Jahrfeier der Gemeinde, Herford 1951, S. 67.]

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte Pfarrer Meyersieck nach einem Vikariat in Enger (1909/1910) und Einsätzen als Hilfprediger in Recklinghausen-Hüls (1911, dort auch Ordination), Schildesche-Brake (1912/1913) und Münster (1913/1914) sein erstes Pfarramt in Hiddenhausen erst seit wenigen Wochen angetreten (Einführung am 14. Juni 1914). Umso erstaunlicher ist darum sein auf jede einzelne Familie, jedes einzelne Gemeindeglied bedachtes Wirken und Sorgen, wie es in diesen Kriegsbriefen von Beginn an deutlich hervortritt, so als seien ihm seit Jahren alle Personen und familiären Zusammenhänge wie auch umgekehrt er selbst als Seelsorger der Gemeinde engstens persönlich vertraut – das Gegenteil war der Fall. Die relative Fremdheit, die beiderseits ohne Frage zunächst bestand, wird in keiner Zeile der Briefsammlung deutlich, was in der unmittelbar geweckten menschlichen und pastoralen Einfühlsamkeit dieses Seelsorgers, seinem seelsorgerischen Selbstverständnis, aber auch wohl der familiär geprägten Frömmigkeitstradition, der er entstammte, begründet lag.

Der Blick in die „weite Welt“ des harten Kriegsgeschehens lässt in scharfem Kontrast die Besinnung auf den Wert der „Heimat“ umso einprägsamer und ansprechender gelingen, wie überhaupt die Heimat-Begriff („Heimatgruß“, „Heimatgemeinde“, „Heimatkirche“, „Heimatpastor“) einen Schlüsselbegriff darstellt. Sämtliche der 48 Briefe sind mit der Betonung des „Heimatpastors“ unterzeichnet. Die Heimat – das ist dem Autor das Vertraute, das Geborgenheit Bietende (Familie, Kirche), das bodenständige Leben auf dem Land in seinem Jahreslauf.

Der Pfarrersohn Johannes Meyersieck wurde 1884 in Ubbedissen bei Bielefeld, wo sein Vater von 1883 bis 1920 das Gemeindepfarramt innehatte, geboren. Ursprünglich jedoch waren die Vorfahren im ravensbergischen Norden, in Preußisch Oldendorf ansässig, wo sein Großvater, der Kaufmann Gottlieb Meyersieck (gestorben 1855), als Mitbegründer und -initiator des Rettungshauses Pollertshof zu den klangvollen Namen des Höhepunktes der Ravensbergischen Erweckungszeit zu zählen ist.

Zu Beginn des Krieges 1914 meldete Meyersieck sich, kaum sechs Wochen im neuen Pfarramt, zum Feldprediger, und umso enttäuschter war er „als alter Soldat“, in eben dieser Aufgabe nicht an der Front, sondern in der heimatlichen Gemeinde stehen zu müssen. Neben der Erweckungsfrömmigkeit als biographischem und theologischem Standort, den er seelsorgerlich eindrucksvoll ausfüllt, kann und will er seinen glühenden Patriotismus, seine vertrauensselige Kaisertreue, ebenso seine Begeisterung für die Welt des Militärischen nicht verleugnen. Wie selbstverständlich spricht er seine Adressaten, denen er mit der Verkündigung des Evangeliums und pastoralem Trost dient, als „Kameraden“ an, denen er allzu gern in den Kriegseinsatz gefolgt wäre. Von der ersten Stunde an, dem „Tag der Mobilmachung“, an den Pastor Meyersieck Monate später noch in detaillierten Beschreibungen erinnert, ist der junge Gemeindepfarrer intensiv bemüht, „den guten Geist (zu) stärken und damit zur Schlagfertigkeit des Heeres […] beizutragen.“ Die großen Scharen der freiwillig sich Meldenden und einberufenen Männer aus beiden Dörfern seines Gemeindebezirkes werden innerhalb weniger Stunden jenes 1. August 1914 in der Schulkapelle zusammengerufen und mit einem Segnungs- und Abendmahlsgottesdienst zu ihrem Einsatz für das Vaterland verabschiedet. Unmittelbar darauf lädt Meyersieck die zurückbleibenden Angehörigen zu wöchentlichen „Kriegsbetstunden“ ein, die bis Kriegsende bestehen bleiben. Darüber hinaus dienen 14-tägige Gemeindeversammlungen angesichts des Fehlens der Männer nicht zuletzt als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft der „Besprechung der wirtschaftlichen Lage“ in den Familien des Dorfes.

