Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 5.12.1914

Vortrag von Prof. Lüttgert-Halle in der Altstädter Kirche über den Krieg und die sittlich religiöse Erneuerung Deutschlands. Er betonte daß in Familie, Schule, Staat, Gesellschaft und Kirche Arbeit zu einer der deutschen Eigenart entsprechenden (Gestaltung) dieser Kriege des Volkslebens eintreten müsse welche zur wahren christlichen Freiheit nicht Ungebundenheit führt. Warum sind wir unbeliebt in der Welt, weil die straffe Heeres- und Beamtenzucht leicht zur Grobheit wird, wenn sie nicht in Schlaffheit umschlagen will. Umgestaltung unserer Stellung zur Sozialdemokratie, da diese in vaterländischer Betätigung nicht versagt hat.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 26/05.12.1914

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Theologiestudent Prüßmann wird an die Westfront verlegt

Nach einer zehnwöchigen Ausbildung beim 1. Westfälischen Pionierbataillon Nr. 7 in Köln-Riel kam Karl Prüßmann Mitte November 1914 an die Westfront.

Feldpostkarte an Pastor Samuel Jaeger in Bethel

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Cöln-Riel, 17.11. 14.

Hurrah Herr Pfarrer!

Heute um 6 Uhr rücken wir ins Feld!
Ihnen sowie Fräulein Lütgert und den übrigen Bekannten ein klingendes Heiloh zum Abschied

Ihr Waldmensch

Absender im Folgenden:
Karl Prüßmann
1. Westfälisches Pionierbataillon Nr. 7
14. Division 7. Armeekorps 3. Feldkompanie

Quelle: LkA EKvW Bestand 13.99 (Kirchliche Hochschule Bethel), Nr. 1250/1

Kriegsalltag in einer Einrichtung der Fürsorgeerziehung 1914

Rettungshaus Schildesche,Kriegschronik Bellingrodt, 1914 - Johanneswerk

Das 1852 in Schildesche bei Bielefeld gegründete „Rettungshaus Schildesche“ war eine evangelische Fürsorgeerziehungsanstalt, in der 1914 etwa 200 Kinder und Jugendliche lebten. Seit 1875 führte der jeweilige Anstaltsleiter eine Chronik, in der über die wesentlichen Ereignisse des Jahres berichtet wurde. Die Eintragungen des Jahres 1914 stammen aus der Feder von Pastor Paul Bellingrodt (1875-1951), der die Anstalt von 1912 bis 1923 leitete.

Pastor Paul Bellingrodt kam 1909 als stellvertretender Leiter in das Rettungshaus Schildesche. Da zum Rettungshaus auch eine Präparandenanstalt gehörte, in der Jungen mit Volksschulabschluss auf den Besuch des Lehrerseminars vorbereitet wurden, verpflichtete er sich, innerhalb von zwei Jahren die Rektorprüfung abzulegen, um dann die Leitung von Rettungshaus und Präparande übernehmen zu können. 1912 wurde er zum Leiter der gesamten Anstalt berufen. 1924 verließ er das Rettungshaus und wurde Direktor des „Evangelisch-kirchlichen Erziehungsvereins der Provinz Westfalen“ sowie Leiter der Ev. Jugendhilfe Schweicheln.

Den transkribierten Text schrieb er rückblickend am 11. November 1914. In den ersten Sätzen klingen die weit verbreitete nationale Begeisterung bei Ausbruch des Krieges und der Siegesrausch der ersten Kriegswochen an. Wie viele Deutsche war Paul Bellingrodt davon überzeugt, dass das Deutsche Reich einen legitimen Verteidigungskampf „gegen eine Welt von Feinden“ führte. Er stand damit im Einklang z.B. mit den deutschen Hochschullehrern, die im Oktober 1914 nahezu geschlossen in einer gemeinsamen Erklärung den Ersten Weltkrieg als „Kampf für Deutschlands Freiheit“ und „für die ganze Kultur Europas“ rechtfertigten. Für den Theologen Bellingrodt folgte daraus scheinbar selbstverständlich, dass die deutschen Siege eine Gabe Gottes waren.

