Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 11.11.1918

Auf der Post kommt eben der Omnibus an. Herr Uthoff sagt gerade zum Postboten Kronshage: „Das linke Rheinufer wird vom Feinde besetzt“. Kronshagen erwidert: „So lange hett se doktert. Datt hadden wie vor 2 Jahren hebben konnt.“ Dann auf der Post las ich im Kurier die niederschmetternden Waffenstillstandsbedingungen & dann im Reichstag die Abdankung des Kaisers und die Erklärung der Republik. (Das scheußliche Fremdwort ist für die greuliche Sache gerade gut genug.) Ich bin wie „gelähmt„, wenn das Wort ausreicht, „gebrochen“ könnte man sagen. Aber man lebt oder ist weiter.
Die Losung von heute mahnt: „Kaufet die Zeit aus“, und die andere: „Unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen & wo Er es nicht tun will, so sollst du dennoch wissen o König, daß wir deine Götter nicht ehren noch das goldene Kalb, auch nicht das rote Kalb anbeten wollen“. – Ich schreibe nach Buer an den Sup[erinten]d[en]t[en] & bitte mich für morgen frei zu geben, wo ich eigentl[ich] die Auslegung von 2 Mose 17 & 18 hätte. Die Antwort von Frau Sup[erinten]d[en]t lautet, daß Sup[erintendent] Knoche an Grippe zu Bett liegt und daß morgen die Pastoren von Lt. Lauenstein zugegen sein werden. Sup[erinten]d[en]t Kn[oche] ist damit einverstanden, daß ich statt nach Buer nach Bünde gehe. – Nachmittags die Beerdigungen der Kinder Hilker & Kappelmann. Ps[alm] 16,6. Ich zeige das liebliche Loos der in der Taufgnade gestorbenen Kinder. H[er]r Gronenberg sagt, in manchen Familien herrsche eitel Freude. Ich gehe zur Familie Hilker ins Trauerhaus, dann zu Niehausmeyers, Füller, Schiermeyer, zuletzt zu Kappelmanns in Baumeiers & fahre mit dem Omnibus heim. In Bünde hat um 4 Uhr eine Arbeiter & Soldatenrat Versammlung im Stadtgarten stattgefunden. K. Mesterheide ist mit seinem Rage mit roter Schleife hingefahren. H[er]r Ök[onomie]Rat läßt mich zur Besonnenheit mahnen. Wenn die Roten kämen, solle ich in allem nachgeben. Clara fragt, wohin das führen solle?
Randbemerkung: Colten. An Nachmittag ist Luise Kpm. beerdigt. Vormittags haben sie ein Telegramm bekommen, daß die 2te Tochter Emma, die in [?]kel in Dienst treten sollte, dort an der Grippe gestorben ist. Zwei andere Töchter liegen an Grippe darnieder. Die Eine wird morgen ins Krankenhaus gebracht.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 230/11.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 31.10.1917

Reformationsfest 400jähr[ige] Jubelfeier. Wir feiern etwas gedrückt: 1) Krieg, d[as] evangelische England gegen das evang[elische] Deutschland, 2) die Lauheit & Untreue vieler Evang[elischer] gegen unsere Kirche. Der Abfall evangelischer Massen. 3) Roms Ansehen & Macht. Eben [am 31.10.1917] der ev[angelische] Reichskanzler [Georg Michaelis] gestürzt & durch den Bayr[rischen] Katholiken [Georg von Hertling, Zentrum] ersetzt. […]

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 167f./31.10.1917

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 13.12.1916

Der Bericht der Reichstagssitzung mit dem Friedensanerbieten des Vierbundes erscheint. Gott helfe, daß unsere Feinde die Einsicht haben darauf einzugehen & Gottes Barmherzigkeit schenke uns einen ehrenhaften Frieden.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, 13.12.1916

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Anti-Kriegsstimmung im Jahr 1916 und behördliches Einschreiten

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Schreiben des Magistrats der Stadt Lage an die Fürstliche Regierung zu Detmold vom 9. 9.1916 (Signatur: LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026)

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Beschlagnahmte Bittschrift des SPD-Vorstandes (Berlin) mit Namen und Adressen der Bittsteller (Signatur: LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026)

Transkript des Petitionstextes:

Herausgegeben vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin SW, 68, Lindenstraße 3

Petition an Se. Exzellenz den Herrn Reichskanzler Dr. v. Bethmann Hollweg.