Während aller Kriegsjahre beteiligten sich die Dörfer Oetinghausen und Lippinghausen, organisiert durch Pfarrer Meyersieck, an zahllosen reichsweiten Aktionswochen zur Unterstützung der Kämpfenden. In der sog. „Reichswollwoche“ wurden auf diese Weise jährlich gut 100 selbstgefertigte warme Wolldecken an die Front und in die Garnisonen geschickt. Über das ganze Jahr verteilt bittet der Gemeindepfarrer sodann um Sachspenden, mit denen Hunderte von Paketen zusammengestellt werden, um Strümpfe und Leibwäsche, Kniewärmer und Leibbinden, Hemden und Hüte, Pulswärmer und Handschuhe – und natürlich Zigarren, wie sie weithin im Ravensberger Land in Heimarbeit hergestellt werden, an die wartenden Empfänger im In- und Ausland zu befördern; allein bis Sommer 1917 waren aus Pfarrer Meyersiecks zweitem Pfarrbezirk insgesamt 489 Männer zum Kriegseinsatz herangezogen worden.

Neben Sachspenden kamen zahllose Geldspende-Aktionen zur Durchführung, so etwa die „Rote-Kreuz-Spende“, die „Allgemeine Volksspende“, die „Kaisergeburtstagsspende“, die „Ludendorffspende“, die „Hindenburgspende“, die „U-Boot-Spende“ und diverse andere. Hinzu kamen insgesamt acht Aufrufe zu Kriegsanleihen, für die auch Meyersieck sich wiederum kräftig werbend einsetzte.

Vom Erntedanktag 1914 an bildete sich sodann unter seiner Initiative und Leitung eine eigenständige Oetinghauser „Jugendkompanie“. Wenngleich in allen Gemeinden des Landes dazu aufgerufen wurde, bedurfte es doch stets eines Organisators, und eben dazu sah Meyersieck sich spontan berufen. So fanden sich auch sofort 72 Jungen seines Dorfes im Alter zwischen 16 und 20 Jahren ein, um durch ihren jungen Pastor eine Art militärische Grundausbildung zu erhalten. Für den Ausbilder wie für seine Rekruten war das ein schwacher, aber umso ernsthafter betriebener Ersatz für das Dabeisein „im Felde“.

Verständlicherweise gewann dieser unermüdliche Einsatz für die fernen Väter, Söhne und Brüder in den Adventwochen seinen Höhepunkt. Trotz mancherlei eigener und wachsender Entbehrungen, trotz Lebensmittelkarten, Geldnot und Knappheit an Brennmaterial wie anderem alltäglichen Bedarf verschickte die Kirchengemeinde wahre Paketberge zum Weihnachtsfest, Kisten und Schachteln, gefüllt mit Lebensmitteln, Strickwaren, Kerzen, Büchern und süßen Backwaren.

Dieses heute kaum zu ermessende Ausmaß an Aktivitäten, von denen die weitaus meisten in Pfarrer Meyersieck ihren rastlosen Vermittler und Initiator hatten, macht die kontinuierlich und parallel dazu geleistete Briefseelsorge, wie sie sich in der Briefsammlung zeigt, als ein riesiges Arbeitsfeld umso beachtlicher.

(Pfr. Ulrich Rottschäfer, Ev.-luth. Kirchengemeinde Hiddenhausen-Stephanus)

Lit.: Ulrich Rottschäfer (Hg.): „Wir denken an Euch“. Feldpostbriefe eines ravensbergischen „Heimatpastors“ im Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2011.

Signatur: Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen (LkA EKvW) Bestand 4.53 (Archiv der Ev. Kg. Hiddenhausen), Nr. 958