Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 19.12.1918

Seit 3 Wochen keine Eintragung. Die Neigung ist einem dazu vergangen. Jeder Tag, jede Zeitung brachte neue Demütigungen, neuen Jammer. Die Franzosen haben den Elsaß-Lothringen besetzt & die undankbaren Französlinge haben die deutschen Denkmäler umgestürzt & die Franzosen mit offenen Armen empfangen. Die Städte haben sich für den Anschluß an Frankreich erklärt. […]
Es mehrten sich nun die heimgekehrten Soldaten. Nicht geschlossen, einzeln zu 2 & 3en kehrten sie zurück. Man hört, daß manche Frontsoldaten empört sich über die Zustände in der Heimat geäußert hätten; ansehen kann man es dem Einzelnen nicht, welche Gesinnung er hat. Mißtrauen tut man manchem. Es ist natürlich unwahr, was, wie Frau Kantor erzählt, H[er]r Kosiek gesagt haben soll, man sollte den Soldaten ins Gesicht spucken, weil die die Fahne verlassen hätten. Daraus spricht nur das böse Gewissen, auch aus dem Zusatz der Andern: „Das spricht H[er]r Kosiek ja nur Pastor Hartmann nach.“ Freilich, die Ehrenbogen, welche je länger je mehr sich über die Landstraßen & Dorfstraßen ziehen, muten mich sonderbar an. […].

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 234/19.12.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 27.11.1918

Seit 10 Tagen bin ich nicht zur Fortführung dieser Aufzeichnungen gekommen. Zwar hat die Grippe abgenommen, [aber] erst gestern hat sie wieder ein Opfer gefordert, die 45jähr[ige] Ehefrau Brömmelmeier im Bierener Sieke, sonst hat sie abgenommen. – Am Bußtag heute vor 8 T[a]g[en] predigte ich über den Psalm 130; es fehlten viele Konfirmanden in der Kirche. Am Nachmittag hatte ich den Jungfr[auen-]Verein in Bieren. Die Gefangenen sind nun fast alle fort, dagegen zahlreiche heimische Soldaten heimgekehrt. Wie ganz anders hatten wir uns ihre Heimkehr gedacht. Jetzt kommen sie einzeln, von dem Soldatenrat entlassen, z.T. von der Truppe fortgelaufen. Es wurden Truppenzüge erwartet. In Bünde hat man geflaggt, in Löhne waren viele Begrüßungsgewinde über die Landstraße gezogen mit Inschriften: Willkommen in der Heimat, den tapferen Kriegern in der Heimat usw. Man hat keine Freude daran; man freut sich der heimgekehrten Truppen nicht, weiß ja nicht, ob es getreue oder ungetreue Soldaten sind. Die Jungen besonders, die nichts geleistet haben, spielen sich am meisten auf. Man sagt, das R[e]g[imen]t 42, das in Bünde einquartiert sei, habe den Soldatenrat dort abgesetzt. Auf wie lange, wenn es wahr ist? […]

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 233/27.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

August Tappe im Ersten Weltkrieg. Wie Militär und Kriege eine Schwarzenmoorer Familie erschütterten

Tappe Militärpass 1

Militärpass von August Tappe

Militärpaß
des
Gefreiten d[er] R[eserve] (gestrichen: Grenadiers)
Heinrich
August Tappe
5. Garde-Regiment zu Fuß
6. Kompagnie
Jahresklasse: 1910

16.12.1918 Reservist August Tappe wurde infolge Mobil-
machung am 6.8.1914 bei nebenstehendem Truppenteil
eingestellt und gehörte der Komp[anie] bis 16.12.1918 an.
Gemäß Demobilmachungsbestimmungen am 16.12.
1918 nach Schwarzenmoor Kreis Herford entlassen.

Beförderungen: Am 27.1.1915 zum überz[ähligen] Gefreiten ernannt
Am 21.2.1915 zum et[at]mä[ßigen] Gefreiten ernannt.

Auszeichnungen: Am 31.3.1917 E[isernes] K[reuz] II. Kl[asse]

[Darunter gedruckte und handschriftliche Liste der mitgemachten Gefechte.]

Tappe Militärpass 7

Militärpass von August Tappe, Titel und Liste der Schlachten

Tappe Militärpass 7a

Militärpass von August Tappe, Titel und Liste der Schlachten

„Die Aussichten über den Ausgang des Krieges sind doch schlecht augenblicklich wohl schlechter, wie während des ganzen Krieges. Nun mag das Ende dieses Krieges doch nicht mehr allzufern sein. Wo Bulgarien nun abgefallen ist, muß die Türkei doch auch Schluß machen. Österreich macht auch gleich mit und dann ist Deutschland gezwungen, wenn es nicht alle Männer opfern will, das es auch Frieden macht.“

So hellsichtig schrieb August Tappe aus Schwarzenmoor bei Herford am 3. Oktober 1918 „aus dem Felde“. Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon über vier Jahre Krieg er- und überlebt. Sein Feldpostbrief an die Familie wird am Ende noch drastischer: „Wir dachten jetzt mal ein par Tage in Ruhe zu kommen, aber da ist jetzt keine Zeit mehr zu. Die Truppen werden alle gebraucht. Überall greift der Feind an, es ist traurig das die Zeitungen in Deutschland so viel Blödsinn schreiben. Hätten sie sich beizeiten gemäßigt dann könnten wir schon längst Frieden haben. Aber das ist Schuld der Alldeutschen und des Junkertums.“

Auch ein „einfacher“ Soldat aus Herford, weit weg von der Heimat konnte also genaue Beurteilungen über Kriegspropaganda und –schuld abgeben. Die meisten Feldpostkarten und –briefe sind weit harmloser, meist berichten die Soldaten nur über erhaltene Pakete, Truppenverlegungen und Lazarettaufenthalte, die wahren Kriegserlebnisse bleiben außen vor. Standard sind Formulierungen wie „Mir geht es noch gut.“

August Tappe, geboren 1890 in Schwarzenmoor und dort auch 1974 verstorben, war in dritter Generation Schuhmacher und betrieb nebenbei etwas Landwirtschaft auf seinem kleinen Hof in der Nähe der Vlothoer Straße.

Er war ein stattlicher Mann, 173 Zentimeter groß, und kam daher nach seiner Musterung auf Stiftberg zum 5. Garderegiment zu Fuß nach Berlin-Spandau. Dort leistete er vom 11. Oktober 1910 bis 23. September 1912 seine Militärausbildung und musste er kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs wieder erscheinen. Ab 6. August 1914 war er im Krieg und wurde am 16. Dezember 1918 wieder nach hause entlassen.

Sein überlieferter Militärpass beschreibt, was er miterlebte. Er war unter anderem im August 1914 bei der Einnahme von Namur (Belgien) dabei, Anfang September war er in der Schlacht an der Alle (auf dem Weg nach Russland), bei Gefechten bei Jendrzewo, Kielce, Opatow, im Oktober bei der Schlacht bei Iwangorod, im November /Dezember bei der Schlacht um Lodz, im Februar 1915 bei der Winterschlacht in Masuren und im September 1915 in der Schlacht bei Wilna.

Im Oktober 1915 ging es zurück nach Frankreich. Bis Juni 1916 war er in Stellungskämpfen in Flandern und im Artois und von Juli bis September 1916 bei der Schlacht an der Somme. Es folgten Stellungskämpfe dort bis März 1917, dann die Schlacht bei Arras, Stellungskämpfe im Artois und das Gefecht bei Lens. Im September/Oktober 1917 war er in der Schlacht in Flandern, es folgten die Kämpfe in der „Siegfriedstellung“ bis März 1918, dann die „Große Schlacht“ in Frankreich bis zum April 1918. Einer kurze Ruhepause hinter der Front im Mai 1918 folgten weitere Schlachten bei Noyon, Stellungskämpfe in Lothringen, bei Soissons und Reims, dann die Marneschlacht im August/September 1918 und weitere Kämpfe vor der Siegfriedstellung. Seine Soldatenzeit endete mit Rückzugskämpfen, der Räumung der besetzten Gebiete und der Rückkehr nach Spandau.

