Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 19.12.1918

Seit 3 Wochen keine Eintragung. Die Neigung ist einem dazu vergangen. Jeder Tag, jede Zeitung brachte neue Demütigungen, neuen Jammer. Die Franzosen haben den Elsaß-Lothringen besetzt & die undankbaren Französlinge haben die deutschen Denkmäler umgestürzt & die Franzosen mit offenen Armen empfangen. Die Städte haben sich für den Anschluß an Frankreich erklärt. […]
Es mehrten sich nun die heimgekehrten Soldaten. Nicht geschlossen, einzeln zu 2 & 3en kehrten sie zurück. Man hört, daß manche Frontsoldaten empört sich über die Zustände in der Heimat geäußert hätten; ansehen kann man es dem Einzelnen nicht, welche Gesinnung er hat. Mißtrauen tut man manchem. Es ist natürlich unwahr, was, wie Frau Kantor erzählt, H[er]r Kosiek gesagt haben soll, man sollte den Soldaten ins Gesicht spucken, weil die die Fahne verlassen hätten. Daraus spricht nur das böse Gewissen, auch aus dem Zusatz der Andern: „Das spricht H[er]r Kosiek ja nur Pastor Hartmann nach.“ Freilich, die Ehrenbogen, welche je länger je mehr sich über die Landstraßen & Dorfstraßen ziehen, muten mich sonderbar an. […].

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 234/19.12.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 27.11.1918

Seit 10 Tagen bin ich nicht zur Fortführung dieser Aufzeichnungen gekommen. Zwar hat die Grippe abgenommen, [aber] erst gestern hat sie wieder ein Opfer gefordert, die 45jähr[ige] Ehefrau Brömmelmeier im Bierener Sieke, sonst hat sie abgenommen. – Am Bußtag heute vor 8 T[a]g[en] predigte ich über den Psalm 130; es fehlten viele Konfirmanden in der Kirche. Am Nachmittag hatte ich den Jungfr[auen-]Verein in Bieren. Die Gefangenen sind nun fast alle fort, dagegen zahlreiche heimische Soldaten heimgekehrt. Wie ganz anders hatten wir uns ihre Heimkehr gedacht. Jetzt kommen sie einzeln, von dem Soldatenrat entlassen, z.T. von der Truppe fortgelaufen. Es wurden Truppenzüge erwartet. In Bünde hat man geflaggt, in Löhne waren viele Begrüßungsgewinde über die Landstraße gezogen mit Inschriften: Willkommen in der Heimat, den tapferen Kriegern in der Heimat usw. Man hat keine Freude daran; man freut sich der heimgekehrten Truppen nicht, weiß ja nicht, ob es getreue oder ungetreue Soldaten sind. Die Jungen besonders, die nichts geleistet haben, spielen sich am meisten auf. Man sagt, das R[e]g[imen]t 42, das in Bünde einquartiert sei, habe den Soldatenrat dort abgesetzt. Auf wie lange, wenn es wahr ist? […]

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 233/27.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 12.11.1918

Wie gehen die Tage langsam dahin! Ich meine, es seien Wochen, was seit dem 10ten [November 1918] geschehen ist. Dabei soll man Predigt machen? […]

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 231/12.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 11.11.1918

Auf der Post kommt eben der Omnibus an. Herr Uthoff sagt gerade zum Postboten Kronshage: „Das linke Rheinufer wird vom Feinde besetzt“. Kronshagen erwidert: „So lange hett se doktert. Datt hadden wie vor 2 Jahren hebben konnt.“ Dann auf der Post las ich im Kurier die niederschmetternden Waffenstillstandsbedingungen & dann im Reichstag die Abdankung des Kaisers und die Erklärung der Republik. (Das scheußliche Fremdwort ist für die greuliche Sache gerade gut genug.) Ich bin wie „gelähmt„, wenn das Wort ausreicht, „gebrochen“ könnte man sagen. Aber man lebt oder ist weiter.
Die Losung von heute mahnt: „Kaufet die Zeit aus“, und die andere: „Unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen & wo Er es nicht tun will, so sollst du dennoch wissen o König, daß wir deine Götter nicht ehren noch das goldene Kalb, auch nicht das rote Kalb anbeten wollen“. – Ich schreibe nach Buer an den Sup[erinten]d[en]t[en] & bitte mich für morgen frei zu geben, wo ich eigentl[ich] die Auslegung von 2 Mose 17 & 18 hätte. Die Antwort von Frau Sup[erinten]d[en]t lautet, daß Sup[erintendent] Knoche an Grippe zu Bett liegt und daß morgen die Pastoren von Lt. Lauenstein zugegen sein werden. Sup[erinten]d[en]t Kn[oche] ist damit einverstanden, daß ich statt nach Buer nach Bünde gehe. – Nachmittags die Beerdigungen der Kinder Hilker & Kappelmann. Ps[alm] 16,6. Ich zeige das liebliche Loos der in der Taufgnade gestorbenen Kinder. H[er]r Gronenberg sagt, in manchen Familien herrsche eitel Freude. Ich gehe zur Familie Hilker ins Trauerhaus, dann zu Niehausmeyers, Füller, Schiermeyer, zuletzt zu Kappelmanns in Baumeiers & fahre mit dem Omnibus heim. In Bünde hat um 4 Uhr eine Arbeiter & Soldatenrat Versammlung im Stadtgarten stattgefunden. K. Mesterheide ist mit seinem Rage mit roter Schleife hingefahren. H[er]r Ök[onomie]Rat läßt mich zur Besonnenheit mahnen. Wenn die Roten kämen, solle ich in allem nachgeben. Clara fragt, wohin das führen solle?
Randbemerkung: Colten. An Nachmittag ist Luise Kpm. beerdigt. Vormittags haben sie ein Telegramm bekommen, daß die 2te Tochter Emma, die in [?]kel in Dienst treten sollte, dort an der Grippe gestorben ist. Zwei andere Töchter liegen an Grippe darnieder. Die Eine wird morgen ins Krankenhaus gebracht.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 230/11.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 10.11.1918

Martini. Auf dem Wege nach Bieren überholt mich Uthoffs Wagen & nimmt mich mit. Der Frühzug sei doch mit Post angekommen. Gestern Abend sei die Nachricht gekommen, 18 franz[ösische] Divisionen hätten die Waffen niedergelegt. Das Landratsamt sei von dem Arbeiter & Soldatenrat besetzt. Ich gehe auf die Bierener Post & sehe in den ausliegenden Zeitungen, daß in Osnabrück von 2 aufrührerischen Marinern die Stadt dem Aufruhr gewonnen ist. Der Oberbürgermeister hält vor den Stadtverordneten eine sehr vorsichtige Rede nach dem Rezept: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. In Herford hat der Aufruhr ebenfalls gesiegt. Man sagt, der Kaiser & Kronprinz hätten abgedankt. [Friedrich] Ebert (Soz[ialdemokrat]) sei Reichskanzler. Lieschen Meier, die von der Beerdigung ihrer Schwester bis Bünde hatte fahren können, war mit ihrem Koffer über Börningh[ausen] zu Fuß nach Oldendorf gegangen, da weiter kein Zug verkehrte. Sie hat selbst gesehen, wie ein Soldate dem Andern die Kokarde abgerissen hat. Auch Mesterheide-Gehle ist von Krefeld gekommen ohne Kokarde mit einem roten Bändchen im Knopfloch & hat sich nicht geschämt, dasselbe noch angesichts des Amtmannes zu tragen & dieser hat es ihm nicht abgerissen!! Dagegen hat er strahlend erzählt, daß er aus einem geplünderten Magazin ein Paar neue Stiefel ergattert habe. Schändlich!
In Bieren singen wir das Martinilied & 332 Lesung Ps[alm] 93, Predigt über Ps[alm] 39. Die christl[iche] Sterbekunst worin sie besteht, was sie uns bietet, „daß sich vor der Sterbelust auch der Satan fürchten mußt“ & wer sie kann. Ich hoffe auf dich, Ich bin dein Pilgrim & Bürger. Errette mich von aller meiner Sünde & laß mich nicht den Narren zum Spott werden. Sei mein! Die Speiche, die im Rade oben steht, geht im selben Augenblicke nach unten.
Wir singen noch 504, dann zu Wilken im Bruche, deren Tochter Luise an der Schwindsucht schwer daniederliegt. Natürlich ist das Gespräch überall bei den Ereignissen & die Besorgnis, die Aufrührerischen möchten aufs Land kommen, ist groß. Als ich zu Hause bin, sagt mir Clara, daß Miss[ionar] Helmich schon nicht mehr für den Kaiser gebetet hat, sondern „für unsere Obrigkeit“. Ich finde das empörend, es liegt aber ganz auf der Linie, wie die Überwältigung Osnabrücks durch 2 Mariner. Dabei hat ein Sonderblatt aus Bünde noch die Nachricht gebracht: der Kaiser bleibt. Gebe Gott in Gnaden, daß es Wahrheit sei & bleibe! Ich machte einen Besuch bei Klos, traf aber nur die Mutter. –

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 229f./10.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 9.11.1918

Ein heller Herbsttag. Auf der Post erfahre ich, daß heute keine Post ankommt. Und Clara, die nach Bremen ihre Reise abtelegrafiert, hört weiter, daß heute und morgen überhaupt keine Züge verkehren. So scheint man sich doch zu Maßregeln aufgerafft zu haben. Ich bespreche mit den Konfirmanden die Lage und daß, wenn nichts mehr zu verlieren ist, der christliche Glaube seine strahlendste Macht beweist. Wir sangen 332 Unter Jesu Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei und 502 Stark ist meines Jesu Hand.
Nachmittags nach Bieren zur Beerdigung von Lina Klusmann. Röm[er] 6. Ich höre, daß die Güterzüge noch fahren. (Von der Beerdigung zu Maschmann auf d[urch] Arrode. Der Sohn hat Lungenentzündung. Der Vater hat in Bonn im Lazarett gelegen und den Fliegerangriff miterlebt, jetzt ist er in Urlaub.) Frau Gronenberg erzählt, daß sie tags zuvor in Bielefeld gewesen sei und wegen der nicht fahrenden Züge schon Unterkunft im Vereinshause gesucht habe. Dann aber ist doch ein Zug noch gefahren. Die ankommenden Züge seien von Soldaten mit angelegtem Gewehr erwartet; auch seien Maschinengewehre aufgestellt gewesen. Vor dem Bahnhofe hatten Arbeiterscharen gelungert, die viele Kinder bei sich gehabt hätten; vielleicht um d[ie] Soldaten zu hindern, auf sie zu schießen. Von Maschmann zu Schulz und Füller. Dann heim. Beim Schwenningdorfer Spritzenhause sehe ich im Halbdunkel einen Haufen Männer stehen. Ich erkenne dann den Amtm[ann] in ihrer Mitte, der eine Ansprache hält und höre eben das Wort „Besonnenheit“. Endlich zu Frau Bäunker, die in eine Anstalt muß, da sie die Nachtruhe der Familie stört.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 229/09.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 8.11.1918

Jul[ius] Betzlers Geburtstag. Gott segne ihn! – Die Berliner Zeitungen, auch der Hannoversche Kurier, bleiben aus. Mittags wird Clara für Bremen an den Fernsprecher gerufen. Da hört sie dann böseste Dinge auf der Post. Die Revolution ist siegreich in Hamburg, Lübeck & Bremen (?). Man habe den Kaiser ein Ultimatum gestellt, bis 12 Uhr mittags abzudanken.
In Herford sei das Postamt von aufrührerischen Mariners besetzt. Ich kann den Anschluß nach Bremen nicht abwarten, da ich zur Beerdigung von W[it]w[e] Nordiek muß. (Mann, zwei Söhne & nun die Frau in der Kriegszeit gestorben bzw. gefallen).
Ich gehe über den Bahnhof, mir begegnet Vorsteher Steinmeier. Die Bahn habe die Verladung von Schweinen abgelehnt, da Güterzüge nicht mehr führen. Ich frage den Bahnvorsteher Schulte, ob er etwas wisse. Er tut erst sehr unwissend. Es sei nur wegen Truppentransporten Sperre.
Allmählich kommt doch heraus, daß man Züge hat ausfallen lassen, um die aufrührerischen Soldaten nicht ins Industriegebiet zu lassen. Hier ist aber gestern ein Trupp (150) Mariner durchgekommen. Sie haben auf dem Bahnhof einen Sturmhelm aus dem Zuge geworfen. Man sagt, diese hätten in Herford das Postamt besetzt. Sie hatten die Urlauberpässe mit dem Stempel „Arbeiter- und Soldatenrat“ versehen und die Urlauber (Waffenlos?) nach Hause geschickt.
Einem Marineoffizier, der sich eine Fahrkarte habe lösen wollen, hätten sie den Degen fortgenommen und ihn dann laufen lassen. Einem andern Marineoffizier hätten sie Achselstücke und Portepee abgeschnitten und ihn dann zurückgeschickt. In Löhne auf dem Bahnhof wäre es voll Soldaten gewesen. Ob kaisertreu oder Aufrührer, wußte man nicht. Ich suchte H[er]rn Amtmann auf; aber der war zur Amtsmänner-Versammlung nach Herford, amtlich zur Besprechung wegen der Belegung von Westfalen mit heimkehrenden Soldaten nach dem Waffenstillstand, aber auch wohl zur Besprechung der Maßnahmen bei ausbrechendem Aufruhr.
Als ich heimkomme, sagt mir Clara, Lili habe sie in Bremen willkommen geheißen und augenscheinlich nichts von bösen Zuständen dort gewußt. Ob die Gerüchte übertrieben sind? Gott helfe in Gnaden unserm armen Vaterlande! Und helfe zu einem des Christennamens würdigen Verhalten! Ich gehe abends zur Post und keine Zeitungen von Berlin noch von Herford. Zu H[er]rn Ökonomierat: In Herford herrscht völlige Ruhe. Alles ist wie sonst, auch die Posten an dem Durchlaß zum Bahnsteig. Dagegen seien in Osnabrück Unruhen ausgebrochen, der Oberbürgermeister gefangen gesetzt.
Banken 6, Post besetzt? In Herford wäre der Kommandierende General mit Stricken gebunden, die Achselstücke abgerissen, ein anderer General ermordet. In Bremen wäre das Oslebshauser Gefängnis geöffnet und die Verbrecher befreit. Von Hamburg stand in der einzig erscheinenden Bünder Zeitung: Auf der Strecke Hannover – Köln verkehre nur ein Zug. Autos mit Aufrührenden führen bis nach Köln. Es kann kein Gedanke daran sein, daß Clara nach Bremen fährt, da die Züge Osnabrück-Bremen nicht fahren. Der Landrat habe zur Bildung von Bürgerwehren geraten, wozu der Kommandierende General Gewehre zur Verfügung stellen wolle. H[er]r Ök[onomie]Rat hat sich dagegen ausgesprochen, um unnützes Blutvergießen zu vermeiden. Ein feste Burg ist unser Gott!

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 228f./08.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 6.11.1918

Ich werde zu Auguste Schulte auf Oberschulten Hofe gerufen & gehe vor dem Unterricht hin. Im Unterrichte fehlen viele Kinder; ich bespreche den Tod von Luise Könker. Die Konfirmanden werden einen Kranz aufs Grab bringen. Nachmittags Beerdigung v[on] Maria Hellmeier in Bieren. Sie war Braut des im Felde gestorbenen Brocksieker. Text Off[en]b[arung] 14,4 (Sie sind Jungfrauen & folgen dem Lamme nach). Von dort Besuch bei Fr[au] Overing & dem Schlachter [?] in der Kadaververwertungsanstalt. Er stammt aus Breslau, die Frau aus Oldenburg. Schulte ist da & schimpft über den schlechten Schulweg. Bei der W[it]w[e] Dedering. Ihr Sohn hat das EK I [Eiserne Kreuz Erster Klasse]. Dann zu Anna Mehrkühler & Frau Möller geb. Schulte. Abends meldet die N[eue] Westf[älische] V[olks]z[ei]t[ung] im örtlichen Teil böse Dinge vom Aufstande der Mariner in Kiel. Offizieren ist das Portepee abgeschnitten, die rote Fahne auf Kriegsschiffen. Zwei Marineoffiziere erschossen.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 228/06.11.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 1.8.1918