Die Unterzeichneten fordern, daß dem Krieg, der seit mehr als zwei Jahren Europa verwüstet und allen beteiligten Ländern ungeheure Opfer an Gut und Blut auferlegt, so bald als möglich ein Ende bereitet wird. Unter Ablehnung aller Eroberungspläne, die nicht nur den Krieg verlängern, sondern auch den Keim zu neuen Kriegen in sich tragen, fordern die Unterzeichneten von den Verbündeten Regierungen, daß sie sich zum Abschluß eines Friedens bereit erklären, der dem Reiche
1. seine politische Unabhängigkeit,
2. seine territoriale Unversehrtheit,
3. seine wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit gewährleistet.

Signatur: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe (LAV NRW OWL) L 79 Nr. 7026
Amtliches Schreiben aus dem Bestand Regierungsakten LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026 (Lippische Regierung, Jüngere Registratur) sowie Petition des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an Reichskanzler von Bethmann-Hollweg vom September 1916. Beschlagnahmte Bittschrift des SPD-Vorstandes (Berlin) mit Namen und Adressen der Bittsteller, ebenfalls aus dem Bestand Regierungsakten LAV NRW OWL L 79 Nr. 7026.

Das Schreiben des Magistrats der Stadt Lage im Format DIN A 5 beschreibt die Beschlagnahmung einer – nach Darstellung des Magistrats – durch die SPD der Stadt Lage in Umlauf gebrachte Friedenspetition und überreicht insgesamt 7 einzelne Listen im Original an die Fürstliche Regierung. Somit ist davon auszugehen, dass in Lage allein an mindestens 7 Stellen diese Petition ausgelegen haben muss, oder sie auf andere Weise ihrem Adressatenkreis zugänglich gemacht worden ist. Das Schreiben trägt den Eingangsstempel der Fürstlichen Regierung vom 12.9.1916 sowie verschiedene zeitgenössische handschriftliche Vermerke der Bearbeitenden.

Die Friedenspetition trägt in der linken oberen Ecke die Adresse des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und nennt als Ziele der Petition das möglichst baldige Ende des Krieges und die Aufgabe aller Eroberungspläne unter den Bedingungen der politischen Unabhängigkeit des Deutschen Reiches, seines territorialen Fortbestandes und seiner wirtschaftlichen „Entwicklungsfreiheit“. Es folgt eine Tabelle, die den Eintrag der Namen, Berufe und Adressen der Unterzeichnenden vorsieht und die ausgefüllt vorliegt. Insgesamt beläuft sich die in der Akte überlieferte Liste der Unterzeichner auf 14 DIN A 4 Seiten mit 137 namentlich genannten Personen. Außer des hier gezeigten Exemplars mit insgesamt 15 Unterzeichnern befinden sich weitere 6 in der Akte.

Die vorliegende Unterschriftenliste ist im Zusammenhang mit der Forderung einer Friedensinitiative des Parteivorstandes der SPD zu sehen, der am 11. August 1916 zu einer Unterschriftensammlung für eine Petition aufrief, die sich gegen die Propaganda der Annexionisten wendete. Die Kriegsziele eines Eroberungskrieges, wie er von den Annexionisten vertreten wurde, waren inzwischen allgemein bekannt. Dies stand gegen die Darstellung des Krieges als ein Verteidigungskrieg gegen die russische Monarchie, die es 1914 möglich gemacht hatte, die Politik des Burgfriedens und die Gewährung der Kriegskredite auf Seiten der SPD durchzusetzen. Allerdings gingen maßgebliche Teile die SPD weiter grundsätzlich vom Führen eines Verteidigungskrieges aus, was in der Rechtfertigung der Politik seit dem 4. August 1914 durch Verabschiedung des Manifestes „Zur Friedensfrage“, das am 23.9.1916 verabschiedet wurde, deutlich wird. Das Manifest wurde mit einer Mehrheit von 251 angenommen. Es gab nur 5 Gegenstimmen und 15 Enthaltungen. Die Petition wurde, versehen mit 899.149 Unterschriften, am 16. Dezember 1916 dem Reichskanzler zugestellt.