Er blieb „nur“ Gefreiter, also einfacher Soldat, hatte keine Verletzungen erlitten und bekam am 31. März 1917 das Eiserne Kreuz II. Klasse. Bilder zeigen ihn mit Schuhmacherwerkzeug auch im Krieg. Am 10. Dezember 1934 erhielt er das von Adolf Hitler eingeführte „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“.

Den hellsichtigen Feldpostbrief schrieb er am 3. Oktober 1918 während der Stellungskämpfe an der Vesle. Seine Briefe und Feldpostkarten bekamen sein Vater Schuhmachermeister Ernst Tappe, seine Schwester Paula und seine Verlobte Marie Müller am Altensennerweg: „Liebe Marie, Bin eben in der neuen Heimat angekommen und habe soeben ein Brieflein von Dir erhalten, wofür ich herzlich danke. Habe in den letzten tagen nicht schreiben können. Grund im Brief. Geht mir aber noch sehr gut. Morgen mehr. Mit Herzlichem Gruß August,“ lautet der Text auf einer Karte aus Cambrai vom 30. April 1918.

Sein Sohn hütet den Wehrpass, die Orden und die Briefe noch heute wie einen Schatz, die Erinnerung an den Vater ist sehr lebendig und geht ihm heute noch nahe, was auch mit der weiteren Familiengeschichte zusammenhängt. Denn von drei Söhnen, die August Tappe mit seiner Marie nach dem Ersten Weltkrieg bekam, lebt nur noch er.

Sohn Friedrich Tappe fiel im Zweiten Weltkrieg am 10. November 1943 in Russland, Sohn Wilhelm Tappe starb früh 1971 an Nachwirkungen seiner Verletzungen im Krieg. Auch August Tappe sollte noch mal in den zweiten Weltkrieg. Die Jahrgänge bis 1889 zurück wurden 1943 gemustert. Am 5. November, also wenige Tage, bevor sein Sohn in Russland das Leben verlor, wurde auch August Tappe als „kriegsverwendungsfähig“ für den „Landsturm 1 A“ eingestuft. In den aktiven Einsatz kam er nicht mehr. Auch sein jüngster Sohn, mit Geburtsjahr 1928 eigentlich noch ein „wehrfähiger“ Jahrgang, blieb verschont.

Eigentlich eine ganz normale Familie, die aber durch die Weltenbrände im 20. Jahrhundert tief erschüttert und geprägt wurde.

(Christoph Laue, Stadtarchiv Herford)

Tappe Feldpostbrief 1918 1

Feldpost
An Herrn Ernst Tappe
Schuhmachermeister
Schwarzenmoor Nr. 105
Post Herford Westfalen

[1]
Im Felde, den 3.10.18

Lieber Vater!

Endlich kann ich Euch auch wieder
ein Brieflein schreiben und ich
hoffe, das es Euch bei bestem
Wohlsein antrifft. Auch mir geht es
noch gut. Haben nun einige Tage
wieder gutes Wetter. Nun zur
Antwort auf Euren Brief. Wie ich schon
im Kartenbrief schrieb: Könt Ihr die
Sache mit dem Gelde ruhen lassen. Doch
wenn Ihr Friedrich noch nichts davon gesagt
habt, denn man weiß noch nicht, wie
noch alles kommen mag: Die Aussichten über den
Ausgang des Krieges sind doch schlecht
augenblicklich wohl schlechter, wie während
des ganzen Krieges. Nun mag das Ende
dieses Krieges doch nicht mehr alzufern sein

[2]
wo Bulgarien nun abgefallen ist, muß
die Türkei doch auch Schluß machen. Öster-
reich macht auch gleich mit und dann ist
Deutschland gezwungen, wenn es nicht
alle Männer opfern will, das es auch Frie-
den macht. Was uns da für Bedingun-
gen aufgelegt werden, das lässt sich noch
nicht ersehen. Aber jeden fals werden wir
mit dem Maß gemessen, wo unsere
Staatsmänner mit messen wollten.
Aber es ist alles gleich, wenn nur dies
Elend aufhört, dann wollen wir zu-
frieden sein. Das Junkertum wird dan
schon von selbst gestürzt werden.
Bei Euch geht die Arbeit ja immer
so mit der Zeit weiter, es freut
mich, das Ihr alles noch so schaffen könnt.
Na nun wird Paula ja auch wieder alle
Hände voll zu tun haben. Kommt Ihr
denn auch wohl aus mit den 63. ltrn. pro

[3]
Morgen? Na wir verzichten hier schon
freiwillig auf Kartoffeln, da wir
doch keine kriegen!!! Oder erst wenn
die verfroren sind. Ich verstehe nur
nicht das Ida jetzt sein Haus verkaufen
will. Wenn ich dort währe und hätte
mir diese Jahre schon etwas verdienen
können würde ich es tatsächlich kaufen
denn das ist nun noch das einzige, wo das
Geld sicher steht, was soll man sonst mit den
alten Papierlappen. Ich verstehe nicht
das Ihr Euch noch so in Sicherheit fühlt
in Deutschland. Nun hoffentlich erfüllen
sich die Geschicke schneller wie der Verkauf.
Allerdings nach dem Kriege kriegt sie ja
nicht den hohen Preis wie jetzt, aber Ihr
Geld steht so doch sicher. Sie muß es
aber ja wissen. Nun ist es schon
wieder Oktober, wie die Zeit doch

[4]
hingeht. Wir dachten jetzt mal ein
par Tage in Ruhe zu kommen, aber
da ist jetzt keine Zeit mehr zu. Die
Truppen werden alle gebraucht. Überall
greift der Feind an, es ist traurig
das die Zeitungen in Deutschland
so viele Blödsinn schreiben, hätten
sie sich beizeiten gemäßigt dann könn-
ten wir schon längst Frieden haben.
Aber das ist Schuld der Alldeutschen und
des Junkertums. Für uns wird es auch
immer schlechter als Handwerker in der
Companie, es kann bald die Zeit kommen
wo wir auch in der Front sind. Nun
will ich schließen. Mit den herzlichsten
Grüßen auch an Paula bleibe ich

Euer August

Schreibt bald wieder
Paket Nr. 2 erhalten, besten Dank

Tappe Feldpostbrief 1918 2

Feldpostbrief von August Tappe vom 3. Oktober 1918

Tappe August und Marie

Foto August und Marie Müller, später Tappe

Tappe August Tappe 1914 18 5

August Tappe als Schuster im Krieg, 18. Mai 1914

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv Herford, Slg. E 453

Aufenthaltsorte des Soldaten Heinrich Büsemeyer von März 1916 bis Mai 1918

buesemeyer1

Heinrich und Johanne Büsemeyer um 1910 (privat)

Der Besenkämper Hauptlehrer Heinrich Büsemeyer (*13.8.1884, †16.5.1918) hat als Soldat im Ersten Weltkrieg hunderte von Briefen, Ansichtskarten, Fotografien und Visitenkarten an seine 1909 geehelichte Frau Johanne Büsemeyer (1886-1957) und seinen 1911 geborenen Sohn geschickt, die die Familie bis heute bewahrt. Neben seinen Briefen hat Heinrich Büsemeyer, der Mitte Mai 1918 fiel, auch ein Kriegstagebuch geführt. Aus diesen Quellen hat sein namensgleicher Enkel folgende Aufenthaltsorte für die Jahre 1916 bis 1918 exzerpiert.