V. Kriegsjahr.
Donnerstag 1. August 1918. D[er] Beginn des 5ten Kriegsjahres ist nicht glänzend. Wir ziehen uns immer mehr zurück. Die 47. Division ist ganz aufgerieben; auch and[ere] westfäl[ische] Regimenter haben schwere Gefangenenverluste. Rechnungskommission Kriegsbetstunde. Helmich: In der Presbytersitzung (nur 6 Teilnehmer) spricht sich Presb[yter] Hartmann sehr heftig über die Bewirtschaftungsmaßnahmen aus & offenbar unter dem Eindruck der Worte seines Sohnes Serg[an]t H[artmann], der in Urlaub war, über das Verhalten der Offiziere an d[er] Front aus. Die jungen Leutnants seien herrisch & täten selbst nichts. Die Leute an d[er] Front hätten keine Lust mehr usw. Er erzählte dann auch von der Heuablieferung in Kirchlengern, wo bei er es tadelte, daß man das feuchte Heu abliefern lasse & und nicht nach & nach einforderte. In Minden sind ja gewaltige Vorräte verbrannt (Selbstentzündung ??). Da hatte ein Mann aus Wallenbrück ein mutiges Zeugnis für seinen Glauben an die Bibelwahrheit abgelegt & den Arbeiter in die Enge getrieben. „Warum quälst du dich denn hier beim Heu, wenn du nicht an eine Ewigkeit glaubst? Warum wirfst du das jämmerliche Leben nicht weg? Weil du dich vor der Ewigkeit fürchtest.“ – Hartmann „verzichtet“ auf den kons. Beitrag, giebt aber 30 M[ark] für Kriegstestamente.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 213/01.08.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Hartmann (Rödinghausen), 2.6.1918

Vor 40 Jahren das Attentat auf den alten Kaiser. Gottesdienst in Bieren. 5 Mose 6,4-13. Das I. Gebot. Ich werde von Buntemöllers mit einem Wagen nach dem Gottesdienste durch den Russen (Deutsch-Russe, katholisch aus Südsibirien) abgeholt. Nach dem Ausruhen & Kaffeetrinken: Jungfr[auen-]Verein in d[er] Schule Joh[anne]s 14,12-20. „In einer Nacht“. Erzählung der Schw[ester] A. in der Schenlz.[?]hütte von ihrem Kriegserleben im deutschen Krankenhause in London. – Ich besuche noch Fr[au] Niederbröker in Stkhf [?] welche ihren Mann im Lager „Wernerslust“ (Waschanstalt) durch Granatsplitter verloren hat, 8 Kinder!! Nach Tisch vergeblich bei Kantors auf der Wehme angeklopft. Ferienwoche.

Aus dem Kriegstagebuch von Pfarrer Ernst Hartmann, Kirchengemeinde Rödinghausen, S. 204/02.06.1918

Signatur: LkA EKvW Best. 4.31 Abt. B HS 2 (Quelle); LkA EKvW W 15193 (Transkription)

Pfarrer Karl Niemann (1895-1989) und der Erste Weltkrieg

niemann

Pfarrer Karl Niemann (1895-1989), Foto von ca. 1941

Heinrich Karl Ludwig Niemann wurde am 14. Oktober 1895 im Pfarrhaus von Veltheim (Kreis Minden) geboren. Er verstarb im 94. Lebensjahr am 5. April 1989. Sein Vater war der damalige Pfarrer von Veltheim und spätere Superintendent von Vlotho, Ernst Niemann (1860-1934), seine Mutter Martha (1868-1945) war Tochter des Superintendenten Steinmetz aus Göttingen. Karl Niemann hatte drei Brüder und eine Schwester. In seinem Elternhaus verlebte er nach eigenen Worten „eine sonnige Kindheit“. Im Anschluss an den Schulbesuch in Veltheim und Rinteln (Ostern 1914: Abitur) besuchte er die Universitäten in Göttingen, Tübingen und Münster. Der Entschluss zum Theologiestudium beruhte allein auf „meiner freien Willensentscheidung“, gab Karl Niemann 1921 an. Er entsprang weder häuslicher Beeinflussung, noch dem Umstand, dass es seit Generationen Theologen in der Familie gegeben hatte. Niemann engagierte sich als Chargierter im Münsterschen Wingolf, einer christlichen, nichtschlagenden Studentenverbindung. Der Münstersche Wingolf beteiligte sich fast geschlossen an den Freikorpskämpfen der frühen Weimarer Republik. So wurde die „Akademische Wehr Münster“ mit ihrem Truppenführer Martin Niemöller zur Sicherung der Verkehrswege in der westfälischen Provinzialhauptstadt gegen aufständische Ruhrarbeiter eingesetzt. Karl Niemann schloss sich ebenfalls einem Freikorps an, allerdings nicht dem Münsterschen Verband.

1921 hatte Niemann in Münster um Zulassung zum Ersten theologischen Examen „gemäß den für Kriegsteilnehmer geltenden Bestimmungen“ gebeten. Seine Examensarbeit reichte er verspätet ein bzw. es sorgte die nach Abgabe erfolgte Lektüre der Arbeit durch seinen Vater (der das Konsistorium bat, die Verzögerung „übersehen zu wollen. Es war der Wunsch des Vaters, die Arbeiten des Sohnes zu lesen, gewiß doch ein nicht unberechtigter Wunsch“) für eine 10-tägige Verspätung. Vor seiner Ordination hatte er, wie alle Hilfsprediger, eine Erklärung über seine Stellung zur heiligen Schrift und zum Bekenntnis schriftlich abzulegen. Darin verdeutlicht er gegen jede Tendenz möglicher verbalinspirierter Vorstellungen der Bibel, dass es für ihn nicht um eine „sklavisch-enge Bindung an jeden Buchstaben der heiligen Schrift“ gehe, da die einzelnen Schriften der Bibel in ihrer Entstehung „zeitgeschichtlichen Voraussetzungen unterliegen, insofern als sie aus bestimmten Anlässen, für bestimmte Menschen und Verhältnisse, in bestimmten schriftstellerischen Formen und von Menschen mit besonderer religiöser Eigenart geschrieben wurden“.

Im Sommer 1923 wurde der nunmehrige Hilfsprediger Karl Niemann in Krombach ordiniert und damit in den Stand versetzt, in eine Pfarrstelle gewählt zu werden. In der damaligen wirtschaftlich schwierigen Zeit zeigten die Krombacher Gemeindeglieder eine besondere „Opferbereitschaft“ zur finanziellen Erhaltung der Hilfspredigerstelle. Am Ende seiner Krombacher Hilfspredigerzeit heiratete Karl Niemann im Oktober 1924 die Kandidatin der Theologie und Philosophie, Elfriede Möhlenbeck (1896-1989), Tochter eines Seidenwarengroßhändlers aus Krefeld. Die Ehe blieb kinderlos. Seine Frau machte sich u.a. als Herausgeberin des in den Kirchengemeinden genutzten Kindergottesdienstblattes verdient.

