Mobilmachung, Gadderbaum, 2. August 1914

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Als die Westfälische Zeitung am frühen Abend des 1. August 1914 die Mobilmachungs-Nachricht veröffentlichte, schrieb Otto Zähler aus Gadderbaum: „Alle gedrückte Stimmung, alle Sorge, aller Ernst wich einem frohen Ausdruck. Wie von einer grossen Last befreit atmete die Bürgerschaft auf. Die Gefahr schwebte nicht mehr über unserm Kopf, sondern sie stand vor uns. […] Die Erregung war eben eine zu grosse, standen wir doch vor der Tatsache, als Volk und Land für immer vernichtet zu werden, oder über diese Welt von Feinden die Oberhand zu behalten.”

Ernst Lohöfeners Motive sind aus Perspektiven, Lichtverhältnissen und Arrangements komponiert, Schnappschüsse waren nicht sein Metier. Die Fotografie einer kleinen Gruppe vor einem Mobilmachungs-Aushang in Gadderbaum am 1./2. August 1914 wirkt inszeniert (Foto: Ernst Lohöfener, Bielefeld).

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,49/Foto Lohöfener, Nr. 3, Bild 192.

Menschenmenge auf dem Alten Markt, Bielefeld, Ende Juli 1914

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Im Juli/August 1914 fand das öffentliche Leben Bielefelds auf den Straßen und Plätzen statt, wo Eilmeldungen diskutiert wurden. Am Alten Markt belagerten die Menschen die Redaktion des General-Anzeigers, um sich auf den neuesten Stand zu bringen.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 299; Fotos: Otto Zähler

Über Jahrzehnte hinweg und gelegentlich noch bis in die jüngste Zeit hinein haben Medien und – auch lokalgeschichtliche – Veröffentlichungen die Existenz einer verbreiteten Kriegsbegeisterung in Deutschland einschließlich Bielefelds 1914 behauptet. Gestützt auf Zeitzeugenerinnerungen, Tagebücher und jüngst auch Abiturprüfungsunterlagen etc., wird dieses inzwischen differenzierter gesehen. Auch wenn der letzte größere kriegerische Konflikt (1870/71) seinerzeit mehr als 40 Jahre zurücklag, musste doch – u. a. wegen der Erfahrungen aus den Kolonialkriegen – jeder wissen, was ein Krieg angesichts des Potentials der Konfliktparteien bedeuten musste: Tod und Trauer, Verwundung und Verstümmelung wohl in jeder Familie und Nachbarschaft. Insofern war es kaum eine echte Kriegseuphorie, sondern eher eine nationale Entschlossenheit und patriotische Begeisterung in der Hoffnung auf einen schnellen Feldzug und in der Überzeugung, einen unausweichlich, aber auf jeden Fall gerecht erscheinenden Krieg zu führen.

Otto Zähler beschreibt die Situation im Sommer 1914, als nach dem Attentat von Sarajewo permanent einlaufende Nachrichten über Ultimaten und Vermittlungsversuche der europäischen Diplomatie die Bielefelder Bevölkerung verwirrten und erregten, nachdem sie das Schützenfest (25. bis 27. Juli 1914) schon mit „gemischten Gefühlen“ gefeiert hatte. Das öffentliche Leben verlegte sich „von der Wohnung auf die Straße und zwar dort, wo man möglichst schnell und gut über alle Vorgänge unterrichtet wurde“. Menschenmengen umlagerten Telegrafenämter und Zeitungsredaktionen, um Eilnachrichten und Extrablätter zu ergattern. Der Bielefelder General-Anzeiger bestätigte um die Monatswende Juli/August die verhaltene Reaktion in der Bevölkerung. Am 1. August 1914 berichtet die Zeitung nach der Verkündung des Kriegszustands: „Von lauter, geräuschvoller Begeisterung war nicht viel zu merken. Jeder einzelne war sich des Ernstes der Stunde bewusst. […] Fast wie eine Erlösung hatte die Botschaft gewirkt, eine Erlösung aus quälenden Zweifeln und drückender Ungewissheit. Der Alpdruck war wenigstens gewichen, wenn auch nicht alle Zweifel beseitigt. […] Große Stunden sind es, die wir jetzt miterleben, Stunden voll fürchterlichen Ernstes, aber voll erhabener Weihe, in denen die deutsche Kraft […] sich wieder einmal sammelt, selbstbewußt und leidenschaftslos, einmütig in dem Gedanken, zum Segen des Vaterlandes alles zu opfern, komme, was kommen mag.“ Und für den Mobilmachungstag hält der General-Anzeiger am 2. August 1914 fest: „Eine furchtbare Schwüle lastete am Sonntagabend über der Stadt. Dumpf und bleiern. Es lag etwas in der Luft. Ein gedrücktes Gefühl hatte einen jeden beschlichen. […] Keine Nachricht. Drückendes Schweigen. Die Ruhe vor dem Sturm … Mit einem Mal war es da, das Unabänderliche. Der Augenblick, in dem das Rad der Zeit still zu stehen schien. Es kam wie eine Erlösung, wie eine Befreiung von quälenden Zweifeln. […] Aber die Begeisterung ist nicht laut und geräuschvoll. Sie ist innerlicher, leuchtet aus den Blicken der Einzelnen entgegen. Darin liegt Kraft und Mut.“

Lit.: Jochen Rath, Der Kriegssommer 1914 in Bielefeld – Otto Zählers „Illustrierte Kriegschronik eines Daheimgebliebenen“, in: Ravensberger Blätter 2011, Heft 1, S. 1-17

Zuschusszusage für eine Studienreise nach Frankreich, Bielefeld, 29. Juli 1914

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StArchBI_103_4_B18_Becker_Heinrich_bFriedenshoffnungen, Naivität oder bürokratische Routine oder eine Mischung all dessen? Noch am 29. Juli 1914 genehmigte der Magistrat Bielefelds dem Lehrer Dr. Heinrich Becker (1881-1972) eine Reisebeihilfe für einen Studienaufenthalt in Frankreich im August/September. Becker, der mit einer gebürtigen Französin verheiratet und später Leiter des Kunsthauses war, reiste nicht: „Infolge der am 2/8 14 eingetreten Mobilmachung erledigt. z.d.A.“

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,4/Personalakten, Nr. B 18

Friedenskundgebungen in Ostwestfalen, Juli / August 1914

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Die Mobilmachungs-Nachricht fungierte wie ein Ablassventil, das den Überdruck der Ungewissheit freisetzte, Klarheit über die neue, ernste Lage verschaffte und eine Kriegsentschlossenheit, aber keine Kriegseuphorie produzierte. Wie es in den Köpfen derer aussah, die den Straßen und den Plätzen fernblieben, kann nicht geschildert werden. Die Ventilfunktion, die in Berlin in ein „Na endlich!“ oder „Also doch!“ mündete, bestätigt eine Schulchronik der 1. Bürgerschule (Osning-/Vogelruthschule) in Brackwede. Rektor Wilhelm Behrens beschreibt den Stimmungswandel von der Julikrise zur Mobilmachung, als zuerst mit Revolution in Brackwede gedroht wurde, falls es einen Krieg geben sollte, dann aber „am Tage der Mobilmachung sang man im sozialdemokratischen Lokale Vaterlandslieder! […] und erleichtert atmete alles auf, als am 1. August nachmittags 6 Uhr die Kunde von der befohlenen Mobilmachung hier bekannt wurde.“

Sozialdemokratische Friedenskundgebungen sollten bis in den August andauern. Vor 7.000 Zuhörern machte der Volkswacht-Redakteur Carl Severing (1875-1952) am 28. Juli 1914 in Bielefeld die Folgen klar, wenn die Bündnissysteme griffen: „Millionen von Volksgenossen werden dann zur Schlachtbank geführt“.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Quelle: Volkswacht v. 29. Juli 1914

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 43

Annonce eines Bielefelder Orthopäden, 27. Juli 1914

Bielefelder General-Anzeiger v. 27. Juli 1914Fehleinschätzungen über die Krisenentwicklung und Kriegstaktiken waren verbreitet. Die Anzeige eines Bielefelder Orthopäden offenbart den doppelten Irrglauben, dass sich der Krieg regional einhegen ließ (von der Reichsleitung gewünschte „Lokalisierung“) und als Feldzug geführt werde – es wurde ein Welt-Stellungskrieg.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Quelle: Bielefelder General-Anzeiger v. 27. Juli 1914

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 5

Foto „Überlandflug nach Serbien“, Manöver in Senne, 26.7.1914

001_0002Atelier-Fotografie vom Truppenübungsplatz Senne, 26. Juli 1914 (Foto: Kreisarchiv Paderborn)

„Wer wir wir fidel gewest,
Für den ist die Senne
das schönste Nest.“

„26/7.14
Überlandflug
nach Serbien“

Brennt noch so heiß
der Sennestrand,
Nichts trennet unser
Freundschaftsband.“

Der in den 1890er Jahren errichtete Truppenübungsplatz in der Senne bei Paderborn stellte an die Soldaten „höchste Ansprüche“ und war entsprechend gefürchtet. Viele ließen sich am Ende der Manöverzeit fotografieren. Ein offenbar florierender Markt, denn es gab mehrere Fotografen in Sennelager. Am 26. Juli 1914 stellte der Fotograf W. Metze diese Abbildung mit den drei „fliegenden“ Soldaten her. Zu den Requisiten gehörte auch das Schild „Überlandflug nach Serbien“, Indiz für propagandistisch gesteuerte Kriegsbegeisterung.

Bereits am Tag darauf erhielten alle in der Senne übenden Truppen den Befehl, wegen „drohender Kriegsgefahr“ den Übungsplatz zu verlassen und in die Heimatstandorte zurückzukehren. Einer der drei abgebildeten Soldaten schickte das Erinnerungsfoto am 29. Juli seiner Schwester und ihrem Mann nach Solingen: „teile Euch eben mit, daß wir diese Nacht abgerückt sind aus der Senne, es ist sehr schlimm gestellt.“ Von kriegerischer Begeisterung also keine Spur.

(Wilhelm Grabe, Kreisarchiv Paderborn)

Rückkehrer vom Schützenfest, Rathausstraße, Bielefeld, Juli 1914

Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 299

Die permanent einlaufenden Nachrichten über UItimaten und Vermittlungsversuche der europäischen Diplomatie elektrisierten und verunsicherten. Das Schützenfest (25. bis 27. Juli 1914) war mit „gemischten Gefühlen“ gefeiert worden, wie der private Kriegschronist Otto Zähler festhielt.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 299; Foto: Otto Zähler

Lit.: Jochen Rath, Der Kriegssommer 1914 in Bielefeld – Otto Zählers „Illustrierte Kriegschronik eines Daheimgebliebenen“, in: Ravensberger Blätter 2011, Heft 1, S. 1-17

Keine Spur von Kriegsgefahr … – Jahresfest im Rettungshaus Schildesche am 19.7.1914

Quelle 1914Das Bielefelder Rettungshaus Schildesche für „verwahrloste“ Kinder und Jugendliche feierte im Juli 1914 sein Jahresfest und eine Grundsteinlegung. Ein Zeitungsbericht schilderte ausführlich die Feier an einem schönen Sommertag, bei der über diakonische Arbeit unter „arbeitslosen und entgleisten Deutschen“ in Paris und über christliche Mission in Deutsch-Ostafrika berichtet wurde. Von einer Kriegsgefahr war nirgends die Rede.

Am 19. Juli 1914 wurde das 62. Jahresfest
gefeiert. Pastor Gottlob Schrenk [1879-1965] von der
Theol[ogischen] Schule in Bethel hielt die Festpredigt
über Psalm 150. An den Festgottesdienst
schloß sich an die feierliche Grundsteinlegung
eines neuen Anstaltsgebäudes. Über den
Zweck des neuen Hauses und die Feier selbst
orientiert der beigefügte Zeitungsausschnitt
aus Nr. 170 der „Westfäl[isch-]Lippischen Volkszeitung“
vom 23.7.1914.

Signatur: Chronikbuch des Rettungshauses Schildesche, Archiv des Ev. Johanneswerks