Aufenthaltsorte von Heinrich Büsemeyer  von März 1916 bis Mai 1918

1916

6.3.    „… bin auf dem Weg nach Münster“ (eingezogen)

12.3.    Neuer Krug, Münster

16.4.        „Fahrt über Haltern, Wanne und Düsseldorf-Rath nach Cöln, das wir gegen Abend erreichen.“

12.00 Uhr nachts: „Wir sind in Herbestal. … Hinter mir das liebe deutsche Vaterland … Im Morgengrauen tauchen die Türme von Lüttich auf … Weiter geht die Fahrt durch das Maastal nach Namur… Über Namur geht die Fahrt weiter nach Charleroi… Von Charleroi bis Mons … . Gegen Abend sind wir in Tournay … weiter geht die Fahrt in der Richtung auf Orchies… Auf der Haltestelle Rumes verlassen wir den Zug und marschieren bei Anbrechen der Dunkelheit schwer bepackt durch den strömenden Regen nach Bourghelles …

20.4.        Verlegung nach Bachy, etwa 4km südlich von Bourghelles. „Ostern feierte ich in Bachy in Nordfrankreich.“ „Bachy war mein erstes Quartier auf französischem Boden.“

1.5.        „Letzter Tag meines Aufenthaltes in Bachy. Morgen geht’s zum Regiment 13.“

2.5.        „Nach langem, beschwerlichen Marsch über die holprigen französischen und belgischen Straßen bin ich in Antoiny (Belgien) beim Regiment 13 angekommen.

9.5.        (Brief 311 vom 9.5.1918:) „Heute vor 2 Jahren (…) fuhren wir von Bavi-Maulde in Belgien ab nach den blutgetränkten Feldern von Verdun.“

3.6.    „… bin nicht mehr in Belgien“

4.6.    „30 km nördlich von Verdun“. „Pfingsten feierte ich auf den Totenfeldern vor Verdun.“

6. – 16.6.    keine Korrespondenz

7.6.        „Am 7. Juni marschierte unser Bataillon von Murvaux aus in Stellung. Wir brachen um drei Uhr nachmittags feldmarschmäßig bepackt auf, waren gegen acht Uhr in Danneroux, wo wir aus der Feldküche das Essen empfingen. Um 10.30 Uhr ging’s im strömenden Regen weiter. Wir kamen bald in einen großen Wald, wie ich später feststellte, war es der berüchtigte, von französischen Granaten arg heimgesuchte Forges-Wald. … Als wir aus dem Walde heraus waren, kamen wir in das Forgesbachtal.

17.6.    „… schwere Tage liegen hinter mir“

19.6.    „… liege am Ufer der Maas“

25.6.    „… bin in der Nähe des ‚Toten Mann'“

1.7.        Mauldes in Belgien, Beginn der Daumenentzündung (siehe Brief 16.7.)

2.7.    „… wohne in der Taufkirche der Johanna von Orleans“ (Domrémy-la-Pucelle, Dep. Vosges)

3.7.    „… wohne in einer arg zerschossenen Dorfkirche, 15 km hinter der Front, am ‚Toten Mann'“

4.7.         „Vor Verdun“

6.7.        „Morgen werden wir in unsere Sturmstellung einrücken. Ich habe mich freiwillig für den Stoßtrupp gemeldet.“

8.7.         Am „Toten Mann“ vor Verdun

9.7.    „… bin ins Feldlazarett in einer früheren Pfarre überwiesen worden“ (Daumenoperation)

11.7.    Hat in den vergangenen Tagen eine Karte aus Brieulles geschickt

11.7.    „Wir liegen etwa 4 km vom vordersten Graben in einer ausgebauten, günstigen Stellung.“

15.7.    Ist ins Kriegslazarett Laneuville verlegt worden, in einem Schloß („eher wie ein besserer Gutshof“) mit Park

19.7.    Laneuville liegt 10 km (?! – stimmt nicht!) von Stenay, dem Hauptquartier des Kronprinzen, die Front ist 40 km entfernt

30.7.        Laneuville:    „Duft blühender Linden, …sitze auf einem Balkon mit Wein und Kletterrosen“

14.8.    Wurde nach Stenay zur Genesungsabteilung verlegt

15.8.    Zur Bahnhofskommandantur Stenay abkommandiert

26.8.    „… schlafe nicht im Bahnhof, sondern vor der Stadt in der Infanteriekaserne“

2.9.    „… kann dicht am Bahnhof ein Zimmer beziehen – reinlich, tapeziert, mit wunderschönem Ausblick“

10.9.    „… war vor ein paar Tagen wegen eines Kantinen-Einkaufs in Sedan“

28.9.    „Turmuhr Laneuville schlägt 11 Uhr abends, 3 Schlag den Dreiklang abwärts“

1.10.    „… sitze in der Gartenlaube (an der Wohnung?!), dicht vor mir, unterhalb der alten Gartenmauer, weiden einige Dutzend Kühe“

1917

14.1.    Im dienstlichen Auftrag nach Sedan

25.1.         Aus dem Urlaub (Ankunft Bielefeld am 20.1.) in Besenkamp zurück in Stenay, Fahrt ging über Bahnhof Ückingen bei Diedenhofen. Er schreibt nach Lotte, wo er Johanne und Günther noch vermutet.

31.1.    Ende der Zeit in Stenay: „Am 31. Januar bin ich wieder zu meiner Kompanie und damit wiederum in die Welt der Schützengräben gekommen.“

5.2.        -21° C

7.2.    „in Stellung“

21.2.    im Ruhequartier Waldlager Münster (Munster?)

1.3.    „im Unterstand“

5.3.    „… aus dem Graben“ – bis 24.3. abkommandiert nach Currel („1/2 Stunde entfernt“) zum Kursus zum Gebrauch der Nahkampfmittel

8.3.        „… heute nach Currel übergesiedelt“, (9.3.:) „bis Ende März“

20.3.        Currel

27.3.        Besuch bei Herrn Wöhrmann in Vilosnes (am 28.5. fragt er, ob Herr Wöhrmann bei Vilosnes „geblieben“ sei)

1.4.    Heimaturlaub (Karte aus Stenay vom 11.4.: „… wieder zurück im verhaßten Frankreich“), danach:

„Der Übergang aus dem friedlichen Daheim in das Elend des Schützengrabens wurde mir dadurch erleichtert, daß ich die ersten 10 Tage nach meiner Rückkehr bei der Feldintendantur unserer Division beschäftigt war.“

15.4.        „Seit gestern etwas nach Westen verlegt in die Nähe des Cheppi-Waldes“

3.5.    „Seit vorgestern wieder in Stellung als Gefechtsordonnanz beim Bataillon“,
„Links von uns die Trümmer von Malancourt und Haucourt , etwas weiter die Mauerreste von Béthincourt , schräg vor uns der Tote Mann und Höhe 304.“

6.5.        „Wir kommen also auch in die große Offensive an unserer Westfront.“

10.5.        „Heute sind wir zum letzten Mal vor Verdun ins Stellung.“

14.5.        Wir sind auf der Fahrt und berührten Sedan-Charleville.

15.5.        „Ankunft in Rocoy. Marsch bis Renneville; ungefähr 6 km. Ortsunterkunft auf Stallboden.“

16.5.        „Marsch nach Lappion. Von 1.00 Uhr bis 5.00 Uhr Ruhe in der Kirche zu Lappion, dann Weitermarsch nach Truppenübungsplatz Sissons.“