Nach zeitgenössischen Berichten aus Bad Salzuflen – einem Schreiben des Magistrats an die Fürstlich-Lippische Regierung und das Stellvertretende Generalkommando in Münster – wurde die Petition in Bad Salzuflen über den dortigen Konsumverein verbreitet. Es wurde weiter berichtet, dass auch in anderen Städten „diese Schriftstücke“ auslägen. Das Stellvertretende Generalkommando in Münster berichtete in einem Schreiben vom 7. September 1916, dass die „Petitionen der sozialdemokratischen Partei“ durch Zeitungsboten verbreitet werde und diese auch Unterschriften sammelten. Es verfügte die Beschlagnahmung. Das Verbot war bereits mit Schreiben vom 16. August durch das Stellvertretende Generalkommando ausgesprochen worden mit der Anweisung: „Etwa auftauchende Schriftstücke sind zu beschlagnahmen und in polizeiliche Verwahrung zu nehmen“. Ein weiteres Schreiben des Stellvertretenden Generalkommandos vom 18. August 1916 weist auf einen weiteren Verbreitungsweg hin, der offensichtlich von den Verbreitern der Petition genutzt wurde, nämlich das Auslegen in Gaststätten. Man wollte auf staatlicher und militärischer Seite aber offenkundig eine Verhärtung der Positionen verhindern, denn das Schreiben des Stellvertretenden Generalkommandos weist ausdrücklich darauf hin, dass Maßnahmen wie Verhaftungen und Haussuchungen zu vermeiden seien.

Im bereits genannten Schreiben des Magistrates der Stadt Bad Salzuflen heißt es: „Wir halten das Verfahren [Anm. der Verfasserin: Auslegen einer Petition für den Frieden] für bedenklich und dem vaterländischen Interesse widersprechend, da man möglicherweise nachher die Feststellung machen wird, daß Millionen von Deutschen unter allen Umständen den Frieden wollen und daß diese Feststellung vom Auslande unter Entstellung der Tatsachen ausgebeutet wird.“

1916 war ein Jahr der schwierigen Nahrungsmittelversorgung, der zunehmenden Kriegsmüdigkeit und auch der vermehrten Streikbereitschaft. Im Sommer fanden Demonstrationen gegen Lebensmittelknappheit und den Krieg statt. Das Jahr 1916 war ebenfalls das Jahr der Verabschiedung des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst (5.12.1916) und der Friedenspetition des Deutschen Reichstages (12.12.1916), die von den alliierten Mächte als unannehmbar abgelehnt wurde (30.12.1916). Die SPD schwankte zwischen dem Hoffen auf eine Wahlrechtsreform nach Kriegsende, der positiven Bewertung der staatlichen Intervention in wirtschaftlichen Fragen als einer Art „Kriegssozialismus“ und der Erfahrung einer wirtschaftlichen Verelendung vieler durch die Folgen der Kriegswirtschaft und der Militarisierung. Sie forderte immer wieder Interventionen des Staates zur Sicherung der Versorgung aller. Die Spaltung der Linken hatte begonnen. Die Spartakusgruppe sah die „Petition für den Frieden“ denn auch eher als  „Eine Petition gegen den Frieden“ an. Insgesamt habe eine Friedenspetition, die an den Reichkanzler gerichtet sei, keine Chance, da sie aufgrund der Politik der Regierung unberücksichtigt bleiben müsse, heißt es in einem ihrer Flugblätter. Die Regierungshaltung wird darin als eine Politik mit imperialistischer Ausrichtung eingestuft. Dementgegen gehe die Petition weiter von einem Verteidigungskrieg aus, was nicht den Realitäten entspreche.

Die oben beschriebene Kriegsmüdigkeit erklärt sich neben der schlechten Nahrungsmittelversorgung aus der Situation an der Front. Dort fand die deutsche Offensive um einen Durchbruch an der französischen Front statt; die „Blutmühle“ von Verdun wurde sprichwörtlich. Es handelte sich um einen zähen Stellungskrieg, dessen Opfer sich in acht Monaten auf deutscher Seite auf 336.000 und auf französischer auf 365.000 beliefen. Zur Entlastung der Alliierten begann die britische Armee zudem ihren Angriff an der Somme und die russische Armee ging mit der Brusilov-Offensive gegen die österreichisch-ungarische Seite vor. Die prekäre Situation führte zur Absetzung Erich von Falkenhayns, der von Hindenburg und Ludendorff als Vertreter eines Siegfriedens und der Expansion abgelöst wurde.

Bearbeitung: Heike Fiedler M.A., Archivpädagogin, mit Unterstützung von Dr. Hermann Niebuhr, Landesarchiv NRW Abteilung OWL

Link zum Angebot des Archivpädagogischen Dienstes der Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold

Weiterführende Literatur/ Internetquellen: