Mons [Belgien], 24. April 1918
Sehr geehrte Frau Gieselmann!
Gestern habe ich Ihren lieben Mann auf dem Soldaten-
friedhof hier beerdigt. Da möchte ich Ihnen vom Grab und
von seinem Krankenbett her meinen Gruß herzlicher Teilnahme
senden. Ihr Mann war ja lange im Lazarett hier, und da
habe ich ihn öfter besucht. Donnerstag nach Ostern reichte ich
ihm auf seinen das heil. Abendmahl. „Friede sei
mit euch“, so hörten wir da den Gruß des auferstandenen
Lebensfürsten. Ihr Mann wußte selbst daß für ihn keine
Hoffnung mehr auf Genesung war. Manchmal mochte man
freilich hoffen daß er wenigstens noch in ein Heimatlazarett kom-
men könnte und gerne hätte er ja auch die Seinen noch wieder-
gesehen. Aber es durfte nach Gottes Willen nicht mehr sein. Ihr
Mann richtete seine Hoffnung in die Höhe, ergeben trug
er sein Leiden und befahl sich und die Seinigen in Gottes Hand.
So haben wir gemeinsam in dieser Osterzeit uns manchmal
von Evangelien oder Epistel dieser Sonntage uns zu unserem
lebendigen Herrn und Heiland weisen lassen: Nichts ist das
mich von Jesu scheide, nichts es sei Leben oder Tod, ich leg
die Hand in seine Seite und sage: mein Herr und mein
Gott, Mein Gott ich bitt durch Christi Blut machs nur mit
meinem Ende gut. [„Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“, Geistliches Lied von Æmilie Juliane von Barby-Mühlingen, 1686] Oder wir hörten von dem guten Hirten,
der seine Schafe kennt, und den wir kennen wollen, und
der uns das ewige Leben gibt, und niemand soll uns aus seiner
Hand weisen: Meinen Jesum laß ich nichts… [Kirchenkantate von Johann Sebastian Bach, 1725, BMV 124] Am Grab sprach
ich ihm das Abschieds- und Wiedersehenswort Jesu aus dem Evan-
gelium des letzten Sonntags Joh. 16.16: Lang mag uns die Tren-
nung hier auf Erden vorkommen, und für immer scheint uns
Tod und Grab auseinanderzureißen; aber im Blick auf Jesus gilt
auch hier: über ein kleines… [Johannes 16.16] Klein ist Erdenzeit und Erdenleid
auch wenn sie uns noch so groß u. endlos lang vorkommen
wenn wir schauen auf die große Ewigkeit u. Himmelsherrlichkeit
wenn dies Große darüber steht: Ich gehe zum Vater, ich gehe zu unserem
Heiland. Wenn dorthin unsere Wege einmünden, ob daheim oder
hier draußen so ruhen sie doch wiederum zu seinen auch durch
Tod u. Grab hindurch zu einer höheren Gemeinschaft aller Jünger
Jesu. Und schon jetzt wollen wir doch darin verbunden sein, schon
jetzt will dies Große ganz unser Leben durchdringen. Ich bin bei
dem rechten Vater und er bei mir und den Meinen ich lebe in meinem
Heiland und er lebt in mir. Der treue Herr und Gott tröste und stärke
euch. Sie mit ihren Kindern, und der Mutter, die ja wohl auch noch
mit Ihnen jetzt trauern muß, und allen Angehörigen mit der
Kraft seines Friedens; Er helfe Ihnen im Leiblichen und Geistlichen, es
ist ja der höchste Trost, die Gewißheit: mein Mann ist im Glauben
an den Herrn gestorben. Und Er lasse lasse uns all den Opfern Segen er-
wachsen für unsere Familien und unser Volk. Ja der Gott aller
Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu,
wolle auch, die ihr eine kleine Zeit leidet vollbereiten, stärken, kräftigen,
gründen. Dem selbigen sei Ehre u. Macht in ewigkeit. Amen. (1. Petr. 5.10-11)
In herzlichem Gedenken grüßt Sie,
Klein, Pfarrer
(Raphael Hennecke, Bielefeld)
Signatur: LkA EKvW 4.81, Nr. 53