„Letzte Grüße aus dem Waldlager, wir rücken morgen ab.“

17.5.        Marsch nach Samoussy.

Liegen in der Nähe von Laon, Unterkunft in Zelten

2.6.        Marsch in Stellung Höhle Cerny-West. Zwischenaufenthalt in Parfondru. „Abends gegen einhalb 11 Uhr bei Montenault ins Artilleriefeuer gekommen.“

3.6.        „… sind Höhlenbewohner geworden.“

6.6.    „… liegen am Rande des ehemaligen Dorfes Cerny.“

13.6.        „… Chemin des dames wird von unserem Graben durchschnitten.“

19.-20.6.    „Urlaub nach Sedan zwecks Vernehmung als Zeuge.“

23.6.        Abends 7.00 Uhr: „Marsch in die Stellung. Alles ruhig, durch Artillerie nicht belästigt. In Martigny Kirschen gepflückt.“

3.-6.7.        „Bataillon mit 3 Kompanien in Reserve im Negerdorf. 1. Kompanie bleibt vorn. Während dieser Tage bin ich zum Barackenbau im Waldlager bei Parfondru abkommandiert.“

„Negerdorf“ liegt 1,5 km hinter der ersten Linie.

6.7.        „… das letzte Mal am Chemin des dames in Stellung.“

7.7.        Marsch in Stellung nach Cerny-Ost.

18.7.        Morgens 5.30 Uhr: „Marsch aus Stellung. Feuer bei Martigny.“

29.7.        „Um 6.00 Uhr abends fand in der Dorfkirche zu Parfondru die Feier des heiligen Abendmahls statt für evangelische Mannschaften.“

2.8.        Morgens 7.30 Verwundung durch französische Sprenggranate an der rechten Wange, … zu Fuß nach Chamoully, von da mit einem Krankenauto nach Bruyères gefahren wurde. Von Bruyères zum Hauptverbandsplatz auf einer Ferme bei Parfondru. Von da aus am selben Abend ins Feldlazarett 70 in Liesse.

2.8.-6.8.    Feldlazarett in Liesse.

6.8.        „… mit einem Lazarettzug nach dem Kriegslazarett Glageon bei Hirson.“

6.8.-10.9.    Kriegslazarett Glageon, dann zur Truppe entlassen. Fahrt bis Hirson.

11.9.        Von Hirson dem Feldrekruten-Depot in Thénailles überwiesen; Fahrt bis Vervins.

13.9.    Zur Feldersatzkompanie der 13. I.B. überwiesen.

27.9.    Zur Kompanie nach Crécy sur Serre zurück.

1.10.    Er kündigt Urlaub ab 10. oder 11. Oktober an.

4.10.        Nächsten Donnerstag oder Freitag soll Günther zuweilen nach Bünde oder  nach Brinkmanns hinausschauen, ob der Vater kommt.

24./28.10.        Ist nachts um 2 aus dem Urlaub wieder in Laon angekommen, Regiment liegt nach schweren Tagen in Ruhe.  Regiment liegt in der Nähe von Hirson und wird am 29.10. verladen.

31.10.        Bataillon liegt seit 30.10. in Floing, „bewohne mit 5 Kameraden ein Zimmer am Marktplatz“ (Beschreibung in Brief 252). Regiment hatte große Verluste, „von meinen Bekannten nichts mehr da“. „Wie ist es mit Günthers Lehmumschlägen?“ (erstmals wird die Knieverletzung erwähnt).

18.11.        Besuch bei Bruder August in Virton, den er seit 3 Jahren nicht gesehen hat. Verlegung kündigt sich an, angeblich zum Truppenübungsplatz
Beverlos in Belgien.

23./25.11.        Liegen in Imécourt in den Argonnen, Quartier in einem alten Klosterhof mit Wassergraben, 20 km hinter der Front.

1918

1.1.-6.1.    Liegt als Beobachter „¾ Stunde vor der Kompanie“.

11.1.    Am 13. Tag in Stellung.

13.1.    Aus der Stellung – im Waldlager (Cierges); Verlegung deutet sich an, „Bewegungskrieg wird vorbereitet“.

16.1.        Liegen in Ruhe in Cierges.

22.1.    Wieder in Stellung, „war kürzlich dem Tode sehr nahe“ (Flugzeug hatte ihn am 21.1. im Beobachtungsstand beschossen – Brief 278).

25.1.        „Vor 2 Stunden (ca. 7.30) tobte hier eine wahre Hölle“.

31.1.        In Ruhe im Waldlager (=Cierges)

7.2.    „Seit gestern liegen wir in Arlon an der belgisch-luxemburgischen Grenze. (…) wohne mit zwei Unteroffizieren in einer kleinen Wirtschaft.“

15.2.        „Werden wahrscheinlich wieder verlegt.“

19.2.    „Liegen in Anzin an der französisch-belgischen Grenze, einem Vorort von Valenciennes (…) bin in einer Schule untergebracht.“ Operation an Günthers Knie wird erwogen.

1.3.        Post soll angeblich für 14 Tage gesperrt werden.

7.3.    „Von morgen an werden keine Briefe mehr befördert“ – nur noch Postkarten als „Lebenszeichen“.

bis 18.3.    nur kurze Feldpostkarten-Grüße

18.3.    schreibt Abschiedsbrief, der in seiner Brieftasche bleibt

21.3.        Offensive beginnt (Brief 304)

3.4.    „Leben gut von den Vorräten, die uns der Tommy zurückgelassen hat.“ Große Sorge um Günthers Krankheit, die „falsch behandelt“ wurde.

7.4.    „Gestern hat man mich zum Vizefeldwebel gemacht, natürlich wegen Tapferkeit vorm Feinde. Als ob’s für einen Soldaten etwas anderes gibt als Tapferkeit.“

15.4.    Günther ist im Krankenhaus

19.4.    Auf dem Marsch

20.4.    „Links der Somme“, seit 20.3. erstmals wieder unter einem Dach, ist beim Bataillonsstab

30.4.    „Die Kompanie hat nur noch einen Offizier, sonst keinen Feldwebel und Unteroffizier mehr.“

9.5.        „Wir alle sind durch die großen Strapazen und schweren Kämpfe der letzten Wochen seelisch krank geworden. Infolge der starken Verluste sind die alten Gesichter fast ganz aus der Kompagnie verschwunden. Man führt sich ordentlich vereinsamt und fremd.“

Am 16. Mai 1918 findet Heinrich Büsemeyer den Tod durch einen Granatvolltreffer bei Castel/Picardie.

Quellen: Kriegstagebücher 16.4.1916 – 4.10.1917, Briefe 22.2.1916 – 16.5.1918 (+), Privatarchiv Heinrich Büsemeyer

Lit.: Heinrich Büsemeyer: „Wer behauptet, der Krieg mache die Menschen besser, der spricht eine Lüge aus.“ Briefe des Besenkämper Hauptlehrers Heinrich Büsemeyer 1916-1918, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 18/2011, 161-191.

Ludendorff-Spende für Kriegsbeschädigte, 1918

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Im April 1918 endete in Bielefeld eine vierwöchige Spendensammlung für die Kriegsbeschädigten, die nach General Erich Ludendorff (1865-1937) benannt war. Aus Bielefeld wurden der Stiftung Heimatdank schließlich 24.000 Mark überwiesen, die Honoratioren und Unternehmer, aber auch Arbeiter und Angestellte sowie Schulen gesammelt hatten.

Maße: 30 x 43,5 cm

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,9/Plakate, Nr. 3099

Aufruf „An euch in der Heimat! An euch an der Front“, 1917

Heimat_Front

„An euch in der Heimat! An euch an der Front“ – Aufruf des Stellvertretenden Generalkommandos Münster zur Steigerung der Rüstungsproduktion, 1917 (Autoren: Otto Rielicke, Friedrich Balzert)

Transkription:

[Front]

An euch in der Heimat!
Wir haben gekämpft und wir haben geschafft,
Wir haben das Schwert und wir haben die Kraft,
Wir haben den Gott, und wir haben das Recht,
Wir sind ein starkes, gesundes Geschlecht!
Wir tragen den Willen und fühlen den Sieg
Schon tausend Tage durch diesen Krieg,
Schon tausend Nächte durch Grauen und Tod,
Durch Stunden des Jubels und Stunden der Not!
Wir haben die Kraft und wir tragen das Schwert,
Zu schützen das Edle, das Deutsche, den Herd,
Zu schützen die Wahrheit, die Treue, das Recht
Vor Schande und vor dem Britengeschlecht.
Wir siegen! Wir siegen, auch wenn uns droht
Durch abermals tausend Nächte die Not,
Durch abermals tausend Tage Verderben,
Durch abermals tausend Stunden das Sterben.
Wir siegen! Wir siegen – denn Wille ist Macht.
Wir schwören es Euch aus der schweren Schlacht.
Wir rufen es durch den eisernen Tod,
Wir jubeln es durch die heulende Not:
Wir siegen. Wir siegen – trotz Briten und Welt,
Solange die Heimat die Treue uns hält,
Solange die Heimat weiß, was es gilt,
Solange sie unsere Bitte erfüllt:
Schafft rastlos Granaten!

[Heimat]

An euch an der Front!
Wir wissen, ihr Streiter, wie hart ihr geschafft,
Wie scharf euer Schwert und wie groß eure Kraft.
Wir wissen, daß Gott euch zur Seite geht,
Wenn ihr in dem schweren Kampfe steht.
Der Wille zum Sieg, der euch Helden beseelt,
Der hat auch noch keinem von uns gefehlt.
Wir wollen gern Not und Entbehrungen tragen
Und durch Arbeit helfen, den Feind zu schlagen,
Denn nur was Werkstatt und Waffen erringen,
Das kann uns den dauernden Frieden bringen!
Ihr kämpft für das Edle, das Deutsche, den Herd,
Ihr schwinget für Freiheit und Recht euer Schwert:
Drum stehn wir im Kampf euch mit Freuden zur Seit‘,
Bis die Welt vom britischen Joche befreit.
Und wir schwören euch, Brüder, die deutsche Treu
Durch die Arbeit am Amboß täglich aufs neu.
Wir tun in der Werkstatt Schicht für Schicht
Die heilige Kameradenpflicht.
Und unserer hämmernden Fäuste Gebet
In Liebe hinter euch Helden steht.
Wir wissen: wir werden den Feind besiegen,
Denn niemals kann Treue der Falschheit erliegen.
Vertraut auf uns! Wir verlassen euch nicht!
Wir in der Heimat tun unsere Pflicht:
Wir schaffen Granaten!

Signatur: LkA EKvW 4.256 Nr. 415; Rechteinhaber unbekannt (Hinweise zum Urheberrecht bitte an webmaster@archive-owl.de)

Rundbrief von Pfarrer Baumann, Löhne, an Soldaten aus seiner Kirchengemeinde, 1917

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Transkription eines Rundbriefs von Pfarrer Baumann, Löhne, an Soldaten aus seiner Kirchengemeinde

Löhne den 2. Juli 1917

Muster eines Briefes
An d[ie] Soldaten v[om] Pfarramt

Lieber Freund!

Gestern habe ich im Gottesdienst bekannt
geben müssen, daß wir im Laufe dieses
Monats unsere schönen Kirchenglocken, bis
Auf die kleinste, und auch die Schulglocke
von Falscheide abgeben müssen. Das schneidet
tief in unser Gemeindeleben ein. Auf dem
Lande empfinden wir das ja viel schmerz-
licher wie in der Stadt. Sie haben Euch und
uns oft geklungen in Freude und Leid,
haben uns oft gerufen zum Gottesdienst.
Mancher hat ihren Ruf nicht hören und
Verstehen wollen, vielleicht denkt Ihr
jetzt daran. Wir hatten gehofft, damit
den Frieden einläuten zu können und
Euch bei Eurer glücklichen Heimkehr mit
ihnen begrüßen zu können. Das ist nun
vorbei. Nun sollen sie dem Vaterland
einen anderen Dienst tun, Euch Waffen
liefern, damit Ihr kämpfen und siegen
könnt. Gott wolle auch diese Dienste
segnen!

Unsere 3 Glocken haben Namen und wollten
uns, so oft wir sie hörten, etwas Ernstes u[nd]
Wichtiges sagen. Es wird Euch gewiß inte-
ressieren

wenn ich Euch davon mitteile. Die größte
Glocke, die tiefste, heißt: Magdalena. Es war
das die große Sünderin, die zu Jesu kam, und der
der Herr die Sünden vergab. Der Glockenklang
rief uns zu: tut Buße, kommt zu dem
lebendigen Gott. Kehre Dich zu mir, denn ich
erlöse Dich. Wie not ist uns allen doch dieser
Ruf. Luther sagt: unser ganzes Leben soll eine
ständige Buße sein.

Die zweite Glocke heißt Maria. Sie saß, wie
Ihr aus dem Evangelium wißt, zu Jesu Füßen,
ihm zuzuhören u[nd] die sagt uns: Eines ist not,
denke darüber nach: Jesum gewinnen, dies eine ist not.

Die dritte heißt Martha. Und wie einst die
Martha Jesu diente, so will uns die Glocke
immer wieder zurufen: Dienet einander!
Laßt Euch mal diese Namen Eurer Heimat-
glocken und ihre Zurufe durchs Herz gehen
zur Selbstbesinnung, damit sie so noch
einmal ihren Dienst an Euch tun können,
wie sie ja immer tun wollten. Wenn
auch die Glocken fortkommen, diese
Mahnungen bleiben doch für jeden Christen,
der einmal vor Gott bestehen will: un-
verloren für Zeit und Ewigkeit.

Die kleinste Glocke mit ihrer Aufforderung:
Dienet einander, behalten wir. Das ist
ja gut.Und das wollen wir tun, Ihr da
draußen, wir hier: einander dienen in
Treue, Liebe und Glauben und das

Wollen wir ganz besonders dann tun, wenn
Gott uns im Frieden wieder zusammen geführt
hat, miteinander Dienen im Gemeindeleben, im
Zusammenarbeiten für Volk und Vaterland,
miteinander Jesum gewinnen, dass wir unser
Ziel erreichen. Im treuen Zusammenstehen
liegt unsere Kraft.

Gestern habe ich auch wieder einen Trauerfall be-
kannt geben müssen. Der Musketier Karl
Krause von der Falscheide ist gefallen. Gerade vor
8 Tagen hatten wir Gedächtnisfeier halten müssen für
Friedrich Hamelmann, Fritz Tiemann, Fritz
Stuke, Dragoner (?), Fritz Steffen, die hier beerdigt
ist, Heidsiek, U[ntero]ff[i]z[ier]. Brachmann, gerade hatte er
geheiratet, und Gustav Uhling. Nun wird die
Liste schon wieder länger, wie viele sind es, die Ihr
und wir nicht wiedersehen werden. Für uns alle
liegt darin doch die ernste Mahnung: Denke
an Deinen Tod! Lebe, wie Du, wenn Du stirbst,
wünschen wirst, gelebt zu haben. Sterben soll
auch ein Sieg sein, um den wir mit unser
Betglocke immer wieder bitten: Herr, hilf über-
winden. Gott wolle in Gnaden uns allen
helfen, daß unser Sterben ein Sieg sei,
und wir die Siegerkrone davon tragen und
ewigen Frieden!