Im Herbst 1914 war jedoch der schnelle Vormarsch der deutschen Truppen an mehreren Frontetappen bereits vorbei und der verlustreiche Stellungskrieg begann. So waren am 10. November 1914 – einen Tag vor Bellingrodts Chronikeintragung – über 2.000 junge Soldaten getötet worden, die versucht hatten, eine Hügelkette nahe der belgischen Ortschaft Langemarck zu erobern. Die meisten von ihnen waren Reservisten und Kriegsfreiwillige gewesen. Pastor Bellingrodts Ahnung, dass auch viele ehemalige Zöglinge vielleicht bereits „den Heldentod erlitten“ hatten, hatte also durchaus reale Hintergründe. Einen Schwerpunkt in Bellingrodts kleiner Jahreschronik bilden die Schilderungen christlich geprägter Rituale, mit denen im Rettungshaus der Kriegsverlauf begleitet wurde. Siege wurden umgehend gefeiert, Tote gemeinsam betrauert und in der „Kriegsbetstunde“ die Gemeinschaft mit den kämpfenden Soldaten betont. Als einzige direkte Auswirkung des Krieges auf den Alltag im Rettungshaus Schildesche nennt Pastor Bellingrodt den verkürzten Schulunterricht. Ein im Juli 1914 begonnener Neubau konnte fortgesetzt werden.

(Bärbel Thau, Archiv des Ev. Johanneswerks Bielefeld)

Transkription:

„Der Weltkrieg 1914
Am Nachmittag des 1. August 1914 erging durch alle deutschen Lande die Mobilmachungsorder unseres Kaisers, der sein Volk notgedrungen zu den Waffen rief wider eine Welt von Feinden. Wie dieser Ruf überall ein begeistertes Echo und ein wie nie geeintes Volk fand, wie dann die ersten Kriegswochen im Westen und Osten den alten Ruhm der deutschen Waffen erneuerten und Gott uns einen Sieg um den anderen gab, das steht in den Blättern der Weltgeschichte verzeichnet. Hier soll darum nur vermeldet werden, inwiefern die kriegerischen Ereignisse in unser Anstaltsleben eingriffen. 4 unserer Angestellten mussten alsbald in den Dienst des Vaterlandes treten, nämlich 2 Lehrer und 2 Brüder. (…) Wie viele unserer alten Zöglinge mögen im Felde stehen, wie viele schon den Heldentod fürs Vaterland erlitten haben! Gott weiß es. Nur von wenigen haben wir Kunde.

Unsere beiden Brüder sind, soviel wir wissen, noch unverletzt, obwohl sie schon oft in Lebensgefahr schwebten. Lehrer Böckstiegel erhielt in der Nähe von St. Quentin Ende August einen Fleischschuss in den Unterschenkel und durfte sich eine Zeit lang in seinem Elternhause erholen; er wird wohl bald zur Front zurückkehren können. (…)
Der Anstaltsbetrieb wurde unter Verkürzung des Stundenplanes aufrechterhalten, da sowohl der Anstaltsleiter wie auch der Hausvater und der verheiratete Bruder auf Antrag für unabkömmlich erklärt wurden.

Welchen Jubel jede Siegesnachricht in der Anstalt hervorrief, braucht kaum gesagt zu werden. Manchmal rief die Glocke zu ungewöhnlicher Zeit die Anstaltsgemeinde zusammen, dass sie ein eben eingelaufenes Siegestelegramm vernehme und Gott dafür die Ehre gebe. Wie begeistert und kräftig erklang dann jedes Mal die „Wacht am Rhein“ und „Nun danket alle Gott“. Aber auch Trauerkunden wurden bekannt gegeben, so in der Morgenandacht des 10. November 1914 die schmerzliche Nachricht, dass ein Sohn des früheren Anstaltsleiters, der Landesbauinspektor Walter Mangelsdorf, vor Verdun am 7.11.1914 den Heldentod erlitten habe, nachdem er wenige Wochen zuvor mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet war. Dem Gefallenen ist auch die Anstalt zu besonderem Dank verpflichtet, denn sowohl der Umbau unseres Mädchenhauses im Jahre 1908 wie auch das neue Pfarrhaus sind sein Werk.

Jeden Mittwoch- und Samstagabend versammelt sich die Anstalt zu einer Kriegsbetstunde; da werden die Kriegsereignisse ins Licht des Wortes Gottes gerückt, die Kriegslage auseinander gesetzt, Briefe aus dem Felde verlesen und zum Schluss wird im Gebet des Vaterlandes und des Kaisers gedacht, und insbesondere auch unserer Freunde im Feld. Für sie ist jedes Mal die Kollekte bestimmt, aus deren Erträgen ihnen Liebesgaben übersandt werden. Mancher Dankesgruß hat uns schon bewiesen, wie viel Freude wir damit machen.

