Aufruf des Demobilisierungskommissars in Minden, 1918

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Auch die Demobilisierung bei Kriegsende war eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, da Millionen von Soldaten binnen kürzester Zeit wieder in die zivile Gesellschaft integriert werden mussten. Der Demobilisierungskommissar für den Bezirk Minden ruft die Bevölkerung auf, sich auf die heimkehrenden Truppen und die Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft einzustellen. So soll beispielsweise dafür gesorgt werden, dass genügend Arbeitsplätze und Wohnungen für die heimkehrenden Soldaten bereit stehen.

(Ralf Othengrafen, Kreisarchiv Gütersloh)

Signatur: Kreisarchiv Gütersloh, A 02 / 1b – 2025

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 1.8.1918

V. Kriegsjahr.
Donnerstag 1. August 1918. D[er] Beginn des 5ten Kriegsjahres ist nicht glänzend. Wir ziehen uns immer mehr zurück. Die 47. Division ist ganz aufgerieben; auch and[ere] westfäl[ische] Regimenter haben schwere Gefangenenverluste. Rechnungskommission Kriegsbetstunde. Helmich: In der Presbytersitzung (nur 6 Teilnehmer) spricht sich Presb[yter] Hartmann sehr heftig über die Bewirtschaftungsmaßnahmen aus & offenbar unter dem Eindruck der Worte seines Sohnes Serg[an]t H[artmann], der in Urlaub war, über das Verhalten der Offiziere an d[er] Front aus. Die jungen Leutnants seien herrisch & täten selbst nichts. Die Leute an d[er] Front hätten keine Lust mehr usw. Er erzählte dann auch von der Heuablieferung in Kirchlengern, wo bei er es tadelte, daß man das feuchte Heu abliefern lasse & und nicht nach & nach einforderte. In Minden sind ja gewaltige Vorräte verbrannt (Selbstentzündung ??). Da hatte ein Mann aus Wallenbrück ein mutiges Zeugnis für seinen Glauben an die Bibelwahrheit abgelegt & den Arbeiter in die Enge getrieben. „Warum quälst du dich denn hier beim Heu, wenn du nicht an eine Ewigkeit glaubst? Warum wirfst du das jämmerliche Leben nicht weg? Weil du dich vor der Ewigkeit fürchtest.“ – Hartmann „verzichtet“ auf den kons. Beitrag, giebt aber 30 M[ark] für Kriegstestamente.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 213/01.08.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Der letzte Brief von Ernst Brünger aus Herford, 30.7.1917

Einen Tag vor seinem Tod schreibt der Herforder Soldat Ernst Brünger einen Brief aus Veslud an seine Eltern und Geschwister. Die Adresse ist die des Soldatenfriedhofs, auf dem er jetzt liegt, rund 7 Kilometer südwestlich von Laon in Nordfrankreich.

Letzter Brief 1

Letzter Brief 2

Veslud, den 30.7.17

Liebe Eltern u. Geschwister!

Jetzt sind schon wieder mehrere Tage verflossen und Ihr habt von mir kein Lebenszeichen gehört. Ihr werdet sicher erstaunt sein, wenn ich Euch mitteile, daß ich jetzt bei Regiment 15 bin Ers[atz-]Bat[ail]l[on] Minden. – – –

Meine Lieben! Am 31. Abends wird hier gestürmt. – Ich bin dem Stoßtrupp zugeteilt. Näheres über den Sturm darf ich nicht schreiben. –

Unsere Artillerie schießt in der Nacht auf das Fleckchen von 800 m Tiefe u. 3 km Breite 500 000 (½ Mill) Schüsse schwersten Kalibers. Ihr könnt dann wohl denken, daß der Franzose nicht viel Widerstand mehr leistet. – Unser Oberleutnant hat jedem vom Stoßtrupp 8 T[a]g[e] Url[aub] versprochen, wenn der Sturm gelingt. – – –

Am 1.8. müßt Ihr mal in die Zeitung sehen – unsere Stellung ist rechts vom Winterberg bei Cerny.* – –

Auf Wiedersehen!
Euer Ernst.

Abs. Musketier Brünger
Inf. Rgt. 15
II. Batl. 6. Komp.
2. Korporalsch.

* Cerny-en-Laonnois: ca. 13 km südlich von Laon am „Chemin des Dames“, ca. 11 km südlich von Veslud. Der Chemin des Dames ist ein Höhenzug in ost-westlicher Richtung südlich von Laon. Der Name Chemin des Dames stammt aus der Zeit von Louis XV., der in dieser Gegend ein Jagdschloss besaß. Während die Männer auf Jagd waren, ritten oder fuhren die Damen auf dem Chemin des Dames zum Schloss. – Hier fand eine der blutigsten Materialschlachten des gesamten Ersten Weltkriegs statt. Die meisten Dörfer im Umkreis des Chemin des Dames wurden vollständig zerstört. Craonne war so stark zerstört, dass es als Nouveau Craonne in der Nähe neu erbaut wurde.

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Grab von Ernst Brünger in Veslud. – Zwischen 1920 und 1930 besuchte Ernsts Bruder Hermann den Soldatenfriedhof in Veslud gemeinsam mit seinem Freund Erich Diekmann.

 

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Ernst Brünger – Musketier + 31.7.1917. Das Holzkreuz auf dem Soldatenfriedhof von Veslud ist mittlerweile durch ein Steinkreuz ersetzt worden.

Fotos aus folgendem Buch:

Quelle: Eberhard Brünger (Hg.): „Ernst Brünger (1898-1917) – Briefe von der Westfront 1917“, Selbstverlag, Freistatt 2014.

Beschlagnahmung von Glocken, 1917

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Mit dem weiteren Verlauf des Krieges wurde die Sicherstellung von Rohstoffen für die Rüstung immer wichtiger. Dieses betraf schließlich auch die Bronzeglocken, die zum Teil schon seit vielen Jahrhunderten in den Kirchtürmen der Kirchengemeinden hingen. Mit Verfügung vom 19. Februar 1917 teilte der Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten mit, dass die Heeresverwaltung eine Bekanntmachung zur Beschlagnahmung, Bestandserhebung und Enteignung sowie freiwillige Ablieferungen der Glocken aus Bronze erlassen würde. Alle Glocken über 20 kg sollten enteignet und Rüstungszwecken zugeführt werden. Nur Glocken mir besonderer wissenschaftlicher, geschichtlicher Bedeutung oder mit hohen Kunstwert waren von der Enteignung und Ablieferung befreit. Kurzfristig mussten nun Experten benannt werden, die diese Entscheidung treffen sollte. In Westfalen wurde für diese Aufgabe der Provinzialkonservator benannt. Die Glocken sollten von ihm in drei Kategorien unterteilt werden.

In der Kategorie A wurden die Glocken erfasst, die keinen besonderen wissenschaftlichen oder historischen Wert hatten. Hierzu zählten alle Glocken, die keine besonderen Inschriften hatten und die nicht aus der Zeit vor 1400 stammten. Diese Glocken sollten in kürzester Zeit der Heeresverwaltung zum Umschmelzen überlassen werden.

Die Glocken mit besonderem historischem oder wissenschaftlichem Wert wurden noch einmal unterteilt in zwei Kategorien unterteilt. In Kategorie B sollten die Glocken aufgeführt werden, deren Erhalt wünschenswert war, in Kategorie C diejenigen Glocken, die unbedingt erhalten werden sollten. Kriterium war die Kunstfertigkeit der Verzierungen. Ging diese über den Durchschnitt der handwerksmäßigen Arbeit ihrer Zeit hinaus oder waren die Inschriften von besonderer Bedeutung, so sollten diese in die Kategorie C eingeordnet werden.

Da der Provinzialkonservator in der Eile der Zeit natürlich nicht alle Glocken begutachten konnte, griff man zurück auf die Erhebungen im Rahmen der Veröffentlichungen über die Bau- und Kunstdenkmäler der kommunalen Kreise und erstellte im März 1917 daraus eine vorläufige Liste. Danach fielen 11 Glocken aus dem Kreis Herford unter die Kategorie A und sollten schnellstmöglich abgegeben werden. Dieses lag im Schnitt der anderen Kreise mit überwiegend evangelischer Bevölkerung im Regierungsbezirk Minden. Die katholisch geprägten Kreise hatten in der Regel mehr Glocken abzugeben. Insgesamt werden 100 Glocken zur sofortigen Abgabe vorgeschlagen. In der Kategorie B waren im gesamten Regierungsbezirk nur 5 Glocken erfasst.

Die Bedeutung der Region als Glockenlandschaft wird deutlich in der hohen Anzahl von Glocken, die als unbedingt erhaltungswürdig angesehen worden waren: 212 Glocken werden aufgeführt, die teilweise bis in das 15. Jahrhundert zurückdatiert wurden, 22 davon im Kreis Herford (allerdings fehlten Spenge und Wallenbrück bei der Erhebung).
Bis zum Ende des Krieges wurden die Kriterien immer wieder verschärft. So sollte die Zahl der abzugebenden Glocken erhöht werden. Nun fielen z.B. im April 1917 alleine in der Stadt Herford 8 Glocken in die Kategorie A (ohne Denkmalwert). Drei Glocken wurden als wünschenswert in der Kategorie B aufgelistet und 8 Glocken blieben in der Kategorie C.

Da diese neue Liste auch nur auf Grund der Materialien für die Erhebung der Bau- und Kunstdenkmäler erstellt worden waren, wurden im Sommer vor Ort noch einmal besondere Gutachten angefertigt. Im Kreis Herford hatten Superintendent Pfarrer Niemann in Herford, Professor Langewische in Bünde und Pfr. Schmidt in Vlotho die Begutachtung übernommen. Pfr. Niemann ermittelte für den Stadtbereich 7 Glocken der Kategorie A, 3 Glocken der Kategorie B und 12 Glocken der Kategorie C (Münsterkirche, Johanniskirche, Jakobikirche, Petrikirche). Für den Kreis wurden 6 Glocken der Kategorie A, 3 Glocken der Kategorie B und 4 Glocken der Kategorie C ermittelt.

Allerdings kommt die Glockenablieferung nur zögernd in Gang. Es werden vom Kriegsministerium deswegen extra Prämien für eine schnelle Auslieferung ausgelobt in Höhe von 1 Mark pro Kilo. Für Herford kann Superintendent Niemann am 27. Juni 1917 das Gewicht der abgenommenen Glocken (1221 kg) und die Entschädigungssumme (24 Mark und 43 Pfennige) notieren. Auch dem Wunsch, weitere Glocken aus der Kategorie C herabzustufen und der Kategorie B zuzuordnen, kann Superintendent Niemann im Juni 1918 nicht entsprechen.

In den betroffenen Gemeinden war die Abholung der Glocken ein tiefer Einschnitt. Diese Maßnahme unterstrich den Ernst der Lage. In Löhne wurden im Juli 1917 die Glocken abgeholt. So schrieb Pfarrer Baumann in einem Rundschreiben an die Soldaten aus seiner Kirchengemeinde (vgl. Abb. oben): „Gestern habe ich im Gottesdienst bekannt geben müssen, daß wir im Laufe dieses Monats unsere schönen Kirchenglocken, bis auf die kleinste, und auch die Schulglocke von Falscheide abgeben müssen. Das schneidet tief in das Gemeindeleben ein. Auf dem Lande empfinden wir das ja viel schmerzlicher als in der Stadt. Sie haben Euch oft geklungen in Freude und Leid … Wir hatten gehofft, damit den Frieden einläuten zu können und Euch bei Eurer glücklichen Heimkehr mit ihnen begrüßen zu können. Das ist nun vorbei. Nun sollen sie dem Vaterland einen anderen Dienst tun, Euch Waffen liefern, damit ihr kämpfen und siegen könnt. Gott wolle auch diese Dienste segnen!“ Deutlich wird in seinen Worten die vorherrschende Kriegstheologie, in der Gottes Wille mit dem Vaterland gleichgesetzt wird.

Andere Kirchengemeinden hatten Glück, dass der Krieg schneller zu Ende war als die Durchführung der Glockenabgabe. Die Kirchengemeinde Wallenbrück hatte drei Glocken die in die Kategorie B und C eingeordnet waren: zwei Glocken aus dem Jahr 1651 und eine aus dem Jahr 1816. Im August 1918 wurden alle Glocken in die Kategorie A eingeordnet und sofort beschlagnahmt. Die jüngste Glocke wurde nachträglich höhergestuft und zurückgestellt. So sollte die Kirchengemeinde wenigstens eine Glocke behalten. Der Ablieferung sollte bis zum 10. September erfolgen. Doch die Kirchengemeinde verzögerte die Ablieferung trotz Mahnung. Trotz Kriegsende blieb Pfarrer Höke aber in Sorge, bis ihm das Konsistorium im Dezember 1918 mitteilen konnte, dass keine Beschlagnahmung mehr erfolgen werde.

(Wolfgang Günther, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld)

Signatur: LkA EkvW Best. 4.74 Nr. 332; LkA EkvW Best. 4.79 Nr. 50; LkA EkvW Best. 4.139 Nr. 528

Tod des Hilfspredigers Paul Waltking, 21.7.1915

Minden Westf. 30.7. 15.
Gutenbergstr. 7.

Sehr geehrter Herr Pastor!

In tiefstem Herzweh möchte ich Ihnen heute die Mitteilung machen, daß unser Sohn Paul, unser lieber, lieber Ältester, am 21. Juli gefallen ist, nördlich von Ypern, im Schützengraben.
Vor 2 Jahren arbeitete Paul bei Ihnen in der theol. Schule für das bevorstehende Examen. Hernach bekam er seine erste Anstellung als Hilfsprediger in Buer-Erle. (Westf.). Hier hat er traut verkehrt im Hause von Herrn P[astor] Volkening. Hier in der Stille hat er sich zu einem Prediger herangebildet, der besonders von Gott begnadet erschien. Als er die Wintermonate hier in Minden seine militärische Ausbildung erhielt, da hatten wir die Freude, ihn einmal, am 3. Jan[uar 1915], predigen zu hören, als er die Vertretung von dem erkrankten Herrn P[astor] Cordemann in unsrer Kirche, St. Martini, übernommen hatte. Er ist damals in den Ruf einer seltenen Tüchtigkeit gekommen und sein früher Tod wird von Vielen beklagt und beweint.
Im Dezember [1914] wurde Paul Soldat, Artillerist. Mit welcher Begeisterung er hier ankam, um seinem Kaiser, seinem Vaterlande zu dienen, läßt sich nicht beschreiben. Aber viel zu langsam ging ihm die Ausbildung voran. Immer wieder kamen neue Rekruten, mit denen er die einfachsten Uebungen von vorn anfing. Seine frohe Hoffnung, bald befördert zu werden, schlug fehl, trotz all seiner Tüchtigkeit als Soldat. Als er im März glaubte, endlich ins Feld zu dürfen, da kam er noch nach Jüterbog auf 7 Wochen. Endlich, endlich kamen begeisterte Karten aus dem Eisenbahnzuge, jetzt durfte er fort, streiten zu helfen für Recht und Freiheit. Aber – 4 km hinter Ypern blieb er halten an der Ballonabwehrkanone. Zum Schießen kam er nicht, das ließen sich die älteren Krieger nicht nehmen. So tat er immer nur die niedersten Dienste, längere Wochen hindurch u. Beförderung kam immer noch nicht. Und weil der Hauptm[ann] den Gedanken aussprach, das würde noch lange so bleiben, wenn aber jemand von den Einjährigen lieber zur Inf. übertreten wolle, mit der Aussicht, dann bald Offizier zu werden, der möge sich melden. Das taten sie dann alle, Paul zuerst. In Gent bekamen sie ihre Ausbildung als Off[i]z[iers]-Asp[iranten] der Inf[anterie]. Aber die Hoffnung, die ihnen gemacht war, auf die Kriegsschule in Roulers zu kommen, wurde nicht erfüllt. Als gew. Inf[anterie] wurden sie in die vordersten Schützengräben verwiesen, wo Paul nach wenigen Tagen seinen Tod fand. All die Enttäuschungen nahm er hin als aus Gottes Hand. „Ich bin in Gottes Schule gewesen“, schreibt er darüber. An einem Herzschuß ist er gefallen u. liegt in einem Einzelgrab bestattet. Der Gott, der ihn uns genommen hat, wolle uns beistehen in unserm Leid.

Frau L. Waltking

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Signatur: LkA EKvW Best. 13.99 (Waltking)

Feldpost des Hilfspredigers Paul Waltking, 24.1.1915

Paul Waltking wurde am 20. Januar 1889 als ältester Sohn eines Lehrers und seiner Frau in Hahlen bei Minden geboren. Heute ein Stadtteil von Minden, war Hahlen bis zur Gebietsreform 1973 eine selbstständige Gemeinde. 1894 zog die Familie nach Minden um, da Pauls Vater an die dortige Bürgerschule II versetzt worden war. An ebendieser Schule begann im Folgejahr Paul Waltkings Schullaufbahn, die ihn im Anschluss an die Mittelschule und schließlich an das Königliche Gymnasium in Minden führte, wo er im Herbst 1908 das Abitur bestand.

Im Wintersemester 1908/1909 begann er in Heidelberg das Studium der Evangelischen Theologie. Die folgenden sieben Semester führten ihn nach Heidelberg, Göttingen und Halle. Im Herbst 1912 meldete er sich in Münster zum 1. theologischen Examen; er trat jedoch von der Examensprüfung zurück, nachdem die schriftlichen Prüfungsarbeiten sehr schlecht ausgefallen waren. Dem Rat des Generalsuperintendenten folgend, zunächst das wissenschaftliche Arbeiten zu erlernen, entschied sich Paul Waltking gegen einen direkten erneuten Versuch. Er besuchte zur Überbrückung im Sommersemester 1913 die Theologische Schule in Bethel, um sich dort auf das bevorstehende Examen vorzubereiten. Nach erfolgreichem Abschluss Ostern 1914 trat der mittlerweile Fünfundzwanzigjährige in der evangelischen Kirchengemeinde Buer-Erle in Westfalen eine Hilfspredigerstelle an.

Anfang Dezember 1914 wurde Paul Waltking als Einjährig-Freiwilliger eingezogen und kehrte für die Ausbildung beim Rekruten-Depot des Westfälischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 22 in seine Heimatstadt Minden zurück. Zum Richtkanonier ausgebildet, wurde er im März 1915 noch für sieben Wochen ins brandenburgische Städtchen Jüterbog geschickt, wo sich eine Artillerieschule befand. Anschließend erfolgte der von ihm ersehnte Marschbefehl und die Abfahrt mit dem Zug in Richtung Westfront. Vier Kilometer hinter der belgischen Stadt Ypern tat er zunächst Dienst an der Ballonabwehrkanone, die gegnerische Fesselballone und Luftschiffe (Zeppeline) zum Ziel hatte. Da er hier jedoch nur Hilfsdienste ausüben durfte und eine Beförderung ausblieb, meldete er sich – ebenso wie die übrigen „Einjährigen“ – freiwillig für einen Wechsel zur Infanterie, da ihnen dort ein baldiger Aufstieg in den Offiziersrang in Aussicht gestellt worden war. Waltking und seine Kameraden wurden daraufhin in Gent als Offiziers-Aspiranten ausgebildet. Anstatt zur Kriegsschule in Roulers wurden sie jedoch als Infanteristen an die vordersten Linien der Front geschickt, wo Paul Waltking nach wenigen Tagen, am 21. Juli 1915, in einem Schützengraben nördlich von Ypern nach einem Schuss ins Herz starb. Sein Leichnam wurde in einem Einzelgrab bestattet.

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Minden Westf. 24.1. 15.

Sehr geehrter Herr Pastor!

Nachdem ich 7 Monate lang in Buer (Westf.)-Erle die Hilfspredigerstelle innegehabt habe, ist endlich Anfang Dezember [1914] mein sehnlicher Wunsch in Erfüllung gegangen, dem Vaterlande auch mit der Waffe in der Hand dienen zu dürfen. Ich bin eingezogen worden und werde ausgebildet beim 3. Rekr[uten]-Depot F[eld-]A[rtillerie-]R[egiment] 22 in meiner Heimatstadt Minden. Auf der Weihnachtsfeier des Depots habe ich auf Wunsch des Vorgesetzten eine Ansprache halten dürfen. Meine Ausbildung als Richtkanonier ist nahezu beendet. In den nächsten Wochen hoffe ich ins Feld rücken zu dürfen.
Mit Gott!
Ergebenst Paul Waltking.

Signatur: LkA EKvW Best. 13.99 (Waltking)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 24.9.1914

Vorm[ittags] in Dono bei Nordsiek. 2 Söhne im Felde! Bei Stork’s & Marten (Sohn auf Wangeroog[e]). –

Comm[itee] bei Peitzmann. „Franz hat Glück gehabt: wenn Ersatztruppen ausgesucht werden, war er auf Wache“. Unsere Söhne denken anders. Brief von [Sohn] Roland aus seinem Quartier bei „Herrn“ Friedolin Heßler in Frohnstetten. –

Auch Heinr[ich] Graeper ist am Heuberg, ebenso Wüllner aus Dono. –

Post: Bestätigung & Näheres über die Vernichtung der 3 engl[ischen] Kreuzer durch U9 K[a]p[i]t[än]l[eutnan]t Otto Weddigen [aus] Herford. Abends Görgs bei uns, die morgen nach Minden wollen.

Besatzung des U-Bootes U 9

Bundesarchiv Bild 183-R35451, Besatzung des U-Bootes U9 im Jahr 1914 (ca.): v.l. liegend Maschinistenmaat Mertz, Bootsmannsmaat Heer, Maschinistenmaat Reichardt. 1. Reihe: Matrose Stellmacher, Obersteuermann Traebert, Oberheizer Schuschke. Erster Offizier Spiess, Kapitänleutnant Otto Weddigen (Kommandant), Marineingenieur Schön, Bootsmannsmaat Schoppe, Obermaschinist Heinemann, Oberheizer Eisenblätter. 2. Reihe: Matrose Geist, Heizer Schober, Funkenheizer Sievers, Matrose Schenker, Obermaschinenanwärter Wollenberg, Heizer Vollstedt, Heizer Karbe, Matrose Rosemann, Obermaschinenmaat Hinrichs, Heizer Köster, Heizer Lied. 3. Reihe: Matrose Schulz, Obermaschinenmaat Marlow, Obermaschinistenanwärter v. Koslowski. [CC-BY-SA-3.0-de]

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 16/24.09.1914

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 18.9.1914

sept-18Ein orkanartiger Sturm hat in der Nacht eingesetzt & wütet & rast den ganzen Tag. Er schüttelt das meiste Obst von den Bäumen, deckt etwa 20 Pfannen vom Dach u.s.w.. Man sucht den ganzen Tag Obst auf. Der wilde Tag ist ein Abbild des Kriegssturmes & wir haben keine Nachricht als daß die Schlacht zwischen Maas & Oise noch im Gange ist.

Endlich am Abend kommt die Nachricht von einem Siege auf dem rechten Flügel bei Noyon und weiteren kl[einen] Fortschritten. Da atmet man auf. Endlich einmal wieder Böllerschüsse. –

In der Jugendabteilung auf der Wehme erzähle ich von Minden.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 15/18.09.1914

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Kirche, Schule und Weltkrieg, 1914

Minden, 9. September 1914, Königliche Regierung, Abteilung für Kirche und Schulwesen Nr. 2287 II. N.M.:

Im Unterricht sind die Ereignisse unserer großen Zeit jedesmal mit den Schülern zu besprechen. Es ist ihnen von unserer gerechten Sache, von unserem festen Gottvertrauen, von deutscher treuer Pflichterfüllung und Opferwilligkeit, von deutschem Mut und deutscher Tapferkeit zu erzählen, damit sie in Herz und Gemüt zu gleichen Tugenden angeregt und begeistert werden. Vaterländische Gedichte und Lieder mögen den Unterricht wie die Spiele beleben und immer wieder vaterländische Begeisterung bei den jugendlichen Gemütern wecken und nähren.

Signatur: LkA EKvW 4.80 (Schule und Weltkrieg)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 29.8.1914

Herr Kantor bringt von der Post die Nachricht, ein Fort von Givet sei genommen. Wir singen im Konf[irmandenunterricht] [?] 374 im gegensatz zu der Besorgnis am Mittwoch. Diese Nachricht ist dann dahin zu berichtigen, daß Manonville östliche von Lunèville, das stärkste Sperrfort der Franzosen, in deutschen Besitz gekommen ist.
Gegen2 Uhr erwachte ich auf dem Sofa von Schüssen. Ich will hinaus & auf m[eine] Frage sagte mir Frau Wobker: Die Russen sind aus Deutschland heraus. Da ein Telegramm aus Berlin die Nachricht bestätigte, wurde geläutet. So gnädig hat also Gott unsere Gebete erhört. Sein Name sei hochgelobt.
Clara war mit Maria & den Töchtern um 11.58 [Uhr] von Neue Mühle nach Minden gefahren. Ihnen konnte ich noch mit dem Omnibus einen Siegesgruß nachsenden. Wie werden sie in Minden mit den Soldatensöhnen feiern!
Leider sollte dieser Tag nicht so fröhlich enden, wie er begonnen. Als ich zu H[er]rn Kantor Röhr kam, um die N[eue] Westf[älische] V[olks]z[ei]t[un]g von ihm zu erbitten für den Anschlag an Breitenbürgers Baum, teilte er mir die betrübende Nachricht von dem Verlust von 4 Kriegsschiffen in einem schweren Seegefecht bei Helgoland mit. Das Gefecht war am Freitag, wo der Lehrtext der Losungen Röm[er] 8,28 mich schon bange gemacht hat. Doch ist derselbe auch unser Trost. Der HErr und nichts anderes ist uns Schutz in der Not. Wir hatten wohl nötig, daran erinnert zu werden. Den Anschlag habe ich trotzdem gemacht mit der Meldung des Verlustets. Gott schütze unser Vaterland!

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 8/29.08.1914

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Friedenskundgebungen in Ostwestfalen, Juli / August 1914

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Die Mobilmachungs-Nachricht fungierte wie ein Ablassventil, das den Überdruck der Ungewissheit freisetzte, Klarheit über die neue, ernste Lage verschaffte und eine Kriegsentschlossenheit, aber keine Kriegseuphorie produzierte. Wie es in den Köpfen derer aussah, die den Straßen und den Plätzen fernblieben, kann nicht geschildert werden. Die Ventilfunktion, die in Berlin in ein „Na endlich!“ oder „Also doch!“ mündete, bestätigt eine Schulchronik der 1. Bürgerschule (Osning-/Vogelruthschule) in Brackwede. Rektor Wilhelm Behrens beschreibt den Stimmungswandel von der Julikrise zur Mobilmachung, als zuerst mit Revolution in Brackwede gedroht wurde, falls es einen Krieg geben sollte, dann aber „am Tage der Mobilmachung sang man im sozialdemokratischen Lokale Vaterlandslieder! […] und erleichtert atmete alles auf, als am 1. August nachmittags 6 Uhr die Kunde von der befohlenen Mobilmachung hier bekannt wurde.“

Sozialdemokratische Friedenskundgebungen sollten bis in den August andauern. Vor 7.000 Zuhörern machte der Volkswacht-Redakteur Carl Severing (1875-1952) am 28. Juli 1914 in Bielefeld die Folgen klar, wenn die Bündnissysteme griffen: „Millionen von Volksgenossen werden dann zur Schlachtbank geführt“.

(Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Quelle: Volkswacht v. 29. Juli 1914

Signatur: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 43