Wann wird der irdische Frieden kommen?
Wer weiß es? Hoffen wollen und dürfen wir,
daß das noch so fern liegende bald eintrifft.
Wenn er uns nur hat treu erfunden und
merket keine Heuchelei, so kommt Gott,
eh wirs uns versehen u[nd] lässet uns viel
Guts geschehen.

Gott tut uns ja soviel Gutes. Er hat uns, als es
höchste Zeit wurde, Regen gegeben, und das Korn
u[nd] alles ist gewachsen, daß es eine Freude ist.
So gibt´s hoffentlich eine gute Ernte, auch da draußen
als Ernte den Sieg über alle Feinde. Nicht den
Mut verlieren, lieber Freund, auch wenn Du
mal murren und verzagen willst bei allem
Schweren, was Du hast. Seht, darin wollen
wir einander auch dienen, daß wir uns ge-
genseitig Mut machen. Ihr habts oft nötig
und wir hier auch. Was hilft Klagen und Mut-
los werden? Ists nicht immer so: Wir machen
unser Kreuz und leid nur größer durch
die Traurigkeit?

Ich will Euch zum Schluß noch ein gutes Wort
des Apostels Paulus geben. Darüber denket
nach, Ihr werdet es verstehen. 2. Korinther
Cap[itel] 4 V[ers] 17 u[nd] 18: Unser Trübsal, die zeitlich
und leicht ist, schafft eine einige und über
alle Maßen richtige Herrlichkeit uns, die
wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern
auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist,
das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist
ewig.

Nun seid alle herzlich Gott befohlen!
Habt Dank, die Ihr bei mir gewesen seid
und geschrieben habt. Seid gewiß, wir
denken täglich an Euch.

Herzliche Grüße aus der Heimat.
In Treue Euer Pastor
Baumann

(Wolfgang Günther, Landeskirchenarchiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld)

Signatur: LkA EkvW Best. 4.79 Nr. 50

Post von Ernst Brünger (1898-1917) aus Herford

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Ernst Brünger, um 1915

Ernst Heinrich Brünger stammte aus Herford, wurde am 3. September 1898 geboren. Seine Familie wohnte in der Radewig 319 (später/heute: Diebrocker Straße 80). Dort betrieb sein Vater Hermann Heinrich, ein Schuhmachermeister, eine Werkstatt.

Foto_S10_Haus

Heinrich Brünger mit Familie und Schuhmachergesellen vor seinem Haus in Herford, Radewig 319 bzw. Diebrocker Straße 80, um 1905

Seine Mutter Johanne geb. Kuhlmann gebahr zwölf Kinder, von denen sechs bereits im Kindesalter verstarben. Ernst war das achte Kind der Familie. Er wollte Lehrer werden und besuchte daher die Präparandenanstalt in Herford zur Vorbereitung auf das Lehrerseminar.

Foto_S12_Familie

Familie Brünger 1917. Stehend v.l.: Ernst, Helene, Hermann, Clara; sitzend v.l.: Mutter Hanna, Elisabeth, Vater Heinrich, Martha

Da Ernst verbotenerweise einmal des nächtens das Internat verlassen hatte, wurde er relegiert und musste sich nach einem anderen Beruf umsehen. Er befand sich Anfang 1916 in Essen, wo er einer nicht näher bekannten Tätigkeit nachging. Er hoffte auf eine Rückkehr nach Herford und auf eine Anstellung im Amt bzw. im Magistrat. – Seine Spur verliert sich ein wenig. Doch schon im November 1916 befand er sich als Kriegsfreiwilliger in der Rekrutenausbildung in Soest.

Ernst Brünger hat seiner Familie nach Hause geschrieben, aus Essen, aus Soest und „aus dem Felde“. Die Briefe von Ernst Brünger an Eltern und Geschwister liegen seit 2014 gedruckt vor, zum Teil zusätzlich als Faksimile, herausgegeben von seinem Neffen Eberhard Brünger. Der hatte die Post und Feldpost vor einigen Jahren von Ursula Büker aus Herford-Eikum erhalten. Deren Mutter Clara Büker war eine Schwester Ernst Brüngers, die seine Briefe sorgfältig aufbewahrte und ihrer Tochter weitergab. Weder der Neffe Eberhard noch die Nicht Ursula haben ihren Onkel je kennengelernt.

Denn Ernst Brünger ist am 31. Juli 1917 im Alter von 18 Jahren am Chemin des Dames südlich von Laon in Nordfrankreich gefallen. Sein Grab befindet sich auf dem Soldatenfriedhof von Veslud.

Die Briefe sind bewegende Zeugnisse eines noch unsicheren jungen Menschen, der aus einem behüteten Elternhaus in die Barbarei des Stellungskriegs gerät. Das Buch ist angereichert mit vielen Fotos und Dokumenten und trägt den Titel „Ernst Brünger – Briefe von der Westfront 1917“. Es kann im Buchhandel (ISBN 978-3000455711), oder schriftlich bzw. telefonisch beim Herausgeber zum Preis von 10 Euro zuzüglich Porto bezogen werden: Eberhard Brünger, Heimstatt 12, 27259 Freistatt, 05448/88295.

(Fotos aus dem o.g. Buch)

Feldpost von Gemeindegliedern der Kirchengemeinde Werther an Pfarrer Münter

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Feldpost von Gemeindegliedern der Kirchengemeinde Werther an Pfarrer Albert Münter (1859-1941), Collage, 1914-1918

Przechody, den 25. März 1915.
Sehr geehrter Herr Pastor! Vor kurzem erhielt ich
wieder Ihre schönen Schriften, die ich mit großem
Interesse gelesen habe, und für die ich Ihnen herzlichst
danke. Soviel wie möglich lasse ich die Blätter
in der Kompanie herumgehen. Aber ach, wie
viele brave Männer aus der lieben Heimatgemein-
de starben! Der liebe Gott gebe uns bald einen
ehrenvollen Frieden!
Ihnen und Ihrer lieben Familie
die herzlichsten Grüße von Ihrem
E. Meyer zum Gottesberge

Signatur: LkA EKvW 4.81 Nr. 501

Brief von der Front an das Pfarramt in Werther, 30.12.1914

An das Pfarramt zu Werther
30.12.1914

Freudigen Herzens habe ich die liebevollen Grüße aus der teuren Heimat aufgenommen und bringe dafür meinen tiefgefühlten, herzlichsten Dank. Die lieben friedlich läutenden Weihnachtsglocken waren bei uns verstummt, stattdessen hörte man das Dröhnen und Krachen der Kanonen. Schon am Tage vor dem Feste griffen die Franzosen verschiedene Stellungen von uns an, wurden dann aber [unter] schweren Verlusten zurückgeschlagen und dabei noch gegen 200 Gefangene gemacht. Heiligen Abend feierten wir in Beisein unseres Hauptmanns in der Steinhöhle, welcher eine tiefergreifende, eindrucksvolle Ansprache an die Kompagnie hielt. Auch einer unserer Kameraden nahm das Testament zur Hand und reichte trostreiche Worte an uns. [?] Die Höhle war ausgeschmückt mit Tannenzweigen und in der Mitte leuchtete der schöne Christbaum. Vor allem habe ich meinem Gott gedankt, der uns auch hier auf Frankreichs Boden hat Weihnachten feiern lassen, gedacht der Kameraden, die der grüne Rasen in sich birgt und gedankt unserem allmächtigen Gott der uns beschützt hat in den Tagen wo wir von Not, vom Tode und von Gefahr umringt waren. Am ersten Feiertage kamen wir dann zur Ablösung der anderen kurz [?] in den Schützengraben und gleichzeitig durfte ich am selbigen Abend auf Vorposten ziehen. Gedacht habe ich meiner lieben Heimat als die Kameraden im Schützengraben die lieben Weihnachtslieder anstimmten, so bleibt mir diese als eine stete Erinnerung, wenn ich gesund meine Heimat wiedersehen werde. Den lieben Heimatgemeinden meinen herzlichsten Dank und viele liebe Grüße sendet
Jäger August Heidbrede

Signatur: LkA EKvW 4.81 Nr. 501

Heimatbrief Nr. 3 von Pfarrer Johannes Meyersieck (Oetinghausen), 15.10.1914

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Die 1907 errichtete Dorfschule Oetinghausen (darin die „Schulkapelle“), Abb. aus Rottschäfer, a.a.O., 31.