Trotz der kriegerischen Zeiten ist unser Neubau rüstig fortgeschritten, sodass er Ende Oktober 1914 gerichtet werden konnte.“

Signatur: Archiv des Ev. Johanneswerks, Re/Schild – 5

„Bethels Kriegsdienst“, Bote von Bethel Nr. 79 (1914)

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„Bethels Kriegsdienst“. Auszug aus dem „Boten von Bethel“, Herbst 1914.

Das Mitteilungsblatt „Bote von Bethel“ informierte vierteljährlich die Öffentlichkeit und vor allem die Spender über Bethel. Der Autor dieser Ausgabe ist ein Mitarbeiter Bethels, der Name ist jedoch unbekannt. Der erste Artikel nimmt Bezug auf das Mobilmachungsplakat. Im Text wird die Kriegsbegeisterung deutlich. Genau formuliert werden die Erwartungen, die an die Menschen mit und ohne Behinderung gerichtet werden.

Signatur: Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Bote von Bethel Nr. 79, 1914

Kirche, Schule und Weltkrieg, 1914

Minden, 9. September 1914, Königliche Regierung, Abteilung für Kirche und Schulwesen Nr. 2287 II. N.M.:

Im Unterricht sind die Ereignisse unserer großen Zeit jedesmal mit den Schülern zu besprechen. Es ist ihnen von unserer gerechten Sache, von unserem festen Gottvertrauen, von deutscher treuer Pflichterfüllung und Opferwilligkeit, von deutschem Mut und deutscher Tapferkeit zu erzählen, damit sie in Herz und Gemüt zu gleichen Tugenden angeregt und begeistert werden. Vaterländische Gedichte und Lieder mögen den Unterricht wie die Spiele beleben und immer wieder vaterländische Begeisterung bei den jugendlichen Gemütern wecken und nähren.

Signatur: LkA EKvW 4.80 (Schule und Weltkrieg)

Tagebuch Hermann Bornemann, 21.8.1914

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Tagebuch Hermann Bornemann, 21.8.1914 (Ausschnitt)

Biwack auf der Straße bei Langen, Richtung Brüssel, den 21. August

½ 5 wecken, Kaffee kochen, Pferde tränken. Haben alle guten Hunger. Durch [Seite 16] kollosalen Staub gestern sehen alle, Menschen und Pferde, grau und verdreckt aus. Wir reinigen uns erst einmal persönlich an einem Loch. Einige Flieger ziehen über uns weg. Die Kaffeebohnen wurden heil gekocht heute Morgen, da keine Mühle zu haben war. Schmeckte nicht gut, doch es ging, das Wasser war ja heiß. Der Chef ist recht schlechter Laune, hat schon viele Leute angestaucht. Ein Kalb wir[d] geschlachtet, einige Kartoffeln sind auch bald gefunden und ½ 1 ist ein gutes Essen fertig. Liegen bis ½ 2 still und gestern dieser kolossale Marsch. 2 Uhr Abmarsch Richtung Brüssel. Schreibe erst noch zwei Karten. Die Feldpost treffen wir wohl mal; dann werden wir die Sachen los. Kommen an einem brennenden Gehöft vorbei; einige tote Pferde liegen dort. Passieren noch einige schöne Dörfer und Städte. Leider hat keine eine Karte; man weiß nicht, wie die Ortschaften heißen. Beziehen in einem herrlichen Schloß Massenquartier; ich mit den Pferden im Marstall. Wunderbar eingerichtet. Richtiger Park. In einer Geschirrkammer ganze Haufen Sattelzeug. Starke Sicherung, da in dem Nachbargehöft in voriger Nacht eine Husaren-Patrouille hingeschlachtet ist. Auch dieses Gebäude brennt noch. Die ganze Familie ist erschossen. Heute die Gräber im Garten gesehen. Dies Schloß und Dorf heißt Le Usine Mechelin. Wetter war heute schön; die Straßen sind mit mächtigen Bäumen bestanden, vier Reihen. Überall große Landgüter und Schlösser. Viel Vieh läuft hier herrenlos herum. Ich lege mich im Stalle schlafen. Einige Infanteristen [Seite 17] schlafen auch hier; jeder die Waffe zur Hand.