Karl Niemann gehörte einer Alterskohorte an, die auch zweimal aktiven Kriegsdienst zu leisten hatte und verbrachte so insgesamt rund zehn Jahre seines Lebens im Krieg. Er nahm – zuletzt im Dienstgrad eines Leutnants – durchgängig, vom 3. August 1914 bis zum 1. Februar 1919, am Ersten Weltkrieg teil. Vom 2. Mai 1940 bis zum 8. September 1945 nahm er dann am Zweiten Weltkrieg teil. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Niemann noch sein erstes Semester in Göttingen absolvieren können (Sommersemester 1914). Vom Wintersemester 1914/15 bis zum Wintersemester 1918/19 war er dann offiziell – kriegsbedingt – „beurlaubt“. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich als Freiwilliger beim Ersatzbataillon eines Infanterieregiments in Minden. Nach kurzer Ausbildungszeit rückte er am 9. Oktober 1914 ins „Feld“. „Durch Gottes Güte“, so schrieb Niemann rückblickend, „durfte ich fast den ganzen Feldzug in vorderster Linie beim Infanterieregiment Nr. 15, vom 17. Okt. 1916 ab als Offizier mitmachen“. Bei Neuve Chapelle in Nordfrankreich wurde Niemann am 1. Mai 1915 verwundet und ins Lazarett Cambrai gebracht. Am 28. April 1918 zwang ihn eine zweite, ebenfalls in Nordfrankreich erlittene Verwundung, in die Heimat zurückzukehren. Er musste längere Zeit in den Lazaretten von Koblenz, Dresden und Oeynhausen verbringen. „Zu meiner Freude konnte ich nach meiner Wiederherstellung noch im Grenzschutz verwandt werden.“ Er stellte sich im Oktober 1918 dem Grenzschutz Weege-Kevelaer und später Burlo-Oeding bei Borken zur Verfügung. Die beiden erlittenen Verwundungen hinterließen keine ernsteren gesundheitlichen Folgen.

Während des Krieges hatte Karl Niemann erwogen, sein Theologiestudium aufzugeben und Soldat zu bleiben. Zum einen hatten ihn vermeintlich erfahrene und wohlmeinende ältere Offiziere dazu geraten, zum anderen waren ihm selbst „leise Zweifel“ gekommen, ob er den „gewaltigen Aufgaben“ des Pfarramtes nach dem Kriege gewachsen sein würde. Zudem glaubte er zeitweilig, als Offizier „dem Vaterlande durch Ausbildung von Männern, die an Geist und Körper gesund für die Aufgaben ihres bürgerlichen Berufes gestärkt wären, besser dienen zu können“. Schließlich ging es ihm wie so vielen Akademikern, die mehrere Jahre im Krieg gewesen waren: Sie verspürten eine gewisse Scheu vor der Wiederaufnahme des Studiums. „Mancherlei äußere Verhältnisse“, hierzu hat vermutlich das Ende des Kaiserreichs sowie mit Sicherheit die Abschaffung der Wehrpflicht 1919 gehört, „vor allem aber meine Verwundung und der unglückliche Ausgang des Krieges haben diese Gedanken nicht zur Tat werden lassen.“ Obwohl er viereinhalb Jahre lang „jedweder wissenschaftlicher Ausbildung“ entzogen war, mochte er die im Krieg gesammelten Erfahrungen „äußerer und vor allem innerer Art“ nicht missen. Am 1. Februar 1919 nahm er das Studium in Göttingen wieder auf. „Seitens der Dozentenschaft wurde alles getan, um uns Kriegsteilnehmern den Übergang zu friedlicher Arbeit zu erleichtern.“ Karl Niemann war besonders an der praktischen Theologie, an der Kirchengeschichte und am Alten Testament interessiert. Es fanden sog. „Zwischensemester“ im Frühjahr und Herbst statt, die insbesondere den Kriegsteilnehmern einen rascheren Studienabschluss ermöglichen sollten. Niemann bezweifelte jedoch, dass dieser „schnelle Wechsel der Semester für die theologische Entwicklung glücklich war“, zumal wirtschaftliche und politische Nöte in der Nachkriegszeit das Studium erschwerten. So kam es beispielsweise zu zwei kurzen Einberufungen Niemanns als „Zeitfreiwilliger“ in dieser Zeit.

(Dr. Jens Murken, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen)

Signatur: LkA EKvW Pers. Beam. 0108

Gefallenenbrief von Pfarrer Klein nach Werther, 24.4.1918

Mons [Belgien], 24. April 1918

Sehr geehrte Frau Gieselmann!

Gestern habe ich Ihren lieben Mann auf dem Soldaten-
friedhof hier beerdigt. Da möchte ich Ihnen vom Grab und
von seinem Krankenbett her meinen Gruß herzlicher Teilnahme
senden. Ihr Mann war ja lange im Lazarett hier, und da
habe ich ihn öfter besucht. Donnerstag nach Ostern reichte ich
ihm auf seinen das heil. Abendmahl. „Friede sei
mit euch“, so hörten wir da den Gruß des auferstandenen
Lebensfürsten. Ihr Mann wußte selbst daß für ihn keine
Hoffnung mehr auf Genesung war. Manchmal mochte man
freilich hoffen daß er wenigstens noch in ein Heimatlazarett kom-
men könnte und gerne hätte er ja auch die Seinen noch wieder-
gesehen. Aber es durfte nach Gottes Willen nicht mehr sein. Ihr
Mann richtete seine Hoffnung in die Höhe, ergeben trug
er sein Leiden und befahl sich und die Seinigen in Gottes Hand.
So haben wir gemeinsam in dieser Osterzeit uns manchmal
von Evangelien oder Epistel dieser Sonntage uns zu unserem
lebendigen Herrn und Heiland weisen lassen: Nichts ist das
mich von Jesu scheide, nichts es sei Leben oder Tod, ich leg
die Hand in seine Seite und sage: mein Herr und mein
Gott, Mein Gott ich bitt durch Christi Blut machs nur mit
meinem Ende gut. [„Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“, Geistliches Lied von Æmilie Juliane von Barby-Mühlingen, 1686] Oder wir hörten von dem guten Hirten,
der seine Schafe kennt, und den wir kennen wollen, und
der uns das ewige Leben gibt, und niemand soll uns aus seiner
Hand weisen: Meinen Jesum laß ich nichts… [Kirchenkantate von Johann Sebastian Bach, 1725, BMV 124] Am Grab sprach
ich ihm das Abschieds- und Wiedersehenswort Jesu aus dem Evan-
gelium des letzten Sonntags Joh. 16.16: Lang mag uns die Tren-
nung hier auf Erden vorkommen, und für immer scheint uns
Tod und Grab auseinanderzureißen; aber im Blick auf Jesus gilt
auch hier: über ein kleines… [Johannes 16.16] Klein ist Erdenzeit und Erdenleid
auch wenn sie uns noch so groß u. endlos lang vorkommen
wenn wir schauen auf die große Ewigkeit u. Himmelsherrlichkeit
wenn dies Große darüber steht: Ich gehe zum Vater, ich gehe zu unserem
Heiland. Wenn dorthin unsere Wege einmünden, ob daheim oder
hier draußen so ruhen sie doch wiederum zu seinen auch durch
Tod u. Grab hindurch zu einer höheren Gemeinschaft aller Jünger
Jesu. Und schon jetzt wollen wir doch darin verbunden sein, schon
jetzt will dies Große ganz unser Leben durchdringen. Ich bin bei
dem rechten Vater und er bei mir und den Meinen ich lebe in meinem
Heiland und er lebt in mir. Der treue Herr und Gott tröste und stärke
euch. Sie mit ihren Kindern, und der Mutter, die ja wohl auch noch
mit Ihnen jetzt trauern muß, und allen Angehörigen mit der
Kraft seines Friedens; Er helfe Ihnen im Leiblichen und Geistlichen, es
ist ja der höchste Trost, die Gewißheit: mein Mann ist im Glauben
an den Herrn gestorben. Und Er lasse lasse uns all den Opfern Segen er-
wachsen für unsere Familien und unser Volk. Ja der Gott aller
Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu,
wolle auch, die ihr eine kleine Zeit leidet vollbereiten, stärken, kräftigen,
gründen. Dem selbigen sei Ehre u. Macht in ewigkeit. Amen. (1. Petr. 5.10-11)
In herzlichem Gedenken grüßt Sie,
Klein, Pfarrer

(Raphael Hennecke, Bielefeld)

Signatur: LkA EKvW 4.81, Nr. 53