Brief Nr. 3
Oetinghausen, den 15. Oktober 1914

Liebe Kameraden!

In dem Blatt Nr. 81 findet Ihr diesmal etwas über die Himmelsbriefe [kleine (Verteil-)Blätter mit Versen, Sinnsprüchen, Lebens- und/oder Glaubensweisheiten oder volkstümlichen Reimen, die, die Gunst Gottes in beruflichen oder außergewöhnlichen Aufgaben sichern bzw. persönliches Wohlergehen garantieren sollen] zu lesen. Ich weiß, daß eine Anzahl von Euch auch mit einem solchen Briefe in der Tasche oder im Brustbeutel ins Feld gegangen sind, ich habe den Wortlaut desselben in Händen und bin dankbar, daß mir von den Gliedern der Gemeinde solches Vertrauen entgegengebracht wird, daß man mir diesen Brief gezeigt hat, den man sonst nicht gern den Pastoren zeigt. Wenn Ihr gelesen habt, was darüber geschrieben wird, dann werdet Ihr selbst nicht mehr meinen, daß dieses Stückchen Papier Euch schützen könnte.
Ich will Euch nicht schelten, daß Ihr die Torheit dieser Sache nicht gleich eingesehen habt, Ihr habt es aus Unwissenheit getan, aber war diese Unwissenheit nicht Eure Schuld, ists nicht Eure Schuld, daß Ihr Euren Gott so wenig kennt, wo doch jeder von Euch eine Bibel hat und Ihr evangelische Christen seid! Wie traurig, daß in unserm Lande der Reformation noch solche elenden Dinge unter uns umgehen. Alle die Beschwörungen haben gar keinen Wert, wohl aber halten sie den armen betörten Menschen von einer wahrhaftigen Hinkehr zu Gott ab.
Zu Beginn des Krieges ist irgendwo ein Bauer zu seinem Pastor gekommen und hat ihn um einen Himmelsbrief für einen Verwandten gebeten und dann, als der Pastor seinen Wunsch nicht erfüllen konnte, gemeint, dann wolle er seinem Neffen den 121. Psalm abschreiben und senden. Das war ein guter Gedanke. Ich kann mir dies Abschreiben wohl sparen, denn ich glaube, dieser Psalm steht in Eurem Feldgesangbuch [Psalm 121, in: Ev. Militair-Gesang- und Gebetbuch, Berlin (Reimer) 1888, S. 136/137; Feldgesangbuch für die evangelischen Mannschaften des Heeres, Berlin (Mittler) 1897, S. 59]. Aber tragt ihn nicht nur in der Tasche, sondern im Herzen. Auch dieser Psalm macht Euch nicht „kugelfest“, aber Ihr wißt: „Ein feste Burg ist unser Gott“ [Martin Luther (1483–1546), Choral (1529) „Ein feste Burg ist unser Gott“, EG 362]. Das Vertrauen auf die Himmelsbriefe ist Torheit und Sünde, aber manche der Mahnungen, die am Schlusse stehen und Euch auffordern, als fromme, ehrliche deutsche Soldaten zu leben, sind gut und nützlich.
Einige Worte solch schöner Spruchweisheit aus dem Volke, die einem anderen Himmelsbrief entnommen sind:

Obschon die Feinde Dich verfolgen und hassen So trau auf Gott. Er wird Dich auch in keiner Not verlassen.

Was Gott tut erquicken, kann niemand unterdrücken.

Gott läßt die Seinen sinken, aber nicht ertrinken.

Gott weiß wohl Hilfe und Rat, wenn Menschenhilf ein Ende hat.

Im Unglück hab ein Bärenmut, auf Gott trau, es wird werden gut, ja besser als man hoffen tut.

Zu dir Herr Jesu Gottes Sohn steht meines Herzens Freud und Wonn.

Mein Ruhm, mein Trost, mein höchstes Gut ist mein Herr Jesu, dein teures Blut.

Der Christen Herz auf Rosen geht, wenns mitten unterm Kreuze steht.

Verzage nicht im Kreuze dein, auf Regen folget Sonnenschein. Herr Jesu, der süße Name dein erquicke mir die Seele mein.

Herr Jesu Christ, mein Trost und Freud, ich trau auf dich zu jeder Zeit.

O frommer Christ hier leid und meid, bald kommt darauf die gute Zeit. Vielleicht kommt der wohl über Nacht, der aller Not ein Ende macht.

Bete rein und schätze dich klein, arbeite fein, trau Gott allein, die Sorge laß Gott befohlen sein.

[Die 12 volkstümlichen Sinnsprüche, die Meyersieck hier aufgreift, sind über die „Himmelsbriefe“ hinaus auch als Stickbilder und Poesiealbenverse verbreitet gewesen, dennoch nur teilweise näher identifizierbar, so der achte (Wahlspruch/Wappenspruch Martin Luthers) oder auch der neunte (H. J. Schmitz, Sitten und Sagen. Lieder, Sprichwörter und Räthsel des eifler Volkes nebst einen (sic) Idiotikon, Bd. 1, Trier 1856, S. 167, Nr. 10).]

Mit herzlichem Dank gegen Gott haben wir am 4. d[ieses] M[onats] das Erntedankfest gefeiert. In der Predigt habe ich gesagt, es sei fraglich, ob unser Deutsches Volk schon jemals so viel Ursache zum Danken in einem Herbst gehabt habe als in dem diesjährigen. Was wäre aus unserm Volk geworden, wenn wir in diesem Jahr eine Mißernte gehabt hätten!

In Lippinghausen hielten uns mächtige Korngarben zu den Seiten des Altars und prachtvolle Früchte, ganz besonders auch schönes Gemüse und ein mächtiger Kürbis während des Gottesdienstes den Segen Gottes vor Augen.

In Oetinghausen erinnert uns daran noch jetzt immer ein dicker Kranz von Ähren um das Kreuz auf dem Altar und zwei Ährensträuße an den Leuchtern. Was wir am Nachmittage des Erntedankfestes gemacht haben, das erzähle ich Euch, wills Gott, das nächste Mal.

[Bei der sogenannten „Oetinghauser Schulkapelle“ handelte es sich um ein Provisorium, das die Gemeindeglieder im Oetinghauser Gemeindebezirk des alten Kirchspiels Hiddenhausen in der 1907 neu errichteten Dorfschule eingerichtet hatten. Diese Dorfschule bestand aus zwei Klassenräumen, die jeweils nach rechts bzw. links von einem breiten Flurraum abzweigten. An der Stirnseite dieses Mittelgangs stand der (wochentags durch Tücher verhängte) Altar. Während der (i.d.R. gut besuchten) Gottesdienste ließ sich der „Gottesdienstraum“ zu den Klassenzimmern hin erweitern. Der „Betsaal“ der zweiklassigen Volksschule diente dem Gemeindebezirk drei Jahrzehnte lang, bis zum Bau der Oetinghauser Kirche 1937/1938, als dörfliche Gottesdienststätte und, wie Pfarrer Meyersieck gern in seinen Briefen betont, als „Heimatkirche“ (s. Abb. oben).]

Gott befohlen, Euer Heimatpastor Meyersieck.

Quelle: Feldpostbriefe von Pastor Johannes Meyersieck aus Oetinghausen.

Lit.: Ulrich Rottschäfer (Hg.): „Wir denken an Euch“. Feldpostbriefe eines ravensbergischen „Heimatpastors“ im Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2011.

Signatur: LkA EKvW 4.53 (Archiv der Ev. Kg. Hiddenhausen), Nr. 958

Heimatbrief Nr. 2 von Pfarrer Johannes Meyersieck (Oetinghausen), 28.9.1914

Brief Nr. 2
Oetinghausen, den 28. September 1914

Liebe Kameraden!

Drei Wochen sind vergangen, seitdem ich den ersten Gruß aus der Heimatkirche Euch sandte. Es dauerte erst eine Zeitlang, bis ich alle Adressen einigermaßen vollständig hatte, so hat sich für manche der Gruß verspätet. Von nun ab sollt Ihr ihn nach Möglichkeit alle 14 Tage erhalten, zumal nach allem, was man hört, an Feldpredigern draußen Mangel ist. Und ich glaube, wenn Ihr es bisher noch nicht wußtet, jetzt wißt Ihr, was ein Brief aus der Heimat wert ist.
Herrliche Erfolge [Meyersieck erinnert hier offensichtlich an die deutschen Erfolge der ersten sechs Kriegswochen, darunter insbesondere die Abwehr der französischen Offensive gegen Elsaß und Lothringen, die Besetzung von Lüttich, Brüssel und Antwerpen, den Vormarsch bis Paris sowie vor allem die Schlacht bei Tannenberg] habt Ihr z[um] Teil gesehen, aber auch ungeheure Strapazen ertragen u[nd] harte Entbehrungen durchgemacht u[nd] bei dem allen viel Grauenhaftes und Furchtbares erlebt. Da wird nicht nur Euer Körper nach Ruhe und Stärkung, sondern auch die Seele oftmals nach Erfrischung lechzen. Wie wohl tut in solchen Augenblicken ein Gruß von Euren Lieben, ein klein wenig Heimatluft. Hoffentlich habt Ihr inzwischen alle mehr wie eine Nachricht von Hause erhalten, so werdet Ihr wissen, wie es da aussieht, und habt vielleicht auch das eine oder andere aus der Gemeinde erfahren.
Bisher hat Gott gnädig seine Hand über die Kämpfer aus unseren beiden Gemeinden gehalten. Von fast 120 Vaterlandsverteidigern sind, wie wir wissen, bis jetzt noch keine gefallen, freilich etwa schon 10-12 verwundet, doch zumeist leicht. Einer von ihnen ist gestern schon wieder zur Front abgerückt. Aus Hiddenhausen ist Hauptmann v. Consbruch [Oscar v. Consbruch, gefallen am 28. August 1914] und Lehrer Decius [Carl Decius, gefallen am 24. August 1914] gefallen, auch unser Amtmann [dem „Amt Herford-Hiddenhausen“ stand von 1896 bis 1922 Amtmann v.d. Schulenburg vor] hat einen Sohn, einen Freund des Prinzen Joachim [Prinz Joachim v. Preußen, geb. am 17. Dezember 1890, Sohn von Kaiser Wilhelm II.], verloren. Wer von Euch noch verwundet werden sollte, dem wünsche ich, daß er dasselbe Glück hat, wie es 3 Verwundete unter Euch schon gehabt haben, daß Ihr in eins der in Herford errichteten Lazarette oder in das von den Gemeinden unseres Amtes ausgerüstete Vereinslazarett in Schweicheln überführt werdet. [Schon gleich nach Kriegsbeginn waren mehrere große Lazarette, von Zivilärzten mit betreut, in der Stadt Herford und in unmittelbarer Nähe eingerichtet worden. Sie konnten etwa 500 Verwundete aufnehmen. „Tausende von (…) Soldaten aus ganz Deutschland fanden hier durch sechs Jahre hindurch (…) ihre Gesundheit wieder.“ (Rainer Pape, Sancta Herfordia, Herford 1979, S. 281 f.). Das hier erwähnte befand sich im sog. „Eickhof“ in Schweicheln, einem ehemaligen Gutshof, der erst 1910 von Bethel übernommen und zum Waisenkinderheim umgebaut worden war. Als diakonische Einrichtung besteht der Eickhof noch heute.]
Schönes Wetter hat uns der liebe Gott in den letzten Wochen geschenkt. Wir freuen uns dessen für die Kartoffelernte u[nd] die Landbestellung – denkt Ihr wohl daran, daß wir am Sonntag d[as] Erntedankfest feiern? – aber auch für Euch, dürfen wir noch eher hoffen, daß Ihr trocken kämpfen dürft. Freilich in den Nächten wirds schon schlimm kalt sein u[nd] mit jedem Tage kälter werden, aber damit Ihr Euch gegen die Kälte schützen könnt, arbeiten an jedem Dienstag Abend ca. 80 Frauen und Jungfrauen, um neben der Versorgung der Verwundeten Strümpfe, Leibbinden, Pulsund Ohrenwärmer für die Kämpfer da draußen herzustellen.
(Die Lippinghauser sind noch fleißiger und kommen auch Freitags noch zu diesem Zweck zusammen).
Aber nicht wahr, neben diesen leiblichen Bedürfnissen, neben den Nachrichten aus d[er] irdisch[en] Heimat habt Ihr noch anderes nötig, 1 Gruß aus d[er] himmlischen Heimat. Mein Bruder, der in der Schlacht bei Tannenberg leicht verwundet wurde [Schlacht bei Tannenberg vom 26. bis 31. August 1914; die Generäle Hindenburg und Ludendorff zerschlugen mit ihren Truppen die Zweite Russische Armee in Ostpreußen], jetzt aber wieder im Felde steht, schrieb mir vor 14 Tagen, als er gehört hatte, daß ich mich zum Feldprediger gemeldet hätte (ich bin aber abgewiesen):
„Du kannst in dieser Stellung dem Vaterland direkt 1 unglaublich großen Dienst tun, denn als Unteroff[i]z[ier], denn der Soldat, d[er] mit Gottvertrauen i[ns] Feld geht, ist auch i[m] Feuer mehr wert als ohne dasselbe. Dazu kommt die verrohende Wirkung d[es] Krieges, der mit allen Mitteln entgegengewirkt werd[en] muß, wenn wir uns[er] Schild rein bewahren wollen. D[er] Krieg bringt viele edle Eigenschaften: Kameradschaft usw. zur Entfaltung, das ist erhebend, aber bei weitem mehr wird doch d[as] Tier i[m] Menschen genährt, wenn nicht Gottes Wort seine Kraft übt“;
dem werdet Ihr gewiß auch aus eigener Erfahrung zustimmen können und darum auch diesmal gern nach Blättern greifen, die ich Euch sende u[nd] die sich nicht an das Tier im Menschen, sondern an das Ebenbild Gottes in Euch wenden.

Euer Heimatpastor Meyersieck.

Quelle: Feldpostbriefe von Pastor Johannes Meyersieck aus Oetinghausen.

Lit.: Ulrich Rottschäfer (Hg.): „Wir denken an Euch“. Feldpostbriefe eines ravensbergischen „Heimatpastors“ im Ersten Weltkrieg, Bielefeld 2011.

Signatur: LkA EKvW 4.53 (Archiv der Ev. Kg. Hiddenhausen), Nr. 958