Quelle: Tagebuch von Hermann Bornemann (Herford). Privatbesitz. Leihgabe an das Gemeindearchiv Herzebrock-Clarholz.

Tagebuch Hermann Bornemann, 20.8.1914

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Tagebuch Hermann Bornemann, 20.8.1914 (Ausschnitt)

Brauerei Hamoul [vermutlich Hognoul oder Hannut], den 20. August 1914

½ 5 wecken, 7 ½ Abmarsch. Schöne Gegend, breite Straßen. Viel Getreide und Zuckerrüben; auch große Flächen Luzerne und Klee. Saubere Häuser;  Leute auch anscheinend besser gesinnt als in Lüttich. Sie grüßen fast alle. Großer Verkehr der schweren Lastautos. Von ½ 11 ab ziemlich anstrengender [Seite 15] Marsch sämtlicher Kolonnen durch 4 – 5 Dörfer ziemlicher Größe. Viel Ziegeleien, alles aber Feldbrand. Abends ziemlich schlechte Wege. Das Reitpferd von Unt[ero]ff[i]iz[ier] Vorderbrügge fohlt ab. Im Dorf Langen [Landen] kurzer Halt. Ich kaufe einige Taschentücher; hier ist noch alles bewohnt. Wir marschieren bis 11 Uhr, es ist schon stockdunkel. Kein Licht darf gemacht werden. Endlich halt; nun sind wir wieder auf einer großen Straße. Einige Wagen hatten sich in den elenden Wegen festgefahren und müssen noch gebracht werden. Ein paarmal reißt die Kol[onne] ab und war es schwer, wieder anzuschließen in der Finsternis. Alles muß alarmbereit bleiben, da feindl[iche] Infanterie und Freibeutertrupps hier in der Gegend ihr Unwesen treiben sollen. Es ist ziemlich kalt. Von 2 bis 4 bin ich mit auf Wache, auch Lt. Hennerici [Hennerrici] ist mit draußen und kontrolliert die Leute. Alles bleibt jedoch still. Nur die Artillerie ist am Reden weiter vor uns. Gegen Morgen fängt es an zu regnen; es ist ungemütlich. L[eutnan]t Puwelle spendierte mir ein Butterbrot, sonst war er aber schlechter Laune. Unser Essen ist recht sparsam, die Leute aber doch guter Dinge; nur werden die Leistungen der Mannschaften wenig anerkannt. Heute hat es den ganzen Tag kein Essen  gegeben, auch keine Zeit, um etwas Kaffee kochen zu können.

Quelle: Tagebuch von Hermann Bornemann (Herford). Privatbesitz. Leihgabe an das Gemeindearchiv Herzebrock-Clarholz.

Aus dem Tagebuch von Hedwig Stegemann, Herford, 20.8.1914

Stegemann Krieg, welch schreckliches Wort

Aus dem Tagebuch von Hedwig Stegemann, Herford, August 1914 (Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv Herford, Slg. E 521)

Krieg, welch schreckliches Wort. Am 1. Aug. war der erste Mobilmachungstag. Am andern Tage reiste Herr Dieterle ab. Die ersten Tage stand natürlich ganz Herford auf dem Kopfe, überall verweinte Gesichter, Tränen. Am Bahnhof dagegen, wo die Soldaten durchfuhren, war die Begeisterung groß. Großartige Sprüche standen an den Zügen: Russen, Franzosen und Serben, alle müssen sie sterben, die Deutschen sollen es erben. Russische Eier, französischer Sekt, Deutsche Hiebe, wie das wohl schmeckt. Die Serben sind alle Verbrecher, ihr Reich ist ein finsteres Loch, die Russen sind nicht viel besser, aber Keile kriegen sie doch.
Der Schönste von allen war wohl: Denn alle Schuld rächt sich auf Erden, Frankreich soll westfälisch werden.

Montag kamen 1400 gefangene Belgier durch. Der ganze Perron stand natürlich voll. Hinterlistig sahen die Kerls aus.

Unser Krankenkursus ist jetzt auch glücklich beendet, in den nächsten Tagen sollen ja Verwundete kommen. Als wir vorgestern auf dem Schützenberge waren, wurden schon Betten aufgestellt.

Gestern Nachmittag wollten Mutter und ich Frau Fröhlich besuchen, da sie aber nicht zu Hause war, gingen wir zu Schierbaums. Da mögen Grete Müller nett die Ohren geklungen haben. Ich freue mich jetzt, daß ich sie los bin, etwas gewöhnlich war sie doch nur.

Quelle: Das Tagebuch der Hedwig Stegemann aus Herford im Ersten Weltkrieg (1.1.1914-10.5.1918)

Signatur: Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv Herford, Slg. E 521 (Transkription C. Laue)

Foto „Kriegszug Warburg – Altenbeken – Paris“, 20.8.1914

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„Kriegszug Warburg – Altenbeken – Paris“, 20.8.1914 (Foto: Kreisarchiv Paderborn/ Heinrich Müller)

Im Sommer 1914 erwarteten die meisten Deutschen, dass der Krieg innerhalb weniger Wochen siegreich beendet sein würde. Als sich das Eisenbahn-Personal am 20. August 1914 vor dem „Kriegszug Warburg – Altenbeken – Paris“ fotografieren ließ, waren die deutschen Aufmarschpläne aber bereits ins Stocken geraten.

(Wilhelm Grabe, Kreisarchiv Paderborn)

Tagebuch Hermann Bornemann, 19.8.1914

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Tagebuch Hermann Bornemann, 19.8.1914 (Ausschnitt)

Biwack auf der Straße in Meelen [Melen], den 19. August

Wir kamen gestern an einem kleinen Fort vorbei, welche auch total in Trümmern lag; war nur noch ein Schutthaufen. ½ 5 auf, etwas Kaffee, Essen ist knapp. 6 Uhr Abmarsch in Richtung Lüttich. Klares, doch ziemlich kaltes Wetter. In Lüttich selbst mächtige Straßenzüge, schöne Bauwerke, viel Verkehr. Die große Brücke über die Maas ist gesprengt. Etwas weiter ist von den großen Lastkähnen eine Schiffsbrücke gebaut; dort fahren auch wir rüber. Mächtige Steigungen sind in der Stadt. Stellenweise fast alle Fensterscheiben entzwei. Wie gesagt wird, sollen viele Vergiftungen an unseren Truppen in den ersten Tagen vorgekommen sein. Hinter Lüttich mehrere Zechen. Bewohner sind zum Teil Wallonen, ein kleiner Teil Deutsche. Viele große Denkmäler. Hinter der Stadt viel Verwüstungen unserer Artillerie. Weiter nach Hannuit. Es ist wieder sehr heiß geworden. Gend[armerie]-Wachtm[eister] [Seite 14] Müller, welcher zu uns kommandiert ist und mit welchem ich mich gut angefreundet habe, geht mit mir in ein Haus, wo wir etwas essen. Die Leute  bieten uns Wein an und trinken erst selbst davon. Das ist ihnen schon zur Gewohnheit geworden, da man ihnen doch nie trauen kann. Auch hier sind alle Fenster mit Inf[anterie]-Kugel[n] gespickt, keins mehr ganz heil. Die Straßen sind hier alle mit Steinen gepflastert. In einer Brauerei Halt; die Pferde stehen unter Bäumen; wir können, außer einer Wache, in dem Hause schlafen. Offizierspferde in gute Stallungen. Einige Pferde werden hier requiriert. Einige Säcke mit Malzzucker finden wir vor und werden verteilt. Leute sind nicht mehr hier. Zirka 25 Hühner müssen dran glauben und giebt es in den Gruppen eine schöne Suppe. In einer Sektion haben sie die Tiere gekocht, ohne sie erst auszunehmen. Die Suppe soll nicht gut gemundet haben. Unser Lager ist mäßig. Scharfe Sicherung, da wir am Schluß der Staffel marschieren. In der Ferne Kanonendonner; ich schlief bald ein, bin rechtschaffen müde.

Quelle: Tagebuch von Hermann Bornemann (Herford). Privatbesitz. Leihgabe an das Gemeindearchiv Herzebrock-Clarholz.

Tagebuch Hermann Bornemann, 18.8.1914

Biwack auf der Straße in Verviers, den 18. August
½ 6 tränken und füttern. ½ 7 fertig machen. Das Wetter ist etwas besser; der Regen hat nachgelassen. Hier und da bieten uns die Einwohner sogar eine Tasse Kaffee an. Sprechen auch zum Teil gut Deutsch. An der Bahn entladen und neue Ladung empfangen. Tüchtige Arbeit. Mittags kosteten und aßen wir im Wartesaal 1. Klasse. Wie sieht hier alles aus! Alles kurz und klein, sieht ganz toll [im Sinne von: verrückt] aus. 4 Uhr Abmarsch über Herve, total entzwei geschossen, nur die Kirche steht noch zum Teil. Alle Häuser sind ausgebrannt. Zeug usw. liegt in Haufen auf den Straßen umher. Kein Einwohner mehr drin. Hier ist unsere Inf[anterie] von den Einwohnern beschossen. Eine Menge der Zivilisten sind dann in der Wiese füsiliert [erschossen worden]. [Unleserlich] schießt in ein Haus; er behauptet, es sei ein Mann mit Gewehr im Anschlag [Seite 13] drin gewesen. Kommen durch Meelen [Melen]. Kein Haus mehr ganz; nur noch schwarze Ruinen. Zwei Radfahrer, zivil, wollen schnell an uns vorüber. Ein Inf[anterie]-Bahnposten schießt drauf. Da machen sie schnell kehrt. Auch hier viel Industrie, besonders Bergwerk. In einem Garten sind soeben einige Kameraden bestattet. Es waren schwer Verwundete; sie sind in voriger Nacht getötet. Die Franktireus [Freischärler, Partisanen] hatten ihnen die Kehle durchgeschnitten. Um 11 ½ Uhr beziehen wir Biwack auf der Dorfstraße. Hier spricht alles Französisch. Ich lege mich mit meinem Woylach [Satteldecke] auf einen Wagen, der mit Brot beladen ist; schlechte Lage, auch ist es ziemlich kalt diese Nacht.

Quelle: Tagebuch von Hermann Bornemann (Herford). Privatbesitz. Leihgabe an das Gemeindearchiv Herzebrock-Clarholz.

Tagebuch Hermann Bornemann, 17.8.1914

Eupen, den 17. August
4 bis 6 Stalldienst. Im Stalle fanden wir Wachtmeister Erpenbeck ziemlich krank vor. Anscheinend war ihm der gestrige Abend nicht gut bekommen und der Kopf ziemlich schwer. 6 Uhr alles abmarschiert auf den Parkplatz, den Wachtmeister hatten wir mit Mühe mitbekommen. Es regnet seit dieser Nacht stark und läßt der Staub etwas nach. Riesige Militärkol[onnen] auf allen Straßen; welch‘ ein Betrieb! ½ 12 Abmarsch der Kol[onne] nach Verviers. 12:50 über die Grenze, Karabinerschützen sind eingeteilt. Viel geschossene Häuser und Gehöfte. Landschaftlich schöne Gegend. Kommen an einem Tunnel vorbei. Hier hatten die Belgier 16 schwere Lokomotiven drin aufeinander fahren lassen. In kurzer Zeit hatten unsere Pioniere und Eisenbahner die Strecke wieder frei; die Kessel der Maschinen liegen vor dem Tunnel. Viel Industrie hier, alles steht aber leer. In Verviers, 73.000 Einwohner, viele Häuser geschossen, ganze Reihen mit Kugeln gespickt. Die Menschen machen einen recht verlebten [?] Eindruck. Aus allen Fenstern weiße Tücher, die Türen sind mit Kreide beschrieben: ‚Schonen;  gute Leute, geben alles.‘ usw. In der inneren Stadt viel schöne Gebäude und herrliche Kirchen, Plätze und Straßen. Einwohner ruhig K[omman]d[eu]r wollte [Seite 12] Abends mit der Kol[onne] in einer Fabrik biwakieren, wurde aber von einem Inf[anterie]-Off[izier] abgeraten, sei zu gefährlich. Blieben auf der Hauptstraße liegen. Wie es schon dunkel war, wurde aus allen Ecken geschossen, kleine Abteilungen kamen im Laufschritt vorbei; es sollen viel Freischärler in den Vororten auf unsere Leute schießen.  Wir hatten auch stets Karabiner zur Hand. Wie ich auf dem Bordstein stehe, wurde in dem Hause in der ersten Etage ein Fensterflügel leise geöffnet; als ich meinen Kar[abiner] vornahm, wurde er schnell wieder zugezogen. Man muß auf alles gefaßt sein. Um 1 Uhr setzte ich mich in einen Wagen und versuchte zu schlafen, müde genug bin ich. Doch ist man alle Augenblicke wegen der Schießerei wieder wach.

Quelle: Tagebuch von Hermann Bornemann (Herford). Privatbesitz. Leihgabe an das Gemeindearchiv Herzebrock-Clarholz.