



Im Juli/August 1914 fand das öffentliche Leben Bielefelds auf den Straßen und Plätzen statt, wo Eilmeldungen diskutiert wurden. Am Alten Markt belagerten die Menschen die Redaktion des General-Anzeigers, um sich auf den neuesten Stand zu bringen.
(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)
Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 299; Fotos: Otto Zähler
Über Jahrzehnte hinweg und gelegentlich noch bis in die jüngste Zeit hinein haben Medien und – auch lokalgeschichtliche – Veröffentlichungen die Existenz einer verbreiteten Kriegsbegeisterung in Deutschland einschließlich Bielefelds 1914 behauptet. Gestützt auf Zeitzeugenerinnerungen, Tagebücher und jüngst auch Abiturprüfungsunterlagen etc., wird dieses inzwischen differenzierter gesehen. Auch wenn der letzte größere kriegerische Konflikt (1870/71) seinerzeit mehr als 40 Jahre zurücklag, musste doch – u. a. wegen der Erfahrungen aus den Kolonialkriegen – jeder wissen, was ein Krieg angesichts des Potentials der Konfliktparteien bedeuten musste: Tod und Trauer, Verwundung und Verstümmelung wohl in jeder Familie und Nachbarschaft. Insofern war es kaum eine echte Kriegseuphorie, sondern eher eine nationale Entschlossenheit und patriotische Begeisterung in der Hoffnung auf einen schnellen Feldzug und in der Überzeugung, einen unausweichlich, aber auf jeden Fall gerecht erscheinenden Krieg zu führen.
Otto Zähler beschreibt die Situation im Sommer 1914, als nach dem Attentat von Sarajewo permanent einlaufende Nachrichten über Ultimaten und Vermittlungsversuche der europäischen Diplomatie die Bielefelder Bevölkerung verwirrten und erregten, nachdem sie das Schützenfest (25. bis 27. Juli 1914) schon mit „gemischten Gefühlen“ gefeiert hatte. Das öffentliche Leben verlegte sich „von der Wohnung auf die Straße und zwar dort, wo man möglichst schnell und gut über alle Vorgänge unterrichtet wurde“. Menschenmengen umlagerten Telegrafenämter und Zeitungsredaktionen, um Eilnachrichten und Extrablätter zu ergattern. Der Bielefelder General-Anzeiger bestätigte um die Monatswende Juli/August die verhaltene Reaktion in der Bevölkerung. Am 1. August 1914 berichtet die Zeitung nach der Verkündung des Kriegszustands: „Von lauter, geräuschvoller Begeisterung war nicht viel zu merken. Jeder einzelne war sich des Ernstes der Stunde bewusst. […] Fast wie eine Erlösung hatte die Botschaft gewirkt, eine Erlösung aus quälenden Zweifeln und drückender Ungewissheit. Der Alpdruck war wenigstens gewichen, wenn auch nicht alle Zweifel beseitigt. […] Große Stunden sind es, die wir jetzt miterleben, Stunden voll fürchterlichen Ernstes, aber voll erhabener Weihe, in denen die deutsche Kraft […] sich wieder einmal sammelt, selbstbewußt und leidenschaftslos, einmütig in dem Gedanken, zum Segen des Vaterlandes alles zu opfern, komme, was kommen mag.“ Und für den Mobilmachungstag hält der General-Anzeiger am 2. August 1914 fest: „Eine furchtbare Schwüle lastete am Sonntagabend über der Stadt. Dumpf und bleiern. Es lag etwas in der Luft. Ein gedrücktes Gefühl hatte einen jeden beschlichen. […] Keine Nachricht. Drückendes Schweigen. Die Ruhe vor dem Sturm … Mit einem Mal war es da, das Unabänderliche. Der Augenblick, in dem das Rad der Zeit still zu stehen schien. Es kam wie eine Erlösung, wie eine Befreiung von quälenden Zweifeln. […] Aber die Begeisterung ist nicht laut und geräuschvoll. Sie ist innerlicher, leuchtet aus den Blicken der Einzelnen entgegen. Darin liegt Kraft und Mut.“
Lit.: Jochen Rath, Der Kriegssommer 1914 in Bielefeld – Otto Zählers „Illustrierte Kriegschronik eines Daheimgebliebenen“, in: Ravensberger Blätter 2011, Heft 1, S